British Day: Gepflegte Langeweile
Der Hamburger Bürger hat ein Faible für England. Und wenn sich Hamburger und Briten begegnen, ist das eine Verkaufsmesse, bei der man nebenbei noch Krocket spielen kann, beim Schafe Hüten zusieht und vielleicht einen Mini Cooper Probe fährt.
Ein Mann, er trägt weiße Schuhe und ein dunkelblaues Sweatshirt, das Gummiband seiner weißen Kappe ist schwarzrotgolden, schaut konzentriert auf ein kleines Rasenviereck, auf dem nichts passiert. Auf dem Rasenviereck stehen kleine Tore, durch die man mittels eines Stocks kleine Bälle in unterschiedlichen Farben zu treiben versucht. Wer da keinen Sinn für hat, schläft alsbald ein. Ach, da schau an, das hätten wir fast übersehen. Da sind ein Mann und eine Frau, die Krocket spielen. Und der Mann, der da sitzt, klatscht und ist überhaupt ganz bei der Sache. Und da ist auch ein Schild, das auf einen Klub hinweist, nein, es ist ein Club, in dem man neben Hockey und Tennis auch Krocket spielen kann. Das Spiel hat bestimmt seinen Reiz. Bestimmt.
Hunderte von Menschen schauen zu, wie einige Border Collies vier Ostfriesische Milchschafe hüten. Sie treiben sie mal hierhin und mal dorthin. Mal stehen die Schafe still, mal die Hunde, mal rennen die Schafe, mal die Hunde. Mal rennen die Schafe und die Hunde stehen. Es ist auch mal umgekehrt. Mal stehen die Schafe eng beieinander, mal die Hunde. Das Gras ist ja so was von grün.
Schafe und Hunde gehören Axel Pistol, 60 Jahre alt, aus der Nähe von Osnabrück. Sicher, wer wollte das bestreiten, ist das die hohe Schule des durch Hund ausgeübten Schafe Hütens. Die ganz hohe Schule. Nur nach jahrelangem, intensivem Training ist dieser Grad an Perfektion zu erreichen. Und das fachkundige Publikum weiß das auch zu würdigen. Aber vielleicht würde dieses Publikum auch zuschauen, wenn nur Schafe da wären, oder nur Hunde, oder nur Herr Pistol. Oder nichts von alledem. Nur Grün.
Wenn es auf dem British Day, der am Wochenende auf der Anlage des Poloklubs in der Jenischstraße in Hamburg Klein Flottbek begangen wurde, etwas gab, das über die Klischees hinaus britisch war, dann die Ausübung der Kunst der gepflegten Langeweile. Wenn das leicht wäre, wäre es keine Kunst.
Der Hamburger Bürger, das ist ja nur schon zur Genüge dargetan worden, hat ein Faible für England. Natürlich nicht für das Kommunistische Manifest von Herrn Dr. Marx und Herrn Engels, in London erschienen, auch nicht auf die englischen Gewerkschaften, Gin, die Labour Party, die Punks, Streiks, The Who, Hooligans, Plumpudding, aber dafür umso mehr für Privatschulen mit Kindern in Schuluniform, Rudern, die Klassengesellschaft, die Beatles, Freihandel, Whisky, Frauen in Tartanröcken, durch die Nase sprechen, Porzellan, Rassehunde, Wildlederjacken, steife Unterlippen, Scones, Knitwear, Jaguar, gewichste Stiefel, gerade auch an Frauenbeinen, Großwildjagd, Peitschen, Imperialismus und Mini Cooper.
Und dann wollen wir nicht den schönen, alten britischen Brauch vergessen, gerade den weniger begabten Mitgliedern bürgerlicher Familien gute Jobs mit klangvollen Titeln zu besorgen, mit denen sie nur ein bisschen Schaden anrichten können, aber viel Spaß haben. Senator zum Beispiel.
Der British Day ist, wie könnte es anders sein, wenn Hamburger und Briten sich begegnen, eine Verkaufsmesse. Fast alles von dem, was wir da eben aufgezählt haben, kann man erstehen. Und das Hamburger Bürgertum lässt sich nicht lumpen.
Autos, darunter, das versteht sich doch von selbst, ein silbergrauer Jaguar S-Type, und all die offenen kleinen Sportwagen mit diesen filigranen Felgen und Ledersitzen, fahren - rechts gesteuert - im Kreis. Als sie vom Rasen des Poloklubs herunter rollen, klatschen hunderte von Menschen, die dem in atemloser Spannung beiwohnten, freundlich Beifall. Männer in Kilts laufen durch die Gegend, Männer mit Biergläsern, in denen dieses schwarze Getränk, das in anderen Ländern als Fangopackung Verwendung findet, lüstern schwappt, Männer in kurzen Hosen, Kniestrümpfen und schneeweißen Beinen, Männer mit roten Gesichtern, Männer mit roten, knubbeligen Nasen und schwindelerregend großen Poren in derselben.
Die "Scottish Country Dancers of Hamburg", wir lernen Falk Karstens, Ingenieur, und Faye Schmitz, Rechtsanwältin, kennen, tanzen "Marys Wedding" und "Capetown Wedding". Die Frauen können nur schwer verbergen, welche Lust ihnen das Tanzen bereitet. Gerade schottische Tänze können von deutschen, also von großen, kräftigen Frauen mit starken Zähnen, bewältigt werden. Frauen, denen man so grazile Bewegungen nicht zutraut. Man könnte fast vergessen, dass Tanzen etwas mit Erotik zu tun hat. Während "Capetown Wedding" setzt Regen ein. Nein, dass der Wettergott daran gedacht hat! Wie gemalt.
Männer hängen über ihren zweisitzigen Sportwagen, die Motorhaube schwebt drohend überm Genick. Natürlich leidet der MG unter kleinen Mucken. Da drüben werfen irgendwelche Leute Gummistiefel, mancher wäre froh, er hätte welche an.
Es scheint so, als ob die hohen Töne des Dudelsacks auf Dauer Hörschäden, wir tippen mal auf Tinnitus, verursachen können, denn einige der zwölf Pfeifer von "Baul Muluy Pipes & Drums" tragen winzig kleine Ohrstopfen. Man sieht sie kaum, so klein sind sie. "Paul Muluy Pipes & Drums" ist mit etwa 50 aktiven Mitgliedern die derzeit größte Band dieser Art in Norddeutschland. Sie spielen diese Lieder, mit denen die Schotten in die Kriege, in denen sie sich von den Engländern haben abschlachten lassen, gezogen sind.
Hunderte schauen zu, wie einige Damen im Damensattel grazil über den Rasen des Poloklubs reiten. Sie würden vielleicht auch schauen, wenn keine Damen, kein Sattel und keine Pferde da wären. Es geht nicht um die Damen, die Pferde und die Sättel. Es geht um die Langeweile. Ein nicht einfach zu erreichender Zustand. Vor allem wenn sie gepflegt sein muss. Und das muss sie. In der Tat.
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