Kinosterben: Der Letzte macht die Lichter aus.

Der Ort war einmal als Filmstadt bekannt: Über 90 Kinofilme wurden nach 1945 in Göttingen gedreht, darunter "Die Buddenbrooks" mit Lieselotte Pulver und "Natürlich die Autofahrer" mit Heinz Erhardt. 1960 zog die Göttinger Filmaufbau-Gesellschaft in Richtung München davon - und heute bangen die Göttinger sogar um die letzten Leinwände.

Glorreiche Vergangenheit: das 1957 eröffnete "Sterntheater Sternchen" gibt es bis heute. Bild: Städtisches Museum Göttingen

Wer in das letzte Programmkino in Göttingens Innenstadt will, muss erst über eine Treppe in den ersten Stock des Hauses in der Weender Straße. Das Treppenhaus hängt voller Filmplakate. Eintrittskarten und Popcorn gibt es an einem kleinen Tresen, der Kinosaal, 180 Plätze, ist gleich nebenan.

Das "Cinema" ist vor allem eins: gemütlich. Hier werden seit Jahrzehnten bekannte und weniger bekannte Filme gezeigt, Klassiker und Streifen jenseits des Mainstreams. Regisseure und Schauspieler kommen immer wieder her, um Erstaufführungen ihrer Arbeiten zu unterstützen. Manchmal werden die Filme auch von Livemusik begleitet.

Für sein Programm wurde das Kino mehrfach ausgezeichnet, zuletzt vor einem Jahr mit dem Kinoprogrammpreis des Kulturstaatsministers. "Das Kino hat als Kulturort eine wichtige Funktion in der Mitte unserer Gesellschaft", sagte der Beauftragte für Kultur und Medien der Bundesregierung, Bernd Neumann, damals anlässlich der Preisverleihung. Er lobte die "anspruchsvollen Kinoprogramme" und betonte, dass die Kinos sich "nicht ausschließlich dem Kommerz unterwerfen müssen".

Zumindest in der Göttinger Innenstadt könnte es damit zum 1. Februar 2011 vorbei sein: Das Haus, in dem das Kino seit 1963 ansässig ist, ist verkauft worden. Der neue Besitzer will sanieren und umbauen, für Programmkino scheint dann kein Platz mehr zu sein. "Wir schauen uns nach neuen Räumen um", sagt Betreiberin Sandra Kirchner. Und das sei "nicht leicht, schon allein wegen der finanziellen Situation". Bislang hat sie noch nichts Konkretes gefunden, einige Möglichkeiten täten sich aber auf.

Unterstützung bekommt die Kinoliebhaberin, deren Vater einst das Cinema gründete, aus der Lokalpolitik und von ihrem Publikum. Eigens gegründet hat sich ein Verein "Filmkunstfreunde Göttingen". Erklärtes Ziel: "die Förderung der Filmkunst durch die Unterstützung des Cinema". Mehr als 300 Mitglieder helfen nun mit bei der Suche nach neuen Räumlichkeiten - und nach Sponsoren.

Dieses Engagement gefällt auch den Göttinger Grünen. Sie könne sich die Stadt ohne anspruchsvolle Programmkinos "nur schwer vorstellen", sagt ihre kulturpolitische Sprecherin Dagmar Sakowsky. Sicher: Es gebe heute fast jeden Film als CD oder zum Download, sagt sie - "aber was bekommen wir für eine armselige Filmkultur, wenn uns Mangels Nachfrage die Orte verloren gehen an denen Menschen über das Kino miteinander in Kontakt kommen?"

Ob die Stadt das Cinema finanziell unterstützen würde, kann Sakowsky nicht sagen: "Ich kann keinen Haushaltsverhandlungen vorgreifen." Im Rahmen der neuen Förderrichtlinien könnten möglicherweise auch Kinoinitiativen unterstützt werden. "In diesem Jahr werden wir das allerdings nicht mehr umsetzen", sagt Sakowsky.

Früher war Göttingen einmal als "Filmstadt" bekannt: Mehr als 90 Kinofilme sind hier nach 1945 gedreht worden, darunter "Die Buddenbrooks" mit Lieselotte Pulver und "Natürlich die Autofahrer" mit Heinz Erhardt. 1960 verließ die Produktionsfirma Göttinger Filmaufbau-Gesellschaft die Stadt in Richtung München und mit ihr gingen auch die zahlreichen Schauspieler und Kamerateams.

Geblieben war die Freude am Kino: Dutzende Kinosäle mit Tausenden Sitzplätzen gab es in der Stadt, klangvolle Namen wie "Savoy", "Royal" oder "Capitol" zierten ihre Türen. Das Programm war vielfältig: Manche Häuser spezialisierten sich auf Porno-, Action- und Karatefilme, andere widmeten sich der Filmkunst. Aber wie vielerorts erging es auch den Göttinger Kinos: Nach und nach wurden sie weniger, den letzten Abwärtsschub besorgte die Ansiedelung eines Multiplex-Hauses 1996.

Heute gibt es neben dem Cinemaxx noch drei Programmkinos in Göttingen, davon überlebt das "Lumière" nur dank kommunaler Fördergelder. Wenn es ganz schlecht läuft, könnte es bald das letzte Programmkino seiner Art sein.

Denn auch um Göttingens ältestes noch erhaltenes Kino steht es laut Medienberichten nicht gut. Das "Sterntheater" in der Südstadt hat "Sanierungsbedarf", sagt Theaterleiterin Sybille Mollzahn. "Es gibt Verhandlungen, wie es mit dem Haus weiter geht." Hier in der Sternstraße gaben sich einst Stars wie Zarah Leander und Uschi Glas die Klinke in die Hand. 61 Jahre Kinogeschichte würden im Falle einer Schließung zu Ende gehen. Bislang alles nur Gerüchte, sagt Mollzahn: "Fest steht gar nichts." Finanzielle Probleme gebe es keine. "Das Sterntheater gibt es im nächsten Jahr auf jeden Fall noch", gibt sich die Theaterleiterin zuversichtlich.

Viele GöttingerInnen wollen nun für ihre letzten Kinos kämpfen. "Aus eigener Erfahrung kann ich nur dazu raten, dem Computer und Fernseher öfter mal den Stecker zu ziehen und stattdessen ins Kino zu gehen!", sagt die Grüne Sakowsky. Heinz Erhard, der in Form eines Denkmals an die cineastische Vergangenheit der Stadt erinnert, wäre wohl auf ihrer Seite.

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