MEHR ODER WENIGER MITBESTIMMUNG: Demokratie im Alleingang

Dreieinhalb Jahre rangen Bremerhavens Parteien um mehr Bürgerbeteiligung. Nun präsentiert die SPD den angeblichen Konsens - vor Ende der Verhandlungen.

Pathetisch, aber glaubwürdig: 1932 stellte sich die SPD als Kämpferin für die Demokratie dar. Bild: Archiv

Das Thema galt als brenzlig, entsprechend harsch waren die Vorschriften: Für die Bremerhavener Stadtverordneten, die in der parteiübergreifenden Arbeitsgruppe darüber diskutierten, galt strikte Verschwiegenheitspflicht. Und selbstverständlich tagte man unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Es ging schließlich um - mehr Bürgerbeteiligung in Bremerhaven.

Am Freitagmittag brach die SPD das langjährige Schweigen. In einer Pressemitteilung präsentierte sie "die bisherigen Ergebnisse der Arbeitsgruppe" - als eigene "Vorschläge der SPD". Es sei nun "lange genug getagt worden", begründete der Vorsitzende des SPD-Unterbezirks Bremerhaven, Siegfried Breuer, seinen Schritt.

FDP und Grüne zeigten sich irritiert. Es sei "ausgesprochen verwunderlich", dass die SPD jetzt an die Öffentlichkeit presche, sagte der Stadtverordnete Mark Ella, der für die FDP in der Arbeitsgruppe saß, denn: "Die Verhandlungen sind noch nicht abgeschlossen."

Die Bürgerbeteiligung in der Seestadt zu verbessern, hatten SPD und CDU bereits 2007 im Koalitionsvertrag fest vereinbart. Und weil das die Grundfesten des Gemeinwesens berührt, zudem die Stadtverfassung mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit geändert werden muss, durften auch VertreterInnen anderer Parteien mitdiskutieren. Präsentieren, so die Abmachung, werde man nur Vorschläge, die einen parteiübergreifenden Konsens erzielten.

Den zu finden erwies sich indes als ausgesprochen mühsam. Über welche Themen dürfen BürgerInnen selbst entscheiden? In welchen Verfahren? Mit welchen Quoren? Sechs Monate sollten die Beratungen dauern. Inzwischen tagt die Gruppe schon dreieinhalb Jahre.

Durch die Debatte um die Oberbürgermeister-Nachfolge, die in der Seestadt seit Tagen für Schlagzeilen sorgt (taz vom 11. 8.), befindet sich insbesondere die SPD in Bedrängnis: Amtsinhaber Jörg Schulz (SPD) lässt sich ab Januar beurlauben, die SPD will deswegen den Posten mit einem anderen SPD-Mann quasi doppelt besetzen. Das empfinden längst nicht mehr nur die Grünen als undemokratisch. Während die CDU schweigt - ihr Chef Michael Teiser würde als Stellvertreter Schulzens Amtsgeschäfte führen, bis es einen neuen Amtsinhaber gibt - haben sich FDP und Linke der Grünen-Forderung angeschlossen, die Seestadtspitze künftig direkt wählen zu lassen, also unter größtmöglicher Bürgerbeteiligung.

Auch darüber hat die hoch geheime Arbeitsgruppe womöglich diskutiert. In den per Pressemitteilung verbreiteten "Vorschlägen der SPD" findet das Thema indes keine Erwähnung. Diese beschränken sich vielmehr auf vier Punkte.

So sollen künftig schon etwa 850 Unterschriften - 0,75 Prozent der Wahlberechtigten - reichen, um die Beratung eines Themas in der Stadtverordnetenversammlung per Einwohnerantrag zu erzwingen. Bisher ist mehr als das Doppelte nötig. Ausschusssitzungen sollen mit "Bürgerfragestunden" beginnen. Nur noch 7,5 statt 10 Prozent der Wahlberechtigten sollen für ein Bürgerbegehren unterschreiben müssen. Und das Quorum beim Bürgerentscheid, das neben der einfachen Mehrheit erforderlich ist, soll von 30 auf 20 Prozent sinken.

Das indes ist längst nicht alles, was in der Arbeitsgruppe Thema war - weswegen auch Claudius Kaminiarz von den Grünen über den Vorstoß der SPD nur den Kopf schütteln kann. "Eine abschließende Einigung steht noch aus", unterstreicht auch er.

Unterschiedliche Ansichten gibt es dem Vernehmen nach insbesondere bei der Frage, ob bestimmte Themen für Bürgerbegehren und Ähnliches tabu sein sollen. Die bisherigen Regelungen dazu sind außerordentlich restriktiv.

So beschränkt die Stadtverfassung Bürgerentscheide derzeit auf "wichtige Selbstverwaltungsangelegenheiten", schließt zugleich aber unter anderem alle Entscheide aus, die den "Erlass von Ortsgesetzen", "Verfügungen über das Vermögen der Stadt" oder die "Veräußerung von öffentlichen Einrichtungen" zum Inhalt haben. Das kommt einer Totalblockade gleich. Kein Wunder, dass es in der Geschichte Bremerhavens erst ein einziges Mal einen Bürgerentscheid gab, der zudem erfolglos blieb.

Tim Weber, Sprecher des Vereins Mehr Demokratie in Bremen, hält die thematischen Einschränkungen deswegen für den "entscheidenden Punkt". Wie FDP und Grüne plädiert er dafür, ganz auf sie zu verzichten: Alles, worüber die Stadtverordneten entscheiden dürften, sollten auch die BürgerInnen selbst entscheiden können.

Davon ist Bremerhaven weit entfernt. Alle Planverfahren wie etwa Bebauungspläne sollen nach dem Willen der großen Koalition auch künftig für Bürgerentscheide tabu bleiben. Die bisherigen Beteiligungsrechte seien ausreichend. Und während etwa die Bremer Landesverfassung seit Jahren per Plebiszit geändert werden kann, blockten SPD und CDU eine analoge Regelung für die Kommunalverfassung Bremerhavens bisher vehement ab.

Immerhin, lobte Ella, scheine die SPD nun zumindest die abgesenkten Quoren für Bürgerentscheide akzeptiert zu haben. Dies sei "ein Schritt in die richtige Richtung".

SPD-Mann Joachim Haase betont, die von der SPD präsentierten Vorschläge seien "Konsens" innerhalb der Arbeitsgruppe - wenngleich diese ihre Arbeit noch nicht beendet habe. Ein nächstes Treffen steht seit Wochen aus. Einladen dazu müsste der Sprecher der Arbeitsgruppe. Das ist - Haase.

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