„Impft das Land“

In den Gebieten an der Grenze zu Liberia und Guinea gibt es die meisten MilizenDie UN spricht von staatlich tolerierten Morden und von Folter

AUS ABIDJAN HAKEEM JIMO

Die Waffen kamen per Hubschrauber. Gewehre und Munition wurden eingeflogen und im Ort Agboville an Aktivisten der „Ivorischen Volksfront“ (FPI) des Präsidenten der Elfenbeinküste, Laurent Gbagbo, verteilt. Diese errichteten Straßensperren, um nach „Angreifern“ zu suchen, wie im von der Regierung kontrollierten Süden der Elfenbeinküste die Rebellen aus dem Norden genannt werden. Organisiert war der Aufmarsch von hohen Militärs und Geschäftsleuten. Die lokalen Transportunternehmer protestierten gegen die Straßensperren, woraufhin diese aufgehoben wurden. Aber: „Heute leben in fast allen Dörfern rund um Agboville Milizionäre, zum Eingreifen bereit“, schließt der Zeitungsartikel, der diese Entwicklung in der ivorischen Kleinstadt beschreibt. Die Milizionäre wollten ihre Gegner zur Revolte provozieren und dann darauf mit Gewalt antworten. „Es geht um die Planung des Genozids, den die FPI vorbereitet“, so der Artikel abschließend. „Die UNO weiß Bescheid.“

Der Artikel unter der Überschrift „Gespannte Stimmung in Agboville: Die FPI bereitet den Genozid vor“, erschien in der ivorischen Oppositionszeitung Le Patriote am 28. Oktober. „Ich wollte, dass der Artikel unter meinem Namen erscheint“, sagt der Autor, Jean-Claude Coulibaly. „Es geht um mehr als um mein Leben.“ Die ersten Todesdrohungen gegen Coulibaly ließen nicht lange auf sich warten. Aber Coulibaly fragt: „Müssen denn nicht alle in der Elfenbeinküste mit Namen wie meinem das Schlimmste befürchten?“ Wer in der Elfenbeinküste Namen wie Coulibaly, Touré, Traoré oder Ouattara trägt – typisch für die Ethnien des Nordens – ist im Regierungsteil der Elfenbeinküste gebrandmarkt. Wer aus dem Norden stammt, wo die ivorischen Rebellen herrschen, gilt im Gbagbo-Reich als Feind.

Der Vorwurf, radikale Kräfte um Präsident Laurent Gbagbo bereiteten einen Völkermord in der Elfenbeinküste vor und wollten Angehörige jener Ethnien umbringen, aus denen ihre politischen Gegner kommen, sind so alt wie Gbagbos Amtszeit. Schon Gbagbos Amtsübernahme im Oktober 2000 – als er seinen Wahlsieg gegen den vorherigen Militärherrscher Robert Guei per Volksaufstand durchsetzen musste – war von Gewalt begleitet. In einem Vorort von Abidjan richteten damals Gbagbo-treue Gendarmen ein Massaker unter Menschen aus dem Norden der Elfenbeinküste an. Sie wollten dagegen protestieren, dass ihr politischer Führer, Alassane Ouattara, an den Wahlen nicht hatte teilnehmen dürfen. 57 Opfer landeten in einem Massengrab.

In den Folgemonaten tyrannisierten Todesschwadronen vermeintliche Regimefeinde. Schlägertrupps und Auftragskiller durchkämmten die in Abidjan typischen „cours communes“, also Wohnhöfe, nach Oppositionellen. Das Raster war eindeutig: Der falsche Name auf dem Pass genügte. Eine spätere UN-Untersuchung beschuldigte den engsten Kreis der Präsidentengattin, Simone Gbagbo, als Auftraggeber der Häscher. Auch als im März 2004 Sicherheitskräfte eine Oppositionsdemonstration mitten in Abidjan angriffen und mehr als 120 Menschen starben, waren die meisten Opfer Anhänger der Opposition aus dem Norden der Elfenbeinküste oder Nachkommen von Einwanderern aus Burkina Faso. Und im Juni 2005 wurden in dem Ort Duékoué im Westen des Landes mehr als 100 Menschen nördlicher Abstammung massakriert.

Die Anhäufung solcher Vorfälle und die ständige Angst, in der Angehörige „missliebiger“ Völkergruppen im Süden der Elfenbeinküste leben, nähren Vorwürfe der Vorbereitung eines Völkermords wie in Ruanda 1994. Aber im Gbagbo-Lager will man nichts von ethnischen Vorurteilen hören. Nach dem Massaker von Duékoué im Juni leugnete Präsident Laurent Gbagbo persönlich jede ethnische Dimension, obwohl diese von unabhängigen Untersuchern bestätigt wurde. Nach dem Artikel von Jean-Claude Coulibaly über die Milizen von Agboville antwortete Gbagbos Sohn, Michel Gbagbo, in der Tageszeitung Le Courrier: In jenem Artikel manifestiere sich das Gedankengut der Opposition, schrieb er und beschuldigte den Journalisten Coulibaly der „ethnischen Mathematik“.

Dabei herrscht schon längst offene Gewalt – im Westen der Elfenbeinküste, an der Grenze zu den unruhigen Nachbarn Liberia und Guinea. Hier werden viele der Konflikte, die in Abidjan mit Worten ausgetragen werden, mit Gewalt fortgeführt. Streit um Land bringt die Menschen gegeneinander auf. Denn in dieser Region wachsen Kakao und Kaffee, die der Elfenbeinküste verhältnismäßigen Wohlstand gebracht haben. „In diesen Regionen haben wir die größte Konzentration der Milizen“, sagt ein Vertreter der ivorischen Menschenrechtsgruppe MIDH.

Im Westen der Elfenbeinküste sind die Bété zu Hause, zu der Präsident Laurent Gbagbo zählt. Viele Bété sehen sich als die „Einheimischen“ (autochtones), und alle andere als „Zugewanderte“ (allogènes) mit minderen Rechten. Doch in den ersten Jahrzehnten nach der Unabhängigkeit 1960 wurden zahlreiche Angehörige anderer Ethnien im Gebiet der Bété angesiedelt – Baoulé, die Volksgruppe des ersten Staatspräsidenten Felix Houphouet-Boigny aus dem Zentrum der Elfenbeinküste; Akan aus dem Osten an der Grenze zu Ghana; muslimische Dioula aus dem Norden. Sie erwarben beträchtliches Landeigentum in den Kakaogebieten. Die FPI entstand zum Teil aus dem Gefühl mancher Bété, enteignet und entrechtet zu werden. Nun sind mit Gbagbo die Bété an der Macht und werfen sämtliche andere Volksgruppen in einen Topf, denen man im wahrsten Sinne des Wortes das Feld nicht überlassen dürfe.

In der Elfenbeinküste leben rund 17 Millionen Menschen. Schätzungen zufolge sind ein Drittel der Bevölkerung Nachkommen von Einwanderern. Sie kommen zumeist aus den beiden nördlichen Nachbarstaaten Mali und Burkina Faso; während der französischen Kolonialzeit vor 1960 wurden viele von ihnen mehr oder weniger gezwungen, auf den Plantagen der Elfenbeinküste zu arbeiten. Ihre Nachfahren blieben im Land und arbeiten zu hunderttausenden auf den Kakao- und Kaffefarmen oder als Tagelöhner in Abidjan. Hauptziel der Rebellion im Norden ist es, den Nachkommen dieser Zuwanderer Bürgerrechte zu verschaffen. „Gbagbos Lager versucht alles, um diese Gruppe vom politischen Prozess auszuschließen“, sagt der Journalist Coulibaly.

In seinen fünf Jahren an der Macht hat Gbagbo die Schaltstellen in Politik, Militär, Polizei und Wirtschaft mit Mitgliedern seines Stammes besetzt. Das Schlagwort „Bétéisierung“ macht die Runde. Dabei geht es etwa um Verteidigungsminister Réné Amany, Sicherheitsberater Bertin Kadet – angeblich das Gehirn hinter der Aufstellung FPI-treuer Milizen – und um die Frau des Präsidenten, Simone Gbagbo, der schon zu Beginn der Krise ein UNO-Bericht engste Verbindung mit den Todesschwadronen nachwies. Simone Gbagbo ist allerdings in vergangener Zeit in den Hintergrund geraten. Ihr damaliger engster Mitarbeiter, Kommandant Séka Yapo ging als Militärattaché an eine ivorische Botschaft ins Ausland.

Für die Menschenrechtsorganisation MIDH gelten die Gbagbo-treuen Milizen, bekannt unter dem Sammelbegriff „Junge Patrioten“, als potenzielle Massakerkommandos. Zuerst wurden sie spontan gegründet, sagt der MIDH-Vizepräsident. Aber mit der Zeit seien sie systematisch von der Präsidentschaft aufgebaut worden. „Es geht um das Herausdrängen der nördlichen Ivorer und Zuwanderer aus der Politik und den Zugriff auf die ökonomischen Reserven des Landes – um jeden Preis“, sagt ein MIDH-Sprecher und fügt hinzu, ein Genozid sei absolut möglich.

Die Menschenrechtler der MIDH, die ihre Namen nicht genannt sehen wollen, sehen in Gbagbos Rhetorik die psychologische Vorbereitung eines Völkermords. „Ich fordere die Sicherheitskräfte auf, das Land zu impfen“, sagte Präsident Gbagbo kürzlich in einer Fernsehansprache. Das weckt in der Tropenstadt Abidjan Assoziation an die Beseitigung von Bazillen und Viren.

Bei der MIDH sorgt man sich auch um einen weiteren Ort der psychologischen Vorbereitung: die so genannten Agora, Straßenparlamente in Abidjan. Die sind fest in der Hand der Pro-Gbagbo-Milizen: Gegen Neokolonialismus der Franzosen wird gewettert, zur Fremdenfeindlichkeit bekennt man sich ungeniert. Im Geschäftszentrum Plateau trägt dieses Volksparlament den Spitznamen „Sorbonne“, in Anlehnung an die renommierte Universität in Paris. Aufrufe zum Massenmord vom Schlage eines „Radio Milles Collines“ in Ruanda 1994 gibt es in der Elfenbeinküste nicht. Doch in Geheimtreffen im Westen des Landes und auch in Abidjan würden solche Dinge auch ausgesprochen, sagt der MIDH-Vizepräsident.

Und was tut die UNO, die in Ruanda die Vorbereitungen zum Völkermord nicht wahrhaben wollte? Bereits im vergangenen Jahr sprach der UN-Sonderbeauftragte zur Vorbeugung von Völkermord, Juan Mendez, von fremdenfeindlicher Hasssprache in der Elfenbeinküste, mit der der Staat Milizen aufwiegele. Das führe zu staatlich tolerierten Morden, Folter, willkürlichen Festnahmen und Gewalt gegen Frauen. Die Vorwürfe hat er unlängst wiederholt.

Wenn das angespannte politische Klima andauere, dann könnte sich in ein paar Jahren das Klima für einen Völkermord entwickeln, heißt es auch bei der UNO-Mission in der Elfenbeinküste. Die Mission, die entgegen ihrem Mandat auch Verletzungen des Waffenembargos für das Land nicht verhindert hat, gilt im Land allerdings weithin als eher ignorant gegenüber solchen Entwicklungen. Als Gegenmaßnahme verweist sie auf „Peace Community“-Projekte im Westen: Streitende Gruppen treffen sich auf Gemeindeebene und arbeiten Gewaltausbrüche auf.

Journalist Jean-Claude Coulibaly betrachtet die Reaktionen der UNO-Mission als unzureichend und fahrlässig. „Alle Zutaten für einen Völkermord sind bereits zusammen“, sagt er. „Dagegen muss viel mehr getan werden.“