Chinas Zensoren sind machtlos: E-Buch gegen Chinas große Firewall
Chinas Internetzensur ist nur mit großem Aufwand zu überwinden. Nun kommt eine neue, ungewöhnliche Methode hinzu: Amazons elektronisches Lesegerät Kindle.
Der entscheidende Satz ist recht kurz: "Free 3G web browsing (experimental)" steht da - kostenloses Surfen über UMTS-Netze. Die Information findet sich innerhalb der langen Funktionsliste von Amazons elektronischem Lesegerät Kindle, das seit August in dritter Generation auf dem Markt ist und sich seither nach Angaben des Herstellers hervorragend verkauft. Das Gerät bietet neben der Darstellung von digitalen Büchern auch ein Programm zum Betrachten von Webseiten an.
Was nur als kleines Schmankerl gedacht war, um ein weiteres Verkaufsargument zu haben, ist seit kurzem genau dort von großem Nutzen, wo "free web browsing" besonders interessant ist: im Internet-Zensurreich China. Dort wird der Netzzugang vorgefiltert, Spötter sprechen mit Bezug auf die chinesische Mauer von der sogenannten "großen Firewall".
Wie die in Hong Kong erscheinende Zeitung "South China Morning Post" berichtet, haben Geschäftsleute gut 300 der Geräte aus den USA importiert und in China verkauft. Auf Online-Shopping-Seiten steht der Reader ebenfalls zur Verfügung.
Schaltet man den Kindle in China ein, verbindet er sich über einen Roaming-Partner des US-Mobilfunkanbieters AT&T mit einem Drahtlosnetz. Und das ist erstaunlicherweise nicht zensiert. Egal ob populäre Web 2.0-Dienste wie Twitter und Facebook, die sonst in China gesperrt sind, oder politische Informationen zu Tibet und kritische Medien im Ausland - alles ist aufrufbar. Während man am PC große Anstrengungen und spezielle Software braucht, um die "große Firewall" zu überspringen, reicht beim Kindle das bloße Anschalten.
Warum das so ist, konnten IT-Experten bislang nicht im Detail klären. Möglicherweise hat sich der AT&T-Roaming-Partner verpflichtet, den Datenverkehr direkt an Amazon weiterzuleiten und umgekehrt alle von dort kommenden Datenpakete zuzulassen. Eventuell gehen die Zensoren davon aus, dass es keine Chinesen unter den Kindle-Nutzern gibt, da das Gerät im Land offiziell nicht vertrieben wird. Egal wie - es funktioniert. Und das spricht sich seit Wochen im Land herum.
Des einen Freud, könnte Amazons Leid werden. Der Anbieter lässt für seine Geräte den weltweiten Zugriff auf Mobilfunknetze zu, damit Kunden sich überall Bücher herunterladen können, auch im Urlaub. Dass damit jemand intensiv im Web surfen könnte, scheint von Amazon nicht beabsichtigt gewesen zu sein. Das Gerät ist mit seinem monochromen Bildschirm auf Basis elektronischer Tinte fürs Web eher ungeeignet, zumal der eingebaute Browser erst jetzt, in der dritten Version,halbwegs nutzbar ist.
Es ist möglichn, dass Amazon die Lücke schließt, falls der Datenverkehr überhand nimmt. Bei der drahtlosen Auslieferung digitaler Zeitungen und Zeitschriften im Ausland wird schon jetzt eine Zusatzgebühr verlangt. Intensives Surfen im Web dürfte weitaus mehr Traffic verursachen.
Solange es geht, ist unter Chinas Kindle-Besitzern die Freude groß. Die "South China Morning Post" zitiert einen Blogger, der sich einen Kindle besorgt und es einfach ausprobiert hatte: "Ich kann es nicht glauben. Ich surfte einfach mal zu Twitter und was für eine Überraschung, es klappte." Die Aufmerksamkeit dürfte allerdings für steigende Preise sorgen. Schon jetzt kostet ein Kindle, für den man in den USA 190 Dollar (133 Euro) zahlt, auf der Verkaufsplattform Taobao vereinzelt über 750 Dollar (525 Euro).
Obwohl chinesische Behörden den Kindle bislang ins Land lassen, gehen die Händler nun vorsichtig vor. Nach Angaben der "South China Morning Post" wird das Gerät nur in kleinen Mengen ins Land gebracht. Dabei sitzt man in China eigentlich an der Quelle. Dort wird der Kindle hergestellt.
Sollte Amazon keine Surfrestriktionen einführen, kann aber noch immer die chinesische Regierung dem örtlichen Mobilnetzbetreiber die Daumenschrauben anlegen, der den Kindle versorgt - und Filter fordern. Technisch schwer wäre das nicht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Alkoholpreise in Deutschland
Das Geschäft mit dem Tod
Soziologe über Stadt-Land-Gegensatz
„Die ländlichen Räume sind nicht abgehängt“
Jüdische Wähler in den USA
Zwischen Pech und Kamala
Geopolitik der US-Wahlen
Am Ende der alten Welt
US-Präsidentschaftswahlen
Warum wählen sie Trump?
Krieg im Libanon
Netanjahu erhöht den Einsatz