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die WahrheitIm Jahr des Tigers: VIP-Land China

Als Margret Dünser im Mai 1971 die Sendung "V.I.P.-Schaukel" im ZDF startete, hatte praktisch niemand in Deutschland einen Schimmer, wofür die drei Buchstaben vor den drei Punkten standen.

Als Margret Dünser im Mai 1971 die Sendung "V.I.P.-Schaukel" im ZDF startete, hatte praktisch niemand in Deutschland einen Schimmer, wofür die drei Buchstaben vor den drei Punkten standen. Damals gab es zwar Prominente, aber keine Very Important Persons. Inzwischen hat aber auch in Deutschland das VIP-Wesen so zugenommen, dass jedes Kind weiß, was die Abkürzung bedeutet.

Allerdings bewegen sich die deutschen VIPs eher am ausgefransten Rand der Gesellschaft. VIP-Lounges existieren in Stadien, in denen man dubiosen Sportarten frönt, zum Beispiel im "VIP-Gebäude" des easyCredit-Stadions des 1. FC Nürnberg. Ein "VIP-Hundeprofi" ist auf dem Randgruppensender VOX zu Hause. Und die "V.I.P.-Vollvermittlung" vermittelt Frauen aus der Ukraine an Männer, die schon Schwierigkeiten damit haben, in die nächste Dorfdisko hineinzukommen.

Das alles ist bei uns in China anders. Hier stehen die VIPs in der Mitte der Gesellschaft. Das heißt: Praktisch jeder von den 1,3 Milliarden Chinesen ist ein VIP. Und das kann er auch jederzeit beweisen, anhand der mindestens zehn Plastikkarten, die er immer in der Brieftasche hat: eine vom Supermarkt um die Ecke, eine vom Friseur, eine vom Massagesalon und sieben von den Restaurants, in denen zuletzt gegessen wurde. VIP steht ganz groß drauf, und zwar in lateinischen Buchstaben, auch wenn der gesamte Rest mit chinesischen Zeichen beschriftet ist. Schließlich soll auch ein Ausländer sehen, dass man wichtig ist, sollte man mal einem über den Weg laufen.

Doch beschränkt sich das hiesige VIP-Wesen nicht nur auf die VIP-Karten, für die man meistens einen VIP-Rabatt erhält. An jedem Rohbau steht die Nummer einer VIP-Hotline, bei der die VIP-Massen anrufen können, um eine VIP-Wohnung zu kaufen. Es gibt einen VIP-Service bei China Mobile, mit dem es sich wahrscheinlich schneller telefonieren lässt, VIP-E-Mail-Accounts und eine VIP-Mitgliedschaft bei Taobao, der chinesischen Ausgabe von eBay.

Auch die Deutschen, die in China einen Fuß in die Tür kriegen wollen, haben begriffen, dass es hier ohne "VIP-Policy" nicht geht. Wohl deshalb gab es im deutschen Expo-Pavillon in Schanghai einen getrennten VIP-Eingang. Durch den wurden jedoch nur deutsche Passinhaber gelassen, während die VIP-Chinesen vor dem normalen Eingang Stunden warten mussten. Ich aber spazierte durch die VIP-Tür. Eigentlich sollte der VIP-Einlass auch für die Ehepartner der so privilegierten Deutschen gelten, unabhängig von deren Staatsangehörigkeit. Deshalb wollte ich auch meine chinesische Frau mit hineinnehmen. Doch der deutsche Türsteher hatte andere Vorstellungen: "Zahlen Sie denn auch Steuern in Deutschland?", fragte er die Frau. Als sie in bestem Deutsch verneinte, blieb sie vor der Tür.

Nach diesem Erlebnis glaube ich, dass man in Deutschland doch noch nicht weiß, was VIP bedeutet. Dort übersetzt man die ersten beiden Buchstaben anscheinend mit "very impertinent". Und glaubt, dass man sich so benehmen darf, vor allem gegenüber Fremden.

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2 Kommentare

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  • MG
    Marisa Gehring

    Wie immer: sehr schön zu lesen!

  • G
    Glubberer

    Hey, nix gechn dem Glubb, gell!