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Bofinger über G20 und die Weltwirtschaft"Die deutsche Politik ist autistisch"

Deutschland muss etwas für die Gesundung der Weltwirtschaft tun, fordert der Ökonom Peter Bofinger. Staat und Wirtschaft sollten vor allem mehr Geld investieren.

Gebt mehr Geld aus! fordert der Wirtschaftsweise Bofinger. Bild: dpa
Hannes Koch
Interview von Hannes Koch

taz: Herr Bofinger, vor dem G-20-Gipfel hat die US-Notenbank entschieden, abermals 600 Milliarden Dollar in die Wirtschaft zu pumpen. Führt uns das geradewegs in die nächste Finanzkrise?

Peter Bofinger: Das halte ich insgesamt für wenig wahrscheinlich. In den USA ist der Immobilienmarkt noch immer sehr schwach. Die Preise sinken eher, als dass sie steigen. Anders ist die Lage in manchen Schwellenländern wie China. Dort haben die Immobilienpreise inzwischen eine bedenkliche Höhe erreicht. Es würde mich überraschen, wenn dabei keine neue Finanzblase entstünde.

Warum sind übertriebene Preiserhöhungen zum Beispiel bei Immobilien gefährlich?

dpa
Im Interview: Peter Bofinger

PETER BOFINGER, geboren 1954, ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Würzburg. 2004 wurde er auf Empfehlung der Gewerkschaften zu einem der fünf Wirtschaftsweisen berufen, die die Bundesregierung beraten.

Weil es sehr lange dauert, bis neue Immobilienprojekte am Markt ankommen und in der Zwischenzeit keine Rückmeldung durch das Preissystem stattfindet. Am Ende droht die Implosion - Preisverfall, Bankenzusammenbrüche, zunehmende Arbeitslosigkeit. Die US-amerikanische Immobilienkrise der letzten drei Jahre lässt grüßen.

Was können Staaten wie China gegen die Dollarschwemme tun?

China hat das Problem, dass es sich dazu entschlossen hat, den Wert seiner Währung an den Dollar zu binden. Es muss deshalb seine Leitzinsen künstlich niedrig halten, ähnlich wie die Fed. So bläht das billige Geld die chinesische Blase weiter auf. Würde Peking die Zinsen erhöhen, strömte noch mehr Kapital ins Land. China steckt in einer Zwickmühle.

Die G 20 ist eigentlich angetreten, diese Probleme zu lösen. Warum funktioniert das nicht?

Die G 20 ist bisher unfähig, eine vernünftige Koordination zu bewerkstelligen. Die Finanzmärkte sind global organisiert, aber die Politik der Staaten orientiert sich überwiegend an den nationalen Interessen. Wir erleben eine egoistische Politik in einer hochgradig vernetzen Weltwirtschaft. Auch die deutsche Wirtschaftspolitik ist autistisch.

Ausnahmsweise sieht es in Deutschland mal gut aus, die Leute finden wieder Arbeit. Wieso sprechen Sie da von Autismus?

Die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland ist zwar erfreulich. Aber was macht die Regierung? Sie hat die Schuldenbremse erfunden. Hätten die USA und China während der Krise eine ähnliche Sparpolitik betrieben, wäre die Weltwirtschaft zusammengebrochen.

Jetzt jedoch liegt die Finanzkrise hinter uns. Die Staaten haben riesige Schuldenberge aufgehäuft - auch Deutschland. Hohe öffentliche Schulden, noch mehr billiges Geld - diese Strategie birgt doch enorme Risiken.

Natürlich muss die Bundesregierung versuchen, die Neuverschuldung allmählich zu verringern. Aber sie darf darüber nicht vergessen, zu investieren. Der Spielraum dafür ist jetzt vorhanden, denn die Steuereinnahmen steigen wieder.

Die US-amerikanische und die französische Regierung werfen Deutschland vor, andere Staaten durch zu hohe Exporte zu schädigen und zu wenig für unsere Entwicklung im Innern zu tun. Ist dieser Vorwurf berechtigt?

In Deutschland wird tatsächlich zu wenig investiert. Wegen der angespannten öffentlichen Finanzen hat sich der Staat im vergangenen Jahrzehnt sehr zurückgehalten. Verkehrsinfrastruktur, transnationale Bahnlinien, Lärmschutz - es gibt viele Aufgaben, die nicht erledigt worden sind. Weil die Reallöhne nicht stiegen, konnten außerdem die Privathaushalte keine großen Sprünge machen. Darunter haben die Investitionen in private Immobilien gelitten. Und auch die Unternehmen haben weniger Geld in neue Anlagen gesteckt als früher.

Was schlagen Sie vor?

Ein Investitionsprogramm für die öffentlichen Infrastruktur. Auch sollte die Abgeltungsteuer auf Zinseinnahmen abgeschafft und wieder eine Versteuerung zum individuellen Steuersatz eingeführt werden.

Warum?

Durch den niedrigen Satz von 25 Prozent werden heute Gewinne aus Finanzgeschäften begünstigt. Investitionen in Produktion und Dienstleistungen haben dagegen einen Nachteil, weil für deren Erträge höhere Steuersätze gelten. Auch die Grundsteuer auf den Erwerb privater Immobilien sollte man überdenken. Würde der Staat sie in den ersten Jahren stunden, wirkte das als Anreiz, mehr Eigentumswohnungen und Häuser zu bauen. Als starkes Land muss Deutschland seine Verantwortung wahrnehmen und mehr für die Gesundung der Weltwirtschaft tun.

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10 Kommentare

 / 
  • S
    Samira

    Die deutsche Politik kann nicht autistisch sein.

    Denn wäre sie das, wäre sie ehrlich und aufrichtig und würde die Dinge so sagen, wie sie sie meint.

     

    Warum ihr Verhalten dennoch autistisch genannt wird, kann ich nicht nachvollziehen, viel weniger noch als die Tatsache, dass hier offensichtlich eine tiefgreifende Entwicklungsstörung als Schimpfwort missbraucht wird.

     

    Haben Sie schon einmal darüber nachgedacht, wie viele Menschen in Deutschland Sie damit beleidigen?

     

    Samira, Asperger-Autistin

  • L
    Lukas

    Betreff Artikel: "die deutsche Politik ist autistisch"

     

    Sehr geehrte Damen und Herren der taz-Redaktion,

     

    Viele Jahre schon litt ich schon unter dem Problem mich bedingt durch meine Diagnose Autismus von meiner Umwelt häufig missverstanden zu fühlen.

    Doch ihr Artikel hat mir die Augen geöffnet, dass dies nicht nötig ist, denn was kann einem Autisten schon besseres passieren als in einem autistischen Staat mit einer autistischen Politik zu leben?

     

    Zwar weiß ich nicht, was die erfundene Schuldenbremse der Politik mit dessen Autismus zu tun hat, denn weder bei den Diagnosekriterien des DSM-IV noch in denen des ICD-10 sind erfundene Schuldenbremsen als Symptom von Autismus aufgeführt, aber das macht ja nichts! Hauptsache das Kind hat endlich einen Namen, mit einem Negativgeschmack: "Autismus"!

    Da bleibt es einem als betroffener Autist nichts anderes übrig als solche Artikel und Äußerungen humorvoll zu betrachten und betroffen bin ich nicht vom Autismus, nein, sondern von der Intolleranz der Umwelt, die in ihren Artikeln deutlich werden.

     

    Mit freundlichen Grüßen

    Lukas

  • R
    Realist

    Deutschland wird zu Recht von den Wettbewerbern

    gescholten mehr für die binnenwirtschaft zu tuen.

     

    wie die Taz gestern im sehr fundierten Artikel : Damit es wieder rundläuft ! " ausführte, ist die deutsche Investitionsquote von 10% des BSP. in den 90ger Jahren auf nur noch erschreckende 1,9% 2009 ab-

    gesackt.

     

    Was nützt die ganze "Exporthybris", die zudem nur ca. 15 -20% der Bevölkerung zugute kommt, wenn wir ansonsten eine verlotterte Infrastruktur haben von Strassen über Bahntrassen, Schulen, Krankenhäuser etc.

    Es ist überall sichtbar, dass die Agenda 2010 von rot-grün unter Schröder zu massivsten Verwerfungen im

    Arbeitsmarkt, gerade für die Normalverdiener geführt

    hat ! 7,5 Mio. Minijobber, ! Mio. Leiharbeiter zu Minilöhnen, sowie ca. 2 Mio. Teilzeitbeschäftigte u.

    Aufstocker zu Niedriglöhnen sind die Wegbereiter für einen Lohnsog nach unten ! - Die Lohn/-Gehaltsquote liegt nur noch bei ca. 64% des BSP- vor 15 Jahren waren es noch weit über 70% !

    Insofern hat Bofinger, der aus dem rot-grünen Lager kommt recht, dass sowohl die Investitionsquote hier stark ansteigen muss, aber auch die Löhne ordentlich

    in der Breite steigen müssten, flankiert durch absenkung der Lohnnebenkosten u. indirekten Steuern, zu denen vor allem die 19% auf die energiepreise gehören - warum nicht auf das Niveau der Artikel des täglichen Gebrauchs = 7% absenken , dass wäre ein Bombenkonjunkturprogramm für die Bevölkerungsmehrheit,

    die sich ansonsten nur noch betrogen u. "ausgeplündert" fühlt von Politpaxe im Gespann mit

    Lobbykratie; es geht so nicht weiter !

  • DH
    Dr. Harald Wenk

    Der Dollar hat wenigsten Inflation, die in des Euro wird künstlich unterdrückt. China ist im Gegensatz zu den meisten anderen Staat nciht verschuldet, sonder hat aucnh genüebnr der Dollar satrkeReserven, Insofern können die chineischen Fianzpolitiker diese Partei mit großer Gelasseneheit und "Zugzwang", den Herr Bofinger gerne den Chinesen unterschieben möchte, mehr auf Seite des Westens. Dort müssen auch die Politiker dauernd Wahlen verlieren (bitterer Scherz, weil ihre Politik gegen die Interessen der miesten oder vielen nicht funktionieren kann).

    Dssalb hat wohl FORBES den Präsidenten China und nicht den der USA zum mächtigsten Mann der Erde gekürt.

    Das ist nur ein Beispiel.

    Es ist schon erschreckend, wie falsch habilitierte

    und lehrende Experten in hochkomplexen Dingen wie

    Herr Bofinger zugunsten der Arbeitgeberseite intevenieren und die an sich aus der ganz linken ud damit wirtschaftskritischen Tradition kommende TAZ das auch noch rhetorisch abgesegnet. "Die Menschen finden wieder Arbeit" Wie direkt vom SchreibstiSch des Regierungssprtechers.

    Leider hat die TAZ die neoliberaler Witschafstwendung der GRÜNEN durchgereicht.

    Da gibt es sogar ganz marktwirtschaftlich Probleme schon lange mit dem Absatz.

    Die falsche Medizin des noch wenige Kritik und noch mehr Anpassung an die Wirtschaft mit Kultur als bunte Verpackung vergiftet geradezu den sehr intensiven, rhizomatischen und fruchtbaren Kritikdiskurs der Linken.

  • H
    hto

    Diese stets zeitgeistlich-kreislaufende Welt- und "Werteordnung", im "gesunden" Konkurrenzdenken des nun "freiheitlichen" Wettbewerbs um Ausbeutung und Unterdrückung für die Hierarchie in materialistischer "Absicherung", ist gänzlich auf den Konsumautismus der Systemphilosophie von "Wer soll das bezahlen?" und "Arbeit macht frei" zugeschnitten, also ...!?

     

    Wer in der konfusionierenden Überproduktion von systemrationalem Kommunikationsmüll nach eindeutiger Vernunft sucht, der sollte sich so weit wie möglich ausserhalb des Systems bewegen - Kompromissbereitschaft ist der erste Schritt in Verkommenheit des geistigen Stillstandes.

  • JA
    Jakob A.

    "Die deutsche Politik ist autistisch"? Das ist eine Beleidigung für alle Autisten.

    Wieso nicht gleich: "Die deutsche Politik ist behindert"? Oder: "Die deutsche Politik ist voll der Mongo!"?

    So eine Wortwahl ist mittlerweile eigentlich überholt.

  • M
    Matthias

    Einfach widerlich, wie hier Autismus und Egoismus gleichgesetzt werden.

    Dass die Minderheit der autistischen Menschen ständig als Schimpfwort herhalten muss, ist ja leider nichts neues.

    Aber dass eine solche Aussage aus dem Interview auch noch zur Titelzeile des Artikels erklärt wird, finde ich insbesondere bei der taz wirklich traurig.

  • A
    Abdullah

    Tschuldigung, aber das glauben wir euch nicht mehr...!

     

    Noch mehr Schulden und nochmer Zinswirtschaft, das Ganze auch noch Steuerfrei. Und sowas nennt sich wirtschaftsexperte...!?

  • HF
    Hans-Georg Fischer

    Es ist schon zum heulen. Gesunde Wirtschaft soll mit noch kränkerer Umwelt erkauft werden. Hallo, aufwachen, wir brauchen Degrowth. Je weniger wir produzieren, um so besser, denn nicht nur die Weltwirtschaft muss gesunden, nein, unsere Verhältnis zu unserem Lebensraum muss gesunden, d.h. auf eine nachhaltige Basis gestellt werden

  • G
    Gregor

    Bofinger: "Ein Investitionsprogramm für die öffentlichen Infrastruktur." Mit Stuttgart 21 haben wir eines, das von den Grünen bekämpft wird.