80 Öko-Promis: Den Kurs der Welt wechseln
In Bonn trafen sich 80 Trägerinnen und Träger des alternativen Nobelpreises. Sie warnen vor gefährliche Entwicklungen – und zeigen, dass eine humane Welt möglich ist.
BONN taz | Ohne Zweifel: So viele kluge und charismatische Menschen findet man selten an einem Ort. Etwa 80 alternative Nobelpreisträger trafen sich diese Woche in Bonn unter dem Motto: Kurs wechseln. Das öffentliche Interesse an den Einschätzungen und Erfahrungen dieser zivilgesellschaftlichen Pioniere aus aller Welt war allerdings nicht allzu hoch - obwohl sie nicht nur schockierende Gefahren aufzeigten, sondern auch vielfältige Lösungsansätze präsentierten.
Der Kanadier Pat Mooney warnte vor aktuellen naturwissenschaftlichen Trends, die mit Milliardensummen aus den Staatskassen gefördert werden: Technische Lösungen sollten mal wieder Menschheitsprobleme lösen, allerdings ohne mögliche Nebenwirkungen zu beachten.
So kippten deutsche Wissenschaftler kürzlich Eisensulfat in den Südatlantik, um die Algenblüte anzuregen. Sie hofften, die abgestorbenen Organismen würden das zuvor gebundene klimaschädliche Kohlendioxid (CO2) zum Meeresboden mitnehmen. Auch andere Geo-Engineering-Projekte, bei denen Partikel in die Stratosphäre katapultiert werden sollen, zielen darauf ab, den Klimawandel aufzuhalten.
Mit großer Geschwindigkeit und völlig ohne gesetzliche Beschränkungen entwickelt sich die Nanotechnologie. Dabei geht es um nicht weniger als um die Verschmelzung von Biologie, Chemie und Physik auf molekularer Ebene.
Wie einst bei der Atomkraft ist die neue Technik mit großen Versprechen auch zur Armutsbekämpfung verbunden. Die winzigen Partikel, die nur ein Milliardstel eines Meters groß sind, verhalten sich ganz anders als die gleichen Stoffe in größeren Mengen - was Ressourcenprobleme lösen soll.
Allerdings können ansonsten harmlose Stoffe im Nanobereich giftig oder explosiv werden. Außerdem können die kleinen Teile ungehindert ins Hirn oder in die Plazenta wandern. In einem US-Labor wurde bereits mit Hilfe der Nanotechnologie lebendes Material mit völlig neuartiger DNA erschaffen. Pat Mooney forderte ein Forschungsmoratorium.
Die als Dialogpartnerin eingeladene Beatrix Tapesser vom Bundesamt für Naturschutz (BfN) bestätigte, dass viel Geld in Nano- und Genforschung fließe. Wissenschaftler, die sich kritisch zu diesen Bereichen äußerten, hätten zudem bei der Publikation entsprechender Texte Schwierigkeiten.
Auch die internationale Übereinkunft, keine genmanipulierten Pflanzen in den Herkunftsgebieten anzubauen, gelte offenbar seit kurzem nicht mehr. Dabei sind Freisetzungen nie mehr rückholbar. In Kanada sind Soja und Raps gentechnisch völlig verseucht, warnte Bauer Percy Schmeiser, der vor Gericht erfolgreich Schadenersatz von Monsanto eingefordert hatte.
"Gentechnik, Agrarindustrie und ökonomisches Wachstum verringern den Hunger nicht - Indien beweist das Gegenteil", fasste Vandana Shiva zusammen. Dagegen könnte eine kleinteilige, auf Vielfalt und regionale Besonderheiten ausgerichtete Landwirtschaft die Menschheit ernähren und sei außerdem anpassungsfähiger in Bezug auf den Klimawandel.
"Dem Biolandbau gehört die Zukunft", rief die indische Quantenphysikerin und Initiatorin einer starken Graswurzelbewegung. Allerdings geht es vielerorts erst mal weiter in die entgegengesetzte Richtung: In Brasilien versprühen die Großgrundbesitzer 22,5 Kilo Pestizide pro Hektar und Jahr - so viel wie nie zuvor, berichtetet Maria Salete von der Landloseninitiative MST.
Dagegen ist es der Konsumentenkooperative Seikatsu Club in Japan gelungen, den Einsatz von Chemikalien in der Landwirtschaft zurückzudrängen. Etwa 350.000 Haushalte sind inzwischen beteiligt - viele, weil ein Familienmitglied Allergiker ist. Die Regionalgruppen beziehen die Lebensmittel von Bauern aus der Umgebung und handeln mit ihnen die Anbaumethoden aus. Während der Erntezeit helfen Freiwillige.
Professor Anwar Fazal aus Malaysia, Begründer der südostasiatischen Verbraucherbewegung, will Informationen über erfolgreiche Projekte weltweit leichter zugänglich machen. "Nichts überzeugt Menschen mehr als ein gutes Beispiel."
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Alkoholpreise in Deutschland
Das Geschäft mit dem Tod
Soziologe über Stadt-Land-Gegensatz
„Die ländlichen Räume sind nicht abgehängt“
Jüdische Wähler in den USA
Zwischen Pech und Kamala
Krieg im Libanon
Netanjahu erhöht den Einsatz
US-Präsidentschaftswahlen
Warum wählen sie Trump?
Die US-Wahl auf taz.de
CNN und AP erklären Trump zum Wahlsieger