Kino in der Bleibtreustraße: Rollenwechsel im Filmkunst 66
Der Kinomacher Franz Stadler hört auf, die Produzentin Regina Ziegler übernimmt das legendäre Kino Filmkunst 66 in der Bleibtreustraße. Jetzt soll es spätabends sogar Suppe dort geben.
Im Kino Filmkunst 66 läuft diese Woche "Franz Stadlers Last Picture Show" im Programm. Der Titel ist Peter Bogdanovichs Filmklassiker "The Last Picture Show" aus dem Jahr 1971 entlehnt - und bei allem Größenwahn treffend. Franz Stadler, seine Frau Rosemarie und das Filmkunst 66 bilden ein Stück große Berliner Kinogeschichte, die nun endet. Am morgigen Donnerstag gibt Franz Stadler das traditionsreiche Kino in der Bleibtreustraße ab. Er verabschiedet sich mit seinen Lieblingsfilmen. Beinahe 40 Jahre leitete er das Programmkino mit einen - neben dem Off-Mainstream - spezifischen Profil für cineastische Reihen, Erstaufführungen, Animation, deutsche Produktionen und internationale Filmkunst sowie Festivals.
Ab 2011 führen die Berliner Filmproduzentin Regina Ziegler und ihre Tochter Tanja das Filmkunst 66. Es ist ein Verkaufs-Coup, der zu Stadler passt. Statt die beiden Säle einem der üblichen verdächtigen Kinobetreiber der Stadt wie etwa der Yorck-Gruppe oder alternativen Bietern zu überlassen, galten für den eigensinnigen Stadler (neben dem Preis) noch andere Kriterien: nämlich Persönliches. Regina Ziegler war lange und intensiv mit dem Kino verbunden. Ihr erster Film "Ich dachte, ich wär tot" lief 1973 im Filmkunst 66. Außerdem wird kolportiert, dass die Produzentin ihren persönlichen Sitzplatz im Kino hat. Zum 25-jährigen Jubiläum des Hauses 1998 mietete sie den Sessel im Saal 1 dauerhaft an.
Teure Investionen nötig
Die Kinoschuhe, in welche die Zieglers steigen, sind nicht klein. Das Kino hat Renommee - und seine Übernahme birgt Risiken: Für das Haus und die drei anderen verbliebenen Off-Kinos rund um den Kudamm wird es wirtschaftlich nicht einfacher. Die Branche steht vor technisch teuren Investitionen, die Abspieltechnik wird von analog auf digital umgerüstet. Die alten Projektionsmaschinen für 35-mm-Kopien verschwinden. Zugleich stagnieren die Besucherzahlen.
Das Filmkunst 66, das 1995 als Neubau neben dem legendären Flachbau in der Bombenlücke an der Ecke Bleibtreu- und Niebuhrstraße entstand, beherbergt heute zwei Säle mit 200 beziehungsweise knapp 100 Sitzplätzen. Berliner Kinogeschichte schreibt das Haus aber seit 1951, als unter dem 50er-Jahre-Eckprovisorium im Keller die "BeLi-Bleibtreulichtspiele" zur Berlinale mit einem 400-Plätze-Saal eröffneten. Zwischen 1956 und 1966 hieß das Kino "Capri". Anschließend erhielt es seinen heutigen Namen.
1971 übernahm es der gelernte Filmkaufmann Franz Stadler und machte es zur Institution Westberlins. Es war das Haus für die Stars, Autorenfilmer und Antihelden: Woody Allen, Laurel und Hardy, Charlie Chaplin, die Marx Brothers und Dennis Hopper sah man auf der Leinwand. Neben John Wayne, Humphrey Bogart, Fred Astaire und Ginger Rogers kamen die Gesichter des neuen amerikanischen Films, des jungen deutschen und europäischen Films hinzu. Ins "Filmkunst" ging die Off-Kino-Szene, um danach in der Paris Bar, am Savignyplatz oder im Schwarzen Café zu landen.
Schon einmal verkauft
1999 gab es eine Zäsur an der Bleibtreustraße: Nach 28 Jahren Off-Kinokultur suchte Franz Stadler nach Neuem und verkaufte das kleine Kino an die Münchener Kinowelt Medien AG. Die Stadlers zogen nach Sylt, um dort ein Filmtheater zu führen. Der Job auf der Insel war eine schlechte Wahl, das Heimweh packte die Kinomacher.
2001 einigte sich Stadler mit der Kinowelt AG über die Konditionen, sein altes Filmkunst 66 zurückzubekommen. Und es klappte: "Das Haus hat eine neue Chance", freute er sich damals. Auch "das Wagnis, sich mit 60 Jahren nochmal selbstständig zu machen", schreckte ihn nicht.
Stadler hatte es 2001 nicht leicht in seiner Wohnung über dem Kino und natürlich darunter: Am Kudamm starben die Kinos, die Multiplexe zogen Zuschauer ab. Der Potsdamer Platz hatte eröffnet. Dennoch verlieh er seinem "Independent Kino" wieder eine "Handschrift" mit Reihen, Genres und Erstaufführungen.
Franz Stadler ist jetzt 70 Jahre alt, er hat das Bundesverdienstkreuz in der Tasche. Und ab sofort kein Kino mehr. Der Stab ist weitergereicht. Ganz? Wohl kaum. Wahrscheinlich wird er Regina Ziegler ab und zu ein paar Tipps geben.
Zum Beispiel den, dass man man nicht zum Essen ins Kino geht. Neben einem ausführlichen Kinderprogramm sollen auch Spätvorstellungen eingeführt werden, hatte Ziegler zu ihrem neuen Engagement gesagt. "Ab 23 Uhr zeigen wir Kultfilme. Und dann werde ich mit einer Mitternachtssuppe aufwarten, die ich selbst gekocht habe."
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