Anti-AKW: Die Sonne lacht wieder

Mit den Castor-Protesten erwacht die Berliner Anti-Atom-Szene zu neuem Leben. Viele linke Gruppen entdecken wieder die Mobilisierungskraft des Widerstandsklassikers.

Berlin: Beim Anti-AKW-Protest mitten drin Bild: dpa

Es ist voll am Montagabend in der Mehringhof-Kneipe Clash. Sitzplätze sind längst passé, die ersten lassen sich auf dem Boden nieder. Es sind Atomkraft-Gegner, viele junge Gesichter, aber nicht nur. Ein älterer Mann trägt blaue Latzhose und die Anti-Atom-Sonne am Parka. Auf der Bühne werben zwei Referenten fürs Gleisbett-"Schottern" gegen den Castor, daneben hockt der emeritierte FU-Politikprofessor Peter Grottian. An diesem Abend findet die letzte große Berliner Info-Veranstaltung statt vor den geplanten Massenprotesten gegen den Castor-Transport durchs Wendland am Wochenende. Und Dutzende sind gekommen.

Die Berliner Anti-AKW-Bewegung erlebt momentan eine kleine Renaissance. In den letzten Jahren galt die Stadt nicht gerade als Epizentrum des Atom-Gegenprotests. Zwar fuhren auch aus Berlin stetig Busse zu den großen Demonstrationen ins Wendland. Dazwischen aber sah's mau aus. Schließlich gibt es im weiten Umkreis um Berlin keine Atomkraftwerke, und der Castor fährt halt woanders.

Simon - langer Zopf, gelber Schal - sitzt auf der Bühne. Er präsentiert eine Packliste fürs Wendland: Isomatte, Thermoskanne, Schokolade. Mehr als 30 Info-Veranstaltungen habe es in Berlin zu den Castor-Protesten gegeben, überschlägt der Politikstudent später. Er selbst habe vier besucht. "Keine davon hatte weniger als 40 Besucher." Immer seien auch einige "alte Hasen" dabei gewesen. "Die allermeisten aber waren Neuinteressenten." Simons Gruppe Gegenstrom, ein Netzwerk Berliner Klimaaktivisten, gibt es seit 2008. Rund 25 Mitglieder seien aktiv, so der Anfangzwanziger. Fast alle würden mit ins Wendland fahren.

Wer von Berlin ins Wendland fahren will, bekommt letzte Bus-Tickets im Buchladen Schwarze Risse im Mehringhof (Kreuzberg), für 18 Euro das Stück. Abfahrten sind Freitag 13 Uhr und Samstag 6 Uhr von der Mehrzweckhalle am Ostbahnhof. Rückfahrten am Samstag, Sonntag und Montag um jeweils 18 Uhr. Aktuelle Ticket-Infos gibt's unter: 0151-22752721. Auch der BUND und die Grünen bieten Bus-Plätze an.

Weitere Infos zu den Protesten am Wochenende unter www.castor2010.de

Berlin und drei andere SPD-geführte Länder wollen an diesem Freitag im Bundesrat gegen die Verlängerung der Atomlaufzeiten protestieren. In einer gemeinsamen Entschließung kritisieren Berlin, Rheinland-Pfalz, Nordrhein-Westfalen und Brandenburg die Position der Bundesregierung, dass längere Laufzeiten der Atomkraftwerke nicht der Zustimmung des Bundesrates bedürften. Sie fordern die Länderkammer auf, diese Beschränkung ihrer Mitwirkungsrechte zu kritisieren. Zudem bekräftigen sie, dass sie die Verlängerung ablehnen. (taz, dpa)

Es ist nicht nur Gegenstrom. Auch das Anti-Atom-Plenum (APP), das letzte Überbleibsel der alten Berliner Atomkraftgegner-Generation, wittert Morgenluft. Seit Anfang der 90er trifft sich die Gruppe dienstags, inzwischen mit einem guten Dutzend Leuten in der Kreuzberger "Ganzen Bäckerei". Anfangs als Plenum für Delegierte aus den Berliner Anti-Atom-Gruppen gedacht, wurde das AAP später zur eigenständigen Formation - den Delegierten fehlten die Gruppen.

"Wir erleben gerade eine Hochphase des Interesses am Atomkraft-Widerstand, die vor zwei Jahren noch undenkbar gewesen wäre", sagt Willi vom Plenum. In den letzten Jahren habe sich seine Gruppe eher bei anderen Aktionen eingeklinkt, den Klimacamps in Hamburg oder Kopenhagen etwa. "Jetzt ist's total umgekehrt, jetzt kommen die anderen Initiativen wieder auf die Atompolitik zurück." Mit positiven Effekten: Zusammen mit anderen linken Gruppen wie Fels oder Avanti hat das AAP in den letzten Monaten über Blockadestrategien fürs Wendland gebrütet. "Da ist eine neue, gemeinsame Struktur erwachsen, mit der sich wieder größere Mobilisierungen stemmen lassen", freut sich Willi. "Nicht nur bei Anti-Atom-Themen."

Der Anti-Atom-Esprit scheint Berlin wieder zu erfassen. An Wohnungstüren tauchen wieder "Atomkraft? Nein danke"-Schildchen auf, an Fahrrädern klebt die gelbe Widerstands-Sonne. Auch bundesweit verlagerte sich der Protest gegen Atomkraft zuletzt mehr und mehr in die Hauptstadt - dorthin, wo die schwarz-gelbe Regierung unlängst ihre AKW-Laufzeitverlängerungen beschloss. Als Mitte September Zehntausende dagegen durchs Regierungsviertel demonstrierten, standen viele Berliner erstmals seit Jahren wieder auf der Straße.

Auch sie zeigten: Längst hat sich in der Stadt eine kleine, neue Generation des Atom-Widerstands formiert. Anti Atom Berlin zum Beispiel, im Herbst 2009 im Anschluss an die wochenlangen Proteste von Atomkraft-Gegnern während der schwarz-gelben Koalitionsverhandlungen gegründet. Knapp 20 Leute treffen sich allmonatlich in der Gruppe, Junge und Ältere. Mit den Alt-Aktivisten des Anti-Atom-Plenums haben sie nicht viel zu tun. Stattdessen wird mit dem BUND, Nabu, den Naturfreunden, ausgestrahlt oder den Internetaktivisten von Campact zusammengearbeitet. Knapp zehn Mitglieder seien sie zur Gründung 2009 gewesen, erzählt Maike Bussmann von Anti Atom Berlin. "Heute haben wir 160 Kontakte in unserem Mailverteiler."

Allein fünf Infostände organisierte die Initiative im Oktober, die Großdemo im September führte sie gleich hinterm Fronttransparent an. "Natürlich hoffen wir den jetzigen Schwung auch über die Castor-Proteste hinaus zu bewahren", sagt Bussmann. "Solange Schwarz-Gelb so weiter macht, dürfte das kein Problem sein." Auf der Großkundgebung am Samstag in Dannenberg will Bussmann mit ihren Mitstreitern einen eigenen Treffpunkt für Berliner Aktivisten organisieren. Zum Vernetzen für später.

Im Mehringhof wird am Montagabend derweil über das kinderfreundlichste Castor-Camp beraten. "Hitzacker", wird vorgeschlagen. "Nee, da sind doch die Party-Leute von ,Atomkraft wegbassen'", kommt die direkte Widerrede. Am Fenster verkauft ein Kapuzenträger Bustickets ins Wendland. Die Nachfrage sei super, sagt er. 15 Busse würden bisher aus Berlin starten. An diesem Abend verkauft der junge Mann 20 Tickets. "So muss das laufen."

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