piwik no script img

SchanzenfestRuhe vor dem Sturm

Tagsüber, wenn das Fest stattfindet, gibts Picknick und Trommeln. Polizisten sieht man nur wenige, ihre Autos kann man in klein auf dem Flohmarkt kaufen.

Kann man bei der zehnjährigen Irem kaufen und kommt abends dann in groß: Polizeiauto. Bild: Ulrike Schmidt

"Bongdibongdibong". Drüben wird getrommelt. Im Schanzenpark ist Picknick, vor der Flora kann man seinem T-Shirt per Siebdruck zu einer politischen Botschaft verhelfen. In der Juliusstraße 27-29 hängt aus einem der Fenster der oberen Stockwerke ein Transparent, auf dem steht: "Geht woanders spielen". Es ist Samstag, elf Uhr morgens, die Sonne scheint, das Schanzenfest läuft.

Ulrike kauft eine Jacke für fünf Euro. Eine Mutter fragt: "Wo ist Lilly?", und eine Zweijährige hat ihren Schnuller weggeworfen. Die Mutter spricht von einer "Katastrophe", bis sie ihn wiederfindet und das Kind glücklich "Lollolollo" lallt.

Am Büchertisch eines Profis, nicht weit von der Bühne, hat sich eine junge Mutter für einen Moment vom Gedruckten ablenken lassen, schon ist die Tochter stiften gegangen. Nach 20 Sekunden vergeblicher Suche wird der Hals der Mutter rot und ihre Stimme hat einen panischen Ton, als sie die Umstehenden fragt: "Hast Du ein Mädchen gesehen, etwa so groß." Dann sieht sie ihre Tochter, die am Fernsprechautomaten steht und zu telefonieren versucht. Keine schlechte Leistung, wen man noch keine drei ist.

Sie: "Oh, guck mal da, die Handtasche, die ist schön." Er: "Du trägst doch nie Handtaschen." Sie: "Wenn ich die rote hätte, würde ich vielleicht eine tragen." Er: "Aha."

Das Buch "Ein Kind entsteht" wird gekauft. Wenn man hier viel von John Updike sieht, heißt das nun, dass Updike gelesen wird, oder dass er nicht gelesen wird? Kinder spielen noch mal mit den Sachen, die sie verkaufen wollen. Von den Sachen, die sie verkaufen, wünschen sie in 30 Jahren, sie hätten sie noch.

Radio Kölsch, seit 1922 in Hamburg, saß Schanzenstraße 1. Ist vor nicht ganz zwei Wochen ausgezogen und sitzt nun Kreuzbrook 14. An den Schaufenstern in der Schanzenstraße wird der Passant darüber informiert, dass der Vermieter für 75 Quadratmeter 5.700 Euro wollte. Im Schaufenster der entsprechende Kommentar: "Ich bin doch nicht blöd." Gerüchte sagen, Tom Tailor zieht in die Räume. Ist Tom Tailor blöd?

Während die meisten Verkäufer hinter den improvisierten Ständen aus der Schanzenszene kommen, ist das Publikum gemischt. Es gibt auch High-Heels mit Caipis.

Das Haus Bartelsstraße 33 steht leer. Angeblich sind alle angestammten Mieter raus und die Wohnungen werden bei Events wie Cyclassics und Hamburg-Marathon tage- und wochenweise vermietet. Ob es sich um eine verbotene Umwandlung von Wohnraum handelt, wird geprüft. Es gibt einige Stände auf dem Schanzenfest, die sich mit "Gentrification" beschäftigen, einige Demonstranten auch.

Irem, zehn, verkauft auf dem Schulterblatt, schräg vor der Deutschen Bank, ihre Spielsachen und die ihres Bruders Yusuf, sieben. Am Ende wird halbe-halbe gemacht. Von Yusuf sind die Plastikmonster und die Autos, darunter ein sehr schönes von der Polizei. Von Irem sind die Bücher, der Mond und Spongebob. Sie sagt, dass es "leicht war, sich von den Sachen zu trennen". Ihr "Herz hing nicht dran". Die Sachen, an denen ihr Herz hängt, "sind zu Hause". Sie hat 15 Euro eingenommen und weiß noch nicht, was sie mit dem Geld machen wird. Neue Spielsachen kaufen? "Glaub ich nicht."

Vor der Deutschen Bank ist eine Wäscheleine gespannt an der Tops sanft im Wind schaukeln. Die Bank selbst erwartet für die Nacht eine Schlacht. Riesige Platten vor den Schaufenstern, abgedichtet, festgeschraubt. Vor der Bank kann man "Police Academy. The Complete Collection" kaufen. Die Polizei aus Fleisch und Blut läuft als Duo mit Headset durch die Reihen. Das "Haus 73" und der "Saal II" haben heute nicht geöffnet. Einige Restaurants und Geschäfte sind verbarrikadiert. Noch ist alles friedlich, aber entspannt ist anders. "Bleibt trocken heute", sagt einer von den alten, hart gesottenen Schanzenjungs zu seinem Kumpel Peter, mit Blick auf den Himmel. "Jo", sagt Peter, bis die Wasserwerfer kommen." Die Trommeln machen "Bongdibongdibong".

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

2 Kommentare

 / 
  • V
    volker

    Schade schade, Radio Kölsch war einer der besten Läden im Viertel

  • AL
    Andreas Lappöhn

    Was soll dieses verharmlosende Geschreibsel?

     

    Das Schanzenfest, und besonders die darauffolgende Nacht, ist längst zu einem bundesweit bekannten Ereignis verkommen, zu dem gewaltbereite Hooligans aus dem gesamten Bundesgebiet anreisen und weder die Veranstalter des Festes noch die Floristen sind in der Lage, dies zu verhindern und können nur noch ungenügend ihre eigene Hilflosigkeit gegenüber diesem Mob kaschieren!