piwik no script img

BeschäftigungsverbotSchwanger, nicht krank

Schwangeren Frauen, die ein Beschäftigungsverbot vom Arzt erhalten, wird das Arbeitslosengeld gestrichen - die Bundesarbeitsagentur will es so. In Schleswig-Holstein klagt jetzt die erste Betroffene. Ihre Chancen, vor Gericht zu gewinnen, stehen nicht schlecht.

Wer schwanger ist, ist nicht gleich krank: Boris Becker und seine Lilly. Bild: dpa

Eigentlich, so dachte Isabel Kirner, ist alles nur eine Formalität. Seit Februar war die schwangere Pharmareferentin ohne Job und bezog Arbeitslosengeld I. Mitte Juli drohten plötzlich mehrmals Fehlgeburten, aus Sorge um das Kind stellte ihr der Arzt ein Beschäftigungsverbot aus. Sie solle Bettruhe halten, sich nicht aufregen.

Als die 28-Jährige aus dem Kreis Ostholstein die Bescheinigung bei der zuständigen Lübecker Agentur für Arbeit einreichte, wurde ihr jedoch mit sofortiger Wirkung das Geld gestrichen. Begründung: Durch das Beschäftigungsverbot stünde sie dem Arbeitsmarkt nicht mehr zur Verfügung. Und wer nicht vermittelbar sei, erhalte auch kein Arbeitslosengeld I.

"Ich stand mit beiden Beinen fest im Leben. Jetzt hat mir die Arbeitsagentur den Boden unter den Füßen weggerissen", sagte Isabel Kirner den Lübecker Nachrichten. Sie sah ihre Existenz und die ihres Kindes bedroht. Ihr seien nur zwei Möglichkeiten geblieben: Hartz IV beantragen - oder vor Gericht gehen. Sie hat Klage eingereicht.

Die Lübecker Arbeitsagentur beruft sich in ihrer Entscheidung auf eine Richtlinie der Bundesagentur. Deren Sprecherin Ilona Mirtschin sagt, der zuständige Sachbearbeiter habe sich lediglich an die Vorschrift gehalten. "Bei einem generellen Beschäftigungsverbot ist man auf dem Arbeitsmarkt nicht mehr einsetzbar", sagt Mirtschin. Die Lübecker Agentur sei verpflichtet gewesen, das Arbeitslosengeld I zu streichen.

Michael Vogt ist Arbeitsanwalt und hat sich mit Fällen wie dem von Isabel Kirner beschäftigt. Der Gesetzesgeber sei verpflichtet, die werdende Mutter zu schützen, sagt er. Bei einem Beschäftigungsverbot dürfe sie nicht arbeiten, arbeitsunfähig oder krank sei sie aber auch nicht - "eine eindeutige Gesetzeslücke, die geschlossen werden muss". Nach seiner Einschätzung kann es jedoch noch eine Weile dauern, bis die Arbeitsagentur ihre bundesweite Weisung ändert und Betroffene keine Streichung des Arbeitslosengelds mehr befürchten müssen. "Es haben erst wenige Frauen geklagt", sagt Vogt. "Der Druck muss größer werden." Der Anwalt rät deshalb jeder Betroffenen, vor Gericht zu ziehen.

Dass Isabel Kirner Recht bekommen könnte, dafür sprechen zwei Urteile aus Hessen und Baden-Württemberg. Beide Landessozialgerichte kippten die Entscheidungen der jeweiligen Arbeitsagenturen. Diese stellten eine Art "Ersatzarbeitgeber" dar und müssten deshalb - wie jeder andere Arbeitgeber auch - die Kosten für ein Beschäftigungsverbot nach dem Mutterschutzgesetz tragen. Krankengeld könnten die Betroffenen nicht beziehen, da Schwangerschaft keine Krankheit sei. In beiden Fällen wurde das Arbeitslosengeld von der Arbeitsagentur nachgezahlt.

Isabel Kirner hätte das Geld dringend nötig, der finanzielle Ausfall wird bei ihr und ihrem Mann immer größer. "Ich habe keinen Anspruch mehr auf Mutterschutz, Eltern- und Krankengeld", sagt sie. Dafür hätte sie durchgängig Arbeitslosengeld beziehen müssen. Ihre Krankenversicherung läuft zurzeit über ihren Mann. "Insgesamt wird der Ausfall 10.000 Euro betragen", sagt sie. "Heute bereue ich, dass ich mich nicht habe krankschreiben lassen." Dann wäre der Fall klar gewesen.

Dabei hatte Kirner noch Glück. Als sie wochenlang im Krankenhaus lag, nahm ihr Mann die Sache in Angriff und schaltete einen Anwalt ein. Die Kosten dafür sind durch ihre Rechtschutzversicherung abgedeckt. Wie es Frauen ergeht, die alleinstehend sind oder sich keinen Anwalt leisten können, will sich Isabel Kirner lieber nicht ausmalen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

3 Kommentare

 / 
  • E
    Elli

    Edur hat völlig Recht mit dem Beitrag, es sei noch hinzuzufügen, wenn ein Arbeitgeber nicht für einen schwangergerechten Arbeitsplatz sorgen kann/will (z.B.statt Nachtschicht- Tagschichten,oder statt Röntgenarbeitsplatz- Büroarbeit,statt schwere Gegenstände schleppen-Telefontätigkeit usw)besteht ein Beschäftigungsverbot, welches der AG auch selbst ausstellen kann!Wird allerdings meist dann vom Gyn.gemacht,denn der AG muß dann weiterhin das Gehalt bezahlen bis zur Geburt und möchte natürlich lieber dann eine AU, da muß er ja nur 6 Wo zahlen.

    Die Schwangere wäre ja auch zu bestimmten anderen Jobs s.o.vermittelbar gewesen,wahrscheinlich mit geringen Chancen...oder sie ist tatsächlich ARBEITSunfähig und zwar für sämtliche möglich Arbeiten!

  • E
    edur

    Der Arzt hätte in diesem Fall -offenbar einer Risikoschwangerschaft- einfach eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (auch Krankschreibung gennannt) aussstellen können. Denn offenbar war die Schwangere von einer Fehlgeburt bedroht, ohne jegliche Anstrengung zu vollbringen. Dann wäre ihr die jetzige finanzielle Misere erspart geblieben. Sie hätte ihr Arbeitslosengeld weiterhin beziehen können und nach sechs Wochen Krankengeld erhalten. Mir scheint eher, dass sich hier Rechtsanwälte profilieren wollten und ein Arzt in der Anwendung der Gesetze unbewandert war.

    Das Mutterschutzgesetz § 3-4 soll diejenigen werdenden Mütter schützen, die eine berufliche Tätigkeit ausführen, die die Schwangerschaft gefährden könnte, so z.B. sollte eine Restaurateurin nicht schwanger mit Hammer und Meißel auf einem Baugerüst herum klettern müssen. In einem solchen Fall muss der Arbeitgeber weiterhin Lohn zahlen, denn der Schwangeren kann diese Anstrengung und das Risiko nicht zugemutet werden, ohne die Schwangerschaft zu gefährden.

    Im Fall der o.g. Arbeitslosen wäre es nicht nötig gewesen, das Mutterschutzgesetz anzuwenden, denn die Arbeitslose führte ja gar keine Tätigkeit aus. Eine normale Bescheinung einer Arbeitsunfähigkeit wegen einer Risikoschwangerschaft hätte völlig ausgereicht und der Schwangeren eine Menge Probleme erspart.

     

    Hier zum Nachlesen der Gesetzestext aus dem Mutterschutzgesetz:

     

    § 3 Beschäftigungsverbote für werdende Mütter

    (1) Werdende Mütter dürfen nicht beschäftigt werden, soweit nach ärztlichem Zeugnis Leben oder Gesundheit von Mutter oder Kind bei Fortdauer der Beschäftigung gefährdet ist.

    (2) Werdende Mütter dürfen in den letzten sechs Wochen vor der Entbindung nicht beschäftigt werden, es sei denn, dass sie sich zur Arbeitsleistung ausdrücklich bereit erklären; die Erklärung kann jederzeit widerrufen werden.

    Nichtamtliches Inhaltsverzeichnis

    § 4 Weitere Beschäftigungsverbote

    (1) Werdende Mütter dürfen nicht mit schweren körperlichen Arbeiten und nicht mit Arbeiten beschäftigt werden, bei denen sie schädlichen Einwirkungen von gesundheitsgefährdenden Stoffen oder Strahlen von Staub, Gasen oder Dämpfen, von Hitze, Kälte oder Nässe, von Erschütterungen oder Lärm ausgesetzt sind.

    (2) Werdende Mütter dürfen insbesondere nicht beschäftigt werden

     

    1. mit Arbeiten, bei denen regelmäßig Lasten von mehr als fünf kg Gewicht oder gelegentlich Lasten von mehr als zehn kg Gewicht ohne mechanische Hilfsmittel von Hand gehoben, bewegt oder befördert werden. Sollen größere Lasten mit mechanischen Hilfsmitteln von Hand gehoben, bewegt oder befördert werden, so darf die körperliche Beanspruchung der werdenden Mutter nicht größer sein als bei Arbeiten nach Satz 1,

     

    2. nach Ablauf des fünften Monats der Schwangerschaft mit Arbeiten, bei denen sie ständig stehen müssen, soweit diese Beschäftigung täglich vier Stunden überschreitet,

     

    3. mit Arbeiten, bei denen sie sich häufig erheblich strecken oder beugen oder bei denen sie dauernd hocken oder sich gebückt halten müssen,

     

    4. mit der Bedienung von Geräten und Maschinen aller Art mit hoher Fußbeanspruchung, insbesondere von solchen mit Fußantrieb,

     

    5. mit dem Schälen von Holz,

     

    6. mit Arbeiten, bei denen sie infolge ihrer Schwangerschaft in besonderem Maße der Gefahr, an einer Berufskrankheit zu erkranken, ausgesetzt sind oder bei denen durch das Risiko der Entstehung einer Berufskrankheit eine erhöhte Gefährdung für die werdende Mutter oder eine Gefahr für die Leibesfrucht besteht,

     

    7. nach Ablauf des dritten Monats der Schwangerschaft auf Beförderungsmitteln,

     

    8. mit Arbeiten, bei denen sie erhöhten Unfallgefahren, insbesondere der Gefahr auszugleiten, zu fallen oder abzustürzen, ausgesetzt sind.

     

    (3) Die Beschäftigung von werdenden Müttern mit

     

    1. Akkordarbeit und sonstigen Arbeiten, bei denen durch ein gesteigertes Arbeitstempo ein höheres Entgelt erzielt werden kann,

     

    2. Fließarbeit mit vorgeschriebenem Arbeitstempo

     

    ist verboten. Die Aufsichtsbehörde kann Ausnahmen bewilligen, wenn die Art der Arbeit und das Arbeitstempo eine Beeinträchtigung der Gesundheit von Mutter oder Kind nicht befürchten lassen. Die Aufsichtsbehörde kann die Beschäftigung für alle werdenden Mütter eines Betriebes oder einer Betriebsabteilung bewilligen, wenn die Voraussetzungen des Satzes 2 für alle im Betrieb oder in der Betriebsabteilung beschäftigten Frauen gegeben sind.

    (4) Die Bundesregierung wird ermächtigt, zur Vermeidung von Gesundheitsgefährdungen der werdenden oder stillenden Mütter und ihrer Kinder durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates

     

    1. Arbeiten zu bestimmen, die unter die Beschäftigungsverbote der Absätze 1 und 2 fallen,

     

    2. weitere Beschäftigungsverbote für werdende und stillende Mütter vor und nach der Entbindung zu erlassen.

     

    (5) Die Aufsichtsbehörde kann in Einzelfällen bestimmen, ob eine Arbeit unter die Beschäftigungsverbote der Absätze 1 bis 3 oder einer von der Bundesregierung gemäß Absatz 4 erlassenen Verordnung fällt. Sie kann in Einzelfällen die Beschäftigung mit bestimmten anderen Arbeiten verbieten.

    Nichtamtliches Inhaltsverzeichnis [....]

  • P
    pablo

    Wie heißt es doch so schön: "Wenn Recht zu Unrecht wird. Wird wiederstand zur Pflicht". So wie diese Anweisung ausgelegt wird ist sie m.E. nicht gemeint. Einen ermessens Spielraum gibt es auch in diesem Fall. Die Arbeitsagentur liegt hier Falsch und gefährdet das wohl des noch ungeborenen Kindes, denn lt. Arztbescheinigung ist Bettruhe und Stress vermeindung angesagt. Und davon mal ganz abgesehen, kein wunder das es in Deutschland immer weniger Kindeer gibt, bei diesen familienfeindlichen Anweisungen, Forschriften und Gesetzen. Warum wird ein solcher Fall nicht vor dem Bundessozialgericht verhandelt um ein Grundsatzurteil zu erhalten und damit diese wiederliche Anweisung Gerichtlich zu stopen?