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AufwertungDie bessere Seite

In Barmbek-Nord entsteht auf dem Gelände des ehemaligen Allgemeinen Krankenhauses ein exklusives Wohnquartier. Für die meisten Barmbeker ist es zu teuer.

Wohnen, wo früher operiert wurde: Das ehemalige AK Barmbek. Bild: Hendrik Doose

Die Fuhlsbüttler Straße ist für Barmbek-Nord, was die Mönckebergstraße für die Hamburger City ist. Die Fuhle, wie Anwohner sie liebevoll nennen, ist das Herzstück des Stadtteils, seine Wirbelsäule. Ältere Menschen erinnern sich noch an ihre Glanzzeiten in den 60ern und 70ern, als es hier Kinos, Büros und Modegeschäfte gab und die Straße als eine Art langgestrecktes Einkaufszentrum über die Stadtteilgrenzen hinaus Einkäufer anlockte.

Heute besteht die Fuhle größtenteils aus Bäckern, Friseuren und Ein-Euro-Shops. Je weiter die Straße nach Norden führt, desto mehr Leerstände fallen auf. Einer davon wird jetzt beseitigt: Wo früher von einer massiven Backsteinmauer abgeschottet das Allgemeine Krankenhaus Barmbek stand, ragen überall Kräne in den Himmel. Zwischen den alten Pavillonbauten klaffen Baugruben, die Mauer ist größtenteils abgerissen worden.

Über 14 Hektar erstreckt sich die Großbaustelle zwischen den Straßenzügen Fuhle, Rübenkamp und Hartzloh. Ein komplettes Stadtviertel inklusive Büros, Einzelhandel und Gastronomie soll hier neu entstehen. Eine "urbane Gartenstadt" mit 475 Wohnungen, in der 1.200 Menschen leben und arbeiten sollen.

In Barmbek-Nord mangelt es schon immer an großen Wohnungen, die Familiengründung bedeutet meist den Wegzug. Doch das neue Quartier schafft dafür keine spürbare Entlastung. "Die anfängliche Hoffnung, dass Barmbeker da einziehen würden, ist nicht aufgegangen", sagt Ulli Smandek vom Bürgerhaus Barmbek. Die Leute, die in Barmbek wohnen und sich vergrößern möchten, fänden im Quartier 21 einen Preissprung vor, "der einfach nicht denkbar ist". Die Kaltmieten von 10,50 bis 13 Euro pro Quadratmeter liegen weit über dem Durchschnitt des Stadtteils, wo sich zwischen Steilshooper Straße und Langenfort auch das drittärmste Wohnquartier Hamburgs befindet.

Sozialwohnungen wären aber auch keine Lösung gewesen, sagt Smandek. "Wenn man jetzt gesagt hätte, da sollen Genossenschaftswohnungen drauf entstehen, dann hätte man das plattmachen müssen." Alles andere wäre zu teuer gekommen.

Das Verschwinden des alten Krankenhauses wäre für den Stadtteil ein Verlust gewesen. Auch sechs Jahre nach seiner Schließung ist es ein eingewachsener Identifikationspunkt in Barmbek-Nord. Bezirksamt und Senat entschieden deshalb, die 100 Jahre alten Backsteinpavillons unter Denkmalschutz zu stellen. An die Investoren ergingen Auflagen zum Erhalt der historischen Struktur und der Bäume, die auf den parkartigen Flächen stehen. Die 16 Neubauten sollen sich architektonisch in die Umgebung der Altbauten einfügen.

Bezirksamtsleiter Wolfgang Kopitzsch (SPD) bewertet das Projekt "generell eigentlich positiv". Jedoch bleibe bei ihm eine gewisse Skepsis. Barmbek könne sehr schnell "in werden", alteingesessene Mieter verdrängt werden. "Die Frage ist: Sind die Leute, die da einziehen, bereit sich zu integrieren?", sagt Kopitzsch.

Bastian Humbach von der Quartier 21-Projektleitung ist da optimistischer: "Wir haben bewusst die Struktur so angelegt, dass eine Öffnung zum Stadtteil stattfindet, sodass diese Abgeschottetheit, wie das alte Krankenhaus mal war, am Ende nicht mehr sein wird." Öffentliche Straßen und Wege sollen das Quartier durchziehen und in der Mitte eine große Grünfläche allen zur Verfügung stehen. Die Chance zur Integration bietet auch die Vorgabe des Bezirks, einen Quartiersverein zu gründen, in dem jeder Eigentümer eines Geschäftes oder einer Wohnung automatisch Mitglied ist. Der Verein soll später etwa Stadtfeste mitorganisieren.

Zur Fuhle hin bekommt das neue Quartier eine Gewerbezeile, die sich schon rein optisch von der anderen Straßenseite absetzen wird. Während dort unschöne, zusammengewürfelte Fassaden dominieren, sollen auf der Quartiersseite ein Meridian Spa sowie ein Biergarten eröffnen. Budni und Rewe haben schon angekündigt, auf die neue Straßenseite ziehen zu wollen, so dass auf der anderen Seite Leerstände vorprogrammiert sind.

Die neuen Geschäfte könnten das Mietniveau heben, befürchtet Ulli Smandek vom Bürgerhaus: "Wenn die einfach auf die Tube drücken mit den frei verhandelbaren Mieten, dann wird es schwierig." Toufic Dahdouly, der auf der Fuhlsbüttler Straße seit kurzem einen orientalischen Imbiss führt, kann dem neuen Quartier trotzdem nur Gutes abgewinnen: "Also ich sehe das positiv, denn diese Höhe der Fuhlsbüttler Straße, die ist praktisch halbtot." Die Gewerbetreibenden hofften, dass mehr Bewegung in die Straße komme "und dass wir davon am Ende auch profitieren".

Im Winter werden die ersten Bewohner einziehen, Ende 2013 soll das gesamte Quartier 21 fertiggestellt sein.

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