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AngstAktion Feuerzauber reloaded

Schneller als die Polizei klärt Niedersachsens Unions-Fraktion Brandstiftungen auf: Alles das Werk von "radikalisierten Tierschützern".

Achtung: Radikalisierte Tierschützer platzieren leicht entzündliches Material an Mastputen. Bild: dpa

Ernst ist die Lage in Niedersachsen. Und es steht "zu befürchten, dass sich die Gefahr für landwirtschaftliche Betriebe erhöht". Denn der Terror hat seine blutige Hand aufs Agrar-Industrieland gelegt, fast wie 1978, bloß in Gestalt "so genannter radikalisierte Tierschützer". Die hätten nämlich durch "gezielte Brandstiftung" am 30. Juli in Sprötze und am 21. August in Ahlhorn das "Leben von Menschen und Tieren" gefährdet.

So heißt es in einer "Resolution der Fraktionsvorsitzenden im Niedersächsischen Landtag", wohlgemerkt aller Fraktionsvorsitzenden. Und natürlich verurteilt die "auf das Schärfste die Brandanschläge". Sie findet sich online zwar nur auf der CDU-Website, jedoch mit allen sechs Namen drunter.

Bloß: uu Unrecht. Außer Björn Thümler, Chef der Landtags-CDU und Verfasser des Brandbriefs, will das so nicht einmal Koalitionsfreund Christian Dürr (FDP) unterzeichnen. Und verstimmt haben die Oppositions-Spitzen reagiert: Seine Nennung bezeichnete Stefan Schostok (SPD) als "befremdlich", Stefan Wenzel (Grüne) drohte gar mit "rechtlichen Schritten" gegen diese "Fälschung". Die Linke antwortete mit einer parodistischen "Resolution der Vorsitzenden der Fraktionen von CDU und Die Linke", die Thümler als Mitunterzeichner aufführt und ganz in seinem Jargon "auf das Schärfste die soziale Auslese im Bildungssystem" verurteilt.

Aktion Feuerzauber I

Einschlägige Erfahrung mit terroristischen Brandanschlägen sammelte die Niedersachsen-CDU bereits 1978 mit der Aktion Feuerzauber. Sie fand kurz nach der Wahl, die Ernst Albrecht als Ministerpräsidenten bestätigte, an der Justizvollzugsanstalt Celle statt.

Dort führten am 25. Juli 1978 um 2.54 Uhr zwei Kriminelle mit Ausstattung und im Auftrag des Landesamtes für Verfassungsschutz eine Teilsprengung der Gefängnis-Mauer durch.

Es entstand das "Celler Loch". Erst 18 Jahre später stellte sich heraus, dass diese Intervention in den öffentlichen Raum doch nicht zu Lasten der RAF, sondern des Verfassungsschutzes und des CDU-Ministerpräsidenten Albrecht ging.

Das Loch wurde beim Neubau der JVA 1998 en bloc herausgefräst. Es dient seither als Mahnmal gegen Staatsunsinn.

Das ist geschmacklos. Denn das Bildungsthema ist ein ernstes und empirisch belegt. Anders, als der Trend zum Tierschutz-Terrorismus: Anzeichen für den wittern Thümler & Co. in den genannten Brandstiftungen. Zwar ist weder das Abfackeln einer neuen Hähnchenmastanlage in Sprötze, noch das eines Papiercontainers bei der Putenbrüterei der Landwirtschaftsministerin Astrid Grotelüschen bislang aufgeklärt. Und zwei Brände sind noch nicht sehr viele. Trotzdem schwadroniert Unions-Sprecher Oliver Wagner von "einer Häufung von Vorfällen" und einer "Gesamtlage", auf die zu reagieren sei - per Resolution. "Es hat ja auch", erwähnt er dann, "eine Morddrohung gegen die Ministerin gegeben."

Das weiß er genau. Denn während die Fragen nach Grotelüschens Verwicklung in tierquälerische Putenmast immer drängender wurden, war ein Drohbrief gegen sie eingegangen - komischerweise an die Unionsfraktion. "Das war ein handschriftlicher Brief", so Wagner, "und heftig im Wortlaut." Zudem wurde "ein konkreter Zeitpunkt benannt", nämlich "der Monat August". Klingt nach Spinner-Post - war aber für die CDU Anlass genug, die Medien zu alarmieren. Immerhin ermittelt das Landeskriminalamt und hier wenigstens scheint der Kontext klar.

Anders als bei den zwei Brandstiftungen: In Sachen Sprötze ist ein anonymes Kommuniqué öffentlich geworden, im Internet. Die Verfasser sympathisieren mit der Tat, schildern sie aber nicht kenntnisreicher, als die Presseagenturen. Beweist das die Täterschaft von Tierschützern? "Bei uns stehts noch nicht fest", so die Auskunft der Staatsanwaltschaft Stade. Und die in Oldenburg hat nicht einen Hinweis darauf, dass den Papier-Tonnen-Brand bei der Ahlhorner Ministerinnenbrüterei Tier-AktivistInnen gelegt haben könnten. "Es kommt im Grunde jeder als Täter in Frage", so ihr Sprecher Rainer du Mesnil. Tatsächlich kennt die Kriminalgeschichte AlkoholikerInnen, feindliche Nachbarn und liebeskranke Feuerwehrleute als Brandstifter. Ja, in Niedersachsen hat sogar einst der Verfassungsschutz eine Aktion Feuerzauber koordiniert, 1978, in Celle. Damals schiens dem CDU-Ministerpräsidenten opportun, Terrorismus-Ängste zu schüren.

Greifbare Hinweise auf eine Neuauflage des Skandals gibt es ebenso wenig, wie zwingende Anlässe für eine gemeinsame Resolution. Dürr, der Chef der FDP-Fraktion, glaubt trotzdem, dass sie zustande kommt. "Das ist eine Frage der Formulierungen", sagt er, etwas in Richtung "Gewalt ist keine Lösung". Hui! Ein solcher Beschluss, das wäre natürlich eine echte Sternstunde des Parlaments.

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3 Kommentare

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  • KU
    Karin Ulich

    Je mehr Dreck einer am Stecken hat, desto energischer muss er einen vermeintlich Schuldigen lautstark verurteilen - am besten den, der es wagt, den Dreck am Stecken zu kritisieren. Das ist ein alter, bewährter Trick aus der politischen Mottenkiste. Hoffentlich ist er bekannt genug, um von der Mehrheit der Niedersachsen durchschaut zu werden. Was dort im Landwirtschaftsministerium zur Zeit abgeht, würde zu einem Film der Marke Groteske passen und ihn vielleicht sehenswert machen. Es ist jedoch bitterer Ernst, dass die Bürger dreist und plump belogen und betrogen werden - das kann auf Dauer nicht gut gehen. Auf jeden Fall wird die Politikverdrossenheit weiter wachsen. Ach ja, wer hat die Putenlobbyistin Grotelüschen ins Amt gehievt? Doch wohl nicht unser heutiger Bundespräsident??

    Karin Ulich

  • A
    Antonietta

    Das angeblich zarte Fleisch der Puten gilt als besonders gut verträglich. Millionen der Tiere werden jedes Jahr in Deutschland verspeist, doch kaum einer macht sich Gedanken darüber, wie die Puten gehalten werden. Auch den Gesetzgeber interessiert dies anscheinend nicht: Obwohl in Deutschland so gut wie alles per Gesetz geregelt ist, wird bei der Putenhaltung nichts geregelt. Jeder Mäster genießt eine Art Narrenfreiheit und könnte sogar noch mehr Puten in eine Halle pferchen, als er es jetzt schon tut. Tageslicht und grüne Wiesen, Platz zum Laufen und Heu zum Picken: So stellen sich Verbraucher eine Putenhaltung vor, doch in den meisten Fällen sieht die Realität ganz anders aus.

  • EP
    E. Petras

    Im Sachunterricht lernen schon Grundschulkinder, Medienberichte zu hinterfragen: "Wer profitiert davon?". Ja, wer profitiert von der Kriminalisierung der Tierschützer? Keiner der Vereine kann ein Interesse daran haben!

     

    Anstatt Vorverurteilungen auszusprechen, sollten zunächst einmal die bewiesenen Dauerverstöße gegen das Tierschtuzgesetz verfolgt werden, auch wenn die für die Kontrolle zuständige Ministerin lieber beide Augen kräftig zudrücken würde.

     

    Das Tierschutzgesetz besagt in § 2, Abs. 2, wer ein Tier halte, müsse es seinen Bedürfnissen entsprechend tun und es dürften den Tieren durch die Haltung keine vermeidbaren Schmerzen und Leiden entstehen.

     

    Genau dies aber geschieht regelhaft in allen Putenhaltugnsbetrieben, wie Studien einwandfrei bestätigen, denn fast 100% der Tiere leiden unter Fußschäden/Fußentzündungen, von den vielen anderen krankheiten (Brustblasen bei 27% der männlichen Tiere, sehr häufigs Auftreten von Campylobakter, z. T. resistenter Art...) gar nicht zu reden.

     

    Es ist schlicht nicht mehr hinnehmbar, Recht und Gesetz dauerhaft zu unterwandern, die Ställe kritischen Stimmen zu verschießen und Verbrauchern eine heile Welt "gesunder Puten" vorzugaukeln.