Haftpflicht-Protest der Hebammen: Hausbesuch bei Rösler
Von 4.000 Hebammen, die Geburtshilfe anbieten, haben seit Juli 400 diesen Dienst eingestellt. Der Grund für den Protest ist eine höhere Haftpflichtversicherung.
Jitka Weber hat sich den Tag freigeschaufelt. Die Berliner Hebamme lebt auf Abruf. Jede Stunde kann eine der Schwangeren, die die Berliner Hebamme betreut, Wehen bekommen. Aber am Donnerstag ging alles gut, und Jitka Weber stand vor dem Bundesgesundheitsministerium in Berlin mit einem großen Plakat in den Händen. Darauf stand: "Wir fordern eine flächendeckende Versorgung mit Hebammenhilfe." Damit protestierten sie und ihre Kolleginnen gegen eine Situation, die seit Monaten anhält.
Am 1. Juli ist die Berufshaftpflichtversicherung für freiberufliche Hebammen, die Geburtshilfe anbieten, von 2.370 Euro auf 3.700 Euro gestiegen. Das ist zu teuer, beklagte damals der Deutsche Hebammenverband (DHV) und warnte davor, dass viele Hebammen die Geburtshilfe aufgrund der zu hohen Kosten aufgeben müssten.
Mit einer Online-Petition, die innerhalb weniger Wochen 185.000 Menschen unterschrieben hatten, forderte der Verband von Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler (FDP) unter anderem eine Rücknahme der Versicherungserhöhung.
Was ist passiert seitdem? Es gab eine Anhörung vor dem Petitionsausschuss. Danach aber haben die Hebammen nichts mehr von Rösler gehört. Von den rund 4.000 freiberuflichen Hebammen mit Geburtshilfe bieten seit der Kostensteigerung 400 Geburtshelferinnen diesen "Dienst" nicht mehr an. Zum Jahresende erwartet der Verband einen weiteren Rückgang.
"In manchen Regionen führt das zu einer dramatischen Situation für die Schwangeren", sagt Edith Wolber. Im Odenwald beispielsweise, wo die DHV-Sprecherin wohnt, arbeiten viele Krankenhäuser seit Jahren ausschließlich mit Beleghebammen. Das heißt, dass die Kliniken keine eigenen Hebammen mehr beschäftigen und die Frauen ihre eigene Hebamme, die sie während der Schwangerschaft betreut, zur Geburt in die Klinik mitbringen.
"Wenn die Hebammen die Geburtshilfe aus Kostengründen aufgeben müssen, bleiben die Frauen allein", sagt Edith Wolber. Manche müssten 40 Kilometer bis zur nächsten Geburtsklinik fahren. Medizinisch vorgebenen sind Wege von höchstens 10 Kilometern.
Bundesweit haben seit dem 1. Juli 28 geburtshilfliche Abteilungen in Provinzkliniken geschlossen. Vor wenigen Tagen gaben in Schleswig-Holstein sogar zwei Belegärztinnen die Geburtshilfe auf.
Die Mahnwache in Berlin bildete den Abschluss eines bundesweiten Protestmarathons. Seit Juli standen Hebammen jeden Donnerstag in größeren Städten auf Plätzen und in Fußgängerzonen, jede Woche in einem anderen Bundesland.
Das Ministerium hat bis Donnerstag Nachmittags nicht reagiert.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Autobranche in der Krise
Kaum einer will die E-Autos
Bürgergeld-Empfänger:innen erzählen
„Die Selbstzweifel sind gewachsen“
Trumps Krieg gegen die Forschung
Byebye Wissenschaftsfreiheit
Altvordere sollen Linke retten
Hoffen auf die „Silberlocken“
Menschenrechtsverletzungen durch Israel
„So kann man Terror nicht bekämpfen“
Ungelöstes Problem der Erneuerbaren
Ein November voller Dunkelflauten