HAMBURGER SZENE VON JOHANN TISCHEWSKI
: Weihnacht an der Tanke

Für meinen alljährlichen Heiligabendspaziergang habe ich mir diesmal ein ganz besonderes Ziel ausgesucht: die Esso-Tankstelle auf dem Kiez. Ich dachte mir, wenn es in dieser Stadt schon einen Ort gibt, der so viel Hoffnungslosigkeit ausstrahlt, muss ich ihm an Weihnachten doch einfach einen Besuch abstatten.

Ähnliches hat sich wohl auch Franz Wittenbrink gedacht, dessen Stück Nachttankstelle gerade wieder im St.Pauli Theater aufgeführt wird. Es erzählt die Geschichte von sieben gescheiterten Existenzen, die sich an Heiligabend auf der Kiez-Tankstelle treffen.

Gelber Schnee schmiegt sich an die weißen Fliesen des Gebäudes. „Ja Herr Wittenbrink“, denke ich mir als ich den Ort der Traurigkeit betrete, „wer hier heute abhängt, muss wirklich irgendetwas falsch gemacht haben.“ Aber dann treffe ich den Tankwart Özgür, der mal wieder richtig gut drauf ist. „Um die Schicht haben wir uns alle gerissen“, sagt er, „gibt nämlich 150 Prozent Lohn heute.“

Auch sonst ist nur wenig Trübseeligkeit zu spüren, im Gegenteil: Die Tankstelle scheint ein Treffpunkt für alle Weihnachtshasser zu sein. „Ach, das ist heute?“, fragt Julian und Nico, der heute Abend noch auf eine Reggae-Party in der Fabrik möchte, findet: „Der Kitschscheiß sollte verboten werden.“ So wenig Melancholie an Heiligabend verärgert mich dann doch irgendwie. Deprimiert gehe ich wieder nach Hause.