Wehrpflichtgegner im Interview: "Das Schweigen ist beendet"
Die Zentralstelle für Kriegsdienstverweigerer wird überflüssig, falls die Wehrpflicht ausgesetzt wird. Ihr Leiter ist dennoch hochzufrieden.
taz: Herr Tobiassen, das Ende der Wehrpflicht ist zum Greifen nahe. Sind Sie schon in Jubel ausgebrochen?
Peter Tobiassen: Für uns war das nur eine Frage der Zeit, und wir sehen jetzt, dass unsere bisherigen Argumente aufgegriffen werden. Wenn inzwischen 23 von 28 Nato-Ländern die Wehrpflicht abgeschafft haben, dann scheint das wirklich die vernünftigere Lösung zu sein. Deutschland ist sozusagen der letzte Hort der Wehrpflicht, in dem einige kalte Krieger immer noch an ihr festhalten, weil sie Massenarmeen für nötig halten.
Wenn die Wehrpflicht ausgesetzt wird, verlieren Sie Ihren Job. Trauer?
Tobiassen, 55 Jahre alt, ist Geschäftsführer der Zentralstelle für Kriegsdienstverweigerer. Er berät junge Menschen, die ihren Wehrdienst verweigern wollen. Die Organisation besteht seit 1957 und könnte mit der Reform überflüssig werden. Verweigerten in den 1970er Jahren etwa 10 Prozent eines Jahrgangs, sind es nun 50 Prozent.
Das ist sehr wahrscheinlich, aber dafür haben wir nun einmal gearbeitet. Es ist die Aufgabe der Zentralstelle, sich für die Gewissensfreiheit der Kriegsdienstverweigerer einzusetzen. Und die ist am besten gewährleistet, wenn niemand mehr zu Militär- oder Kriegsdienst gezwungen wird.
Ihre Beratungsstelle besteht schon seit 1957, wie hat sich die Ausrichtung seither verändert?
Die gesellschaftliche Debatte hat sich immer bei uns widergespiegelt. Am Anfang waren unsere Mitgliedsorganisationen gegen die Wiederbewaffnung, und als es dann wieder Militär in Deutschland gab, hat sich die Zentralstelle der Kriegsdienstverweigerer dafür eingesetzt, dass Verweigerer nicht schlechtergestellt werden als Wehrdienstwillige. Damals waren Kriegsdienstverweigerer noch den Vorwürfen der Drückebergerei oder des Vaterlandsverrats ausgesetzt. Nach dem Fall der Mauer war für alle relativ schnell klar, dass auch der Zwang zum Kriegsdienst an der Waffe überwunden werden kann. Seit Anfang der 90er Jahre setzt sich die Zentralstelle deshalb für den Wegfall der Wehrpflicht ein.
Wie erklären Sie den Stimmungsumschwung?
Das hat, glaube ich, mit einem Generationswechsel in der Union zu tun. Denn diejenigen, die dort vorher Verteidigungspolitik betrieben haben, haben derart dogmatisch an der Wehrpflicht festgehalten, dass man bestimmte Dinge nicht vernünftig mit ihnen diskutieren konnte. Das ist mit der neuen Generation und dem neuen Verteidigungsminister an der Spitze etwas anders. Dadurch, dass zu Guttenberg entschieden hat, die Wehrpflicht müsse nun auf den Prüfstand, trauen sich auch andere, offen zu sprechen, die vorher geschwiegen haben.
In der Union glauben aber einige, dass man bei der Bundeswehr wichtige Werte vermittelt bekommt. Ist das nun anders?
Es gibt Untersuchungen, die zeigen, dass Wehrdienstleistende vor dem Dienst eine bessere Meinung von der Bundeswehr haben als nach dem Dienst. Es scheint also nicht mehr so richtig zu gelingen, den konkreten Nutzen des Wehrdienstes zu vermitteln. Was man dort lernen kann, sind Befehl und Gehorsam und das Überwinden der Tötungshemmung. Aber das sind gerade keine Tugenden, auf die ein freiheitlicher Rechtsstaat stolz sein kann.
Einzelne haben sogar vorgeschlagen, man solle ein verpflichtendes Freiwilligenjahr für alle jungen Menschen einführen. Was halten Sie davon?
Eine solche allgemeine Dienstpflicht ist nach der Menschenrechtserklärung der Vereinten Nationen verboten, nach der Europäischen Menschenrechtscharta verboten, nach dem Grundgesetz verboten. Das einzige Land dieser Erde, das diesen Vorschlag umgesetzt hat, ist die Militärdiktatur in Birma. In den meisten Ländern ist so etwas Absurdes nicht einmal debattiert worden. Abgesehen davon wäre das jährlich sogar zwölf Milliarden Euro teurer als derzeit die Wehrpflicht.
Was raten Sie jungen Männern, die jetzt eingezogen werden?
Es spricht vieles dafür, dass sie die Letzten sein werden, die noch einberufen werden. Sie sollten alle Möglichkeiten nutzen, um die Einberufbarkeit hinauszuzögern. Also zum Beispiel Anträge stellen auf Zurückstellung oder auf eine Tauglichkeitsprüfung. Je später jemand verfügbar wird, umso wahrscheinlicher ist, dass er nicht mehr dienen muss.
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