Geheime Beschusssache al-Dschasira

In einem Gespräch mit dem britischen Premier soll US-Präsident George Bush mit der Bombardierung des TV-Senders gedroht haben. Medien, die Auszüge aus dem Gespräch veröffentlichen wollen, droht London jetzt mit rechtlichen Konsequenzen

VON RALF SOTSCHECK

Die britische Regierung hat die Veröffentlichung einer geheimen Gesprächsnotiz des Außenministeriums verhindert. Aus dem Gespräch geht hervor, dass US-Präsident George Bush erwogen habe, den arabischen Fernsehsender al-Dschasira zu bombardieren. Der britische Premierminister Tony Blair habe ihn davon jedoch abgebracht.

Der Hauptsitz des Senders liegt in Doha, der Hauptstadt von Katar, wo US-amerikanische und britische Kampfflugzeuge stationiert sind. US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld hatte dem Sender mehrfach vorgeworfen, dass er „ständig lügt und mit Terroristen zusammenarbeitet“.

Es ist das erste Mal, dass eine britische Regierung den Medien mit dem Paragrafen 5 des Gesetzes zum Schutz von Staatsgeheimnissen gedroht hat. Generalstaatsanwalt Lord Goldsmith kündigte rechtliche Konsequenzen an, falls Zeitungen die Gesprächsaufzeichnung oder Teile daraus veröffentlichen.

Der Daily Mirror hatte das am Dienstag getan. Chefredakteur Richard Wallace sagte gestern: „Wir haben die Regierung informiert, dass wir die Gesprächsnotiz veröffentlichen wollen, und erhielten als Antwort, dass man dazu keinen Kommentar abgeben werde. 24 Stunden später droht man uns mit dem Paragrafen 5.“ Eigentlich wollte der Daily Mirror weitere Einzelheiten des Gesprächs abdrucken, doch Wallace sagte, man werde sich an das Verbot halten. Die Gesprächsnotiz war im Mai letzten Jahres im Wahlkreisbüro des damaligen Labour-Abgeordneten Tony Clarke in Northampton aufgetaucht. Clarkes Mitarbeiter Leo O’Connor wurde vorige Woche wegen des Besitzes der Notiz angeklagt. David Keogh, ein Beamter im Außenministerium, ist angeklagt, weil er die Notiz an Clarke geschickt haben soll. Clarke sagte, es sei von O’Connor richtig gewesen, ihn über das Gespräch zu informieren. Er habe die Notiz der Regierung zurückgegeben, nachdem er sie gelesen hatte.

Aus der Notiz geht angeblich hervor, dass die Bombardierung von al-Dschasira nur einer von mehreren Streitpunkten zwischen Bush und Blair war. Offenbar war die britische Regierung mit verschiedenen Aspekten der US-Taktik im Irak, vor allem in Falludscha, nicht einverstanden.

Al-Dschasira verlangte gestern von den Regierungen in Washington und London eine „gute Erklärung“ für Bushs Bemerkungen über die Bombardierung des Fernsehsenders. Der Chef des Londoner Büros, Yofri Fouda, sagte: „Wir untersuchen zurzeit die Glaubwürdigkeit des Dokuments. Falls es existiert, wäre das erschreckend – nicht nur für uns, sondern für die Medien in der ganzen Welt.“

Fouda sagte, vielleicht habe Bush gescherzt, erinnerte jedoch an die US-Angriffe auf das Büro von al-Dschasiras in Kabul 2001 und in Bagdad 2003. Man habe die US-Regierung zu Beginn des Irakkriegs über die Adressen der Büros des TV-Senders informiert. Beide Regierungen verweigerten gestern einen Kommentar. Blairs Sprecher sagte: „Wir haben zu dieser Geschichte nichts zu sagen.“ Ein Sprecher des Weißen Hauses sagte: „Wir werden so etwas Haarsträubendes keiner Antwort würdigen.“