Ehrenamt: Mit anderem Maßstab

Die Festangestellten sollten Mitglied in der Kirche sein, unbezahlt aber darf jeder ran: Für freiwilliges Engagement sucht das Diakonische Werk in Hamburg ausdrücklich Menschen mit ausländischen Wurzeln.

Neue Zielgruppe entdeckt: Die Hamburger Diakonie und andere christliche Träger würden gerne mehr auf Migranten setzen. Bild: dpa

Die Diakonie Hamburg hat sich auf die Suche nach ehrenamtlichen Helfern mit Migrationshintergrund gemacht. "Stark sein - stark machen" heißt das Projekt, in dessen Rahmen die neuen Ehrenamtlichen beispielweise Menschen mit Behinderung bei Behördengängen oder in der Freizeit begleiten. Die Idee sei im Gespräch mit verschiedenen Einrichtungen entstanden und als ein Puzzleteil im Themenfeld "Diakonie in der Einwanderungsgesellschaft" zu sehen, sagt Steffen Becker, Pressesprecher des Diakonischen Werks.

Das klinge vermutlich, als ob man auf der Suche nach mehr freiwilligen Helfern sei, sagt Becker - "aber so ist es nicht, wir wollen uns einfach allen Mitgliedern der Gesellschaft öffnen". Es gehe darum, eine Debatte anzuschieben und die Einrichtungen dafür zu sensibilisieren, bestimmte Gruppen nicht unbewusst auszuschließen.

Drei Hamburger Einrichtungen haben sich dem Diakonie-Projekt bisher angeschlossen. Die evangelische Pestalozzi-Stiftung sucht ehrenamtliche Migranten für die Betreuung von Menschen mit Behinderung. "Es wurde in den vergangenen 20 Jahren versäumt, auch Migranten fürs Ehrenamt zu mobilisieren", sagt Christian Violka, Vorstandsmitglied der Stiftung. "Das wollen wir jetzt nachholen."

Auch der Nachbarschaftstreff Westend im Stadtteil Wilhelmsburg sucht freiwillige Helfer: für eine internationale Frauengruppe, die sich einmal wöchentlich trifft. Auch die Stiftung Alsterdorf Assistenz West hat Bedarf angemeldet bei der Betreuung von behinderten Menschen in der Freizeit. Man pflege "regelmäßige Gespräche mit der Zentrumsmoschee sowie der muslimischen Gemeinde", sagt Güde Lassen von der Stiftung Alsterdorf. "Es passte gut, dass die Diakonie mit dem Projekt auf uns zu kam."

Die Diakonie selbst, aber auch alle drei bisher vorstellig gewordenen Einrichtungen, sind christliche Träger und legen bei den ehrenamtlichen Helfern eigene Maßstäbe an. Denn ansonsten gilt hier: Wer fest angestellt werden will, sollte Kirchenmitglied sein - oder wie es in einer aktuellen Stellenausschreibung für die Leitung des Westend-Nachbarschaftstreffs heißt: "Mitgliedschaft in einer christlichen Kirche erwünscht". Für die unentgeltliche, ehrenamtliche Arbeit dagegen gilt diese Voraussetzung offenbar nicht. Westend war am Freitag für eine Stellungnahme nicht zu erreichen.

"Wie die Einrichtungen die Frage der Religionszugehörigkeit handhaben, ist allein ihre Sache", sagt Diakonie-Sprecher Becker. "Wir haben für unsere Schwangerschaftskonfliktberatung beispielweise extra eine Türkin eingestellt, weil auch viele muslimische Frauen in diese Beratung kommen."

In der Regel allerdings ist die Kirchenmitgliedschaft Einstellungsvoraussetzung, wie beispielsweise die Deutsch-Türkin Yesim Fadia erfahren durfte. Die Muslima hatte sich beim Diakonischen Werk als "Integrationslotsin" beworben und wurde abgelehnt. Sie klagte vor dem Hamburger Arbeitsgericht - und bekam zunächst Recht. 2007 wurde die Diakonie wegen Diskriminierung zu einer Entschädigungszahlung von 3.900 Euro verurteilt. Dem Gericht zufolge hatte die Diakonie gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz verstoßen, indem sie Fadia wegen ihres Glaubens abgelehnt hatte. In den Folgeinstanzen allerdings setzte sich die Diakoie mit ihrer Sichtweise durch, der Bewerberin hätten erforderliche Qualifikationen gefehlt.

Beim Ehrenamt werde so etwas nicht passieren, sagt Pressesprecher Becker. "Wir sehen die jetzige Suche nach freiwilligen Helfern mit Migrationshintergrund parallel zu unserem Freiwilligen Sozialen Jahr." Dort sei die Mitgliedschaft in der Kirche auch keine Voraussetzung. "Es geht uns lediglich darum, dass ein Kontakt hergestellt wird."

Auch die Evangelische Stiftung Alsterdorf wurde vor einem Jahr wegen religiöser Diskriminierung zur Zahlung von Schmerzensgeld verurteilt. Die Einrichtung hatte einer ihrer Mitarbeiterinnen, die geistig und körperlich behinderte Menschen betreute, ein Ultimatum gesetzt, als ihre Mitgliedschaft in der Neuapostolischen Kirche bekannt wurde: Entweder die Frau trete aus "der Sekte" aus - oder sie müsse sich eine neuen Job suchen. Sie suchte sich eine neuen Job.

"Bei den Freiwilligen fragen wir nicht nach der Kirchenzugehörigkeit", sagt Güde Lassen von der Stiftung. Von Freiwilligen "können und wollen wir nicht die gleiche Loyalität gegenüber dem Unternehmen und seinen Traditionen einfordern".

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