Stichwahlkampf in Brasilien: Schlammschlacht ohne Schlamm

Kurz vor der Stichwahl wird der Wahlkampf turbulent: Auf linke Attacken mit Papierbällchen reagiert die Rechte mit Luftballons und spricht von "Profis der Gewalt".

Mit knapper Not dem Luftballon voller Wasser entkommen: Kandidatin der Arbeiterpartei PT Dilma Rousseff grüßt ihre Anhänger in Curitiba. Bild: dpa

PORTO ALEGRE taz | Eine halbe Stunde lang bahnt sich der Pick-up mit der Kandidatin der linken Arbeiterpartei PT einen Weg durch hunderte fahnenschwingende Fans. Auf einer improvisierten Pressekonferenz spricht sich Dilma Rousseff gegen einen "sensationalistischen" Wahlkampf aus: "In der konservativen Politik gibt es die sehr traditionelle Methode, Tatsachen aufzubauschen und die andere Seite für Gewalt verantwortlich zu machen. Ich werde das nicht tun, das ist typisch für einen Wahlkampf der Rechten."

Zehn Tage vor der Stichwahl um die Präsidentschaft in Brasilien wird der Ton zwischen den beiden großen politischen Lagern noch ruppiger. Rousseff, die Wunschnachfolgerin des scheidenden Staatschefs Luiz Inácio Lula da Silva und große Favoritin, absolvierte am Donnerstag einen umjubelten Kurzauftritt im Zentrum von Porto Alegre. Hintergrund ihrer Schelte am Gegner war ein Auftritt ihres rechtssozialdemokratischen Kontrahenten José Serra in einem Außenbezirk von Rio de Janeiro, bei dem es am Vortag zu Rangeleien zwischen PT-Fußvolk und Serra-Wahlhelfern gekommen war.

Fernsehberichten zufolge wurde José Serra zunächst am Kopf von einem Papierbällchen getroffen, eine Viertelstunde später offenbar von einer Rolle Klebeband. "Es sind Profis der Lüge und der Gewalt", sagte Serra dazu und verglich die PTler mit "Nazi-Stoßtrupps". Fotos zeigten den 68-Jährigen, wie er sich den Kopf hält. In Rousseffs TV-Wahlkampfspot hieß es prompt, diese Geste sei ihm erst nach einem Handyanruf seiner Marketingexperten eingefallen.

Lula warf der Serra-Kampagne daraufhin "schändliche Lüge" vor, "eine schlimmere Lüge als die des Chilenen Rojas, der sagte, dass er im Maracanã von einem Feuerwerkskörper getroffen wurde". Der chilenische Fußballtorwart hatte sich 1989 bei einem WM-Qualifikationsspiel in Wirklichkeit mit einem Skalpell eine Schnittwunde an den Augenbrauen zugefügt und erhielt daraufhin eine lebenslange Sperre.

In Porto Alegre griff auch Rousseff diese in Brasilien sehr lebendige Episode auf. "Ich mache kein Tamtam wie Rojas. Heute hätte ich fast einen Luftballon voller Wasser abbekommen", sagte sie in Anspielung auf einen Vorfall in Curitiba. "Dazu kam es nicht, weil ich dem, anders als Rojas, ausgewichen bin."

Es gibt mehrere Erklärungen für das erbitterte Wahlkampffinale in Brasilien. Bei der traditionell beliebten Aufrechnung von Korruptionsskandalen steht São Paulos Exgouverneur Serra mittlerweile auch nicht mehr besser da als Rousseff, deren Vertraute und Nachfolgerin im Präsidialamt im September zurücktreten musste. Beim Bau der riesigen Umgehungsstraße um São Paulo soll sich ein Bekannter Serras kräftig bereichert haben.

Auch der Versuch konservativer Kirchenleute, des Mitte-rechts-Lagers und der ihm nahestehenden Medien, Rousseff als Abtreibungsbefürworterin zu diskreditieren, ist offensichtlich verpufft. Das Meinungsforschungsinstitut Ibope will ermittelt haben, dass 55 Prozent der KatholikInnen für die 62-jährige Exguerillera stimmen wollen, dagegen nur 39 Prozent für Serra. Bei den gewöhnlich konservativeren Evangelikalen steht es unentschieden.

Insgesamt liegt Rousseff derzeit je nach Umfrage 10 bis 14 Punkte vor Serra. Besonders groß ist ihr Vorsprung im armen Nordosten des Landes, aus dem Lula stammt und deren Bevölkerung in den letzten acht Jahren überdurchschnittlich von Lulas Sozialprogrammen profitiert hat. Serra hingegen führt bei den WählerInnen mit Universitätsabschluss und höherem Einkommen. Aufschlussreich ist auch die ethnische Aufschlüsselung, die die Firma Vox Populi vornahm: Bei den Weißen steht es fifty-fifty, bei den AfrobrasilianerInnen hingegen hat Rousseff eine Zweidrittelmehrheit.

Schwieriger gestalten sich hingegen die Versuche der PT, die umweltbewegten WählerInnen der grünen Kandidatin Marina Silva zu umwerben. Im ersten Wahlgang Anfang Oktober war die bekennende Evangelikale und Exumweltministerin auf knapp 20 Millionen Stimmen (19,3 Prozent) gekommen, dagegen schrumpfte die Grünen-Fraktion im Abgeordnetenhaus von sieben auf sechs Sitze. Jetzt verzichten Silva und die Grünen auf eine Wahlempfehlung.

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