Getrennt besser lernen: Manchmal ohne Jungs

Mathe kann ich nicht. Davon waren auch Schülerinnen eines Freiburger Gymnasiums überzeugt. Bis sie einen Kurs speziell für Mädchen belegten.

Ohne Jungs gehts meistens besser -jedenfalls in Mathe. Bild: dpa

Mechtap (16) ist Schülerin am Berthold-Gymnasium in Freiburg. In zwei Jahren will sie ihr Abitur bestehen. Doch vor einigen Monaten war Mathe für sie ein Buch mit sieben Siegeln. Heute sagt sie strahlend. "Mir macht Mathe jetzt sogar Spaß!" Was hat sich geändert? Mechtap ist eine von 17 Schülerinnen, die seit Beginn des Schuljahres einen Mathe-Oberstufenkurs nur für Mädchen belegen.

Statistisch gesehen haben Mädchen die Jungen in den letzten Jahren in der Schule überholt. Schülerinnen schneiden im Durchschnitt besser ab und machen häufiger Abitur als Schüler. Deshalb wollen die Regierungsparteien CDU, CSU und FDP nun benachteiligte Jungen gezielter fördern. Doch die Erfolge der Mädchen verdecken, dass auch sie in einigen Fächern Nachholbedarf haben.

Als die Forscher des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung im Jahre 2007 mathematische und naturwissenschaftliche Kompetenzen von Viertklässlern gemessen haben, stellten sie fest, dass Jungen in beiden Bereichen eindeutig besser abschneiden als Mädchen. Allerdings ist Deutschland ein Sonderfall. In den meisten Ländern, die an der sogenannten TIMSS-Studie teilnahmen, liegen Jungen und Mädchen in diesen Fächern nahezu gleichauf.

Man kann also nicht allgemein behaupten, dass Mädchen von Grund auf unbegabter in Mathe, Physik oder Chemie sind. Diese Unterschiede seien nicht naturgegeben, sondern von kulturellen Faktoren in der Gesellschaft und der Lerngruppe abhängig, meint der Professor für Grundschulpädagogik an der Universität Siegen, Hans Brügelmann: "Mädchen trauen sich in Mathematik und in Naturwissenschaften eher zu wenig zu, während sich Jungen leicht überschätzen." Das beeinflusse dann auch die Leistungen."

Im vergangenen Schuljahr quälte Mechtap sich durch den Matheunterricht. Entmutigende Kommentare der männlichen Mitschüler und die Ungeduld des Lehrers machten ihre Lage nicht besser. Mit der Zeit gab Mechtap es auf, den Lehrer nach einer Erklärung zu fragen. Vor Klassenarbeiten suchte sie gelegentlich Mitschüler auf, um wenigstens die Grundlagen des Unterrichtsstoffs zu verstehen.

Der Mathematiklehrer Alf Schwörer hat über Jahre hinweg beobachtet, wie unterschiedlich Jungen und Mädchen an die Lösung der gleichen Aufgaben herangehen. "Jungen und junge Männer wollen Verfahren lernen. Sie wollen wissen, wie es geht, und dann schnell zum nächsten Thema", beschreibt Schwörer die männliche Lernstrategie. Mädchen würden dagegen länger bei einem Thema bleiben wollen und sicher sein, dass sie es verstanden haben.

Seine Schlussfolgerung: Wenn man den Mädchen entgegenkomme und mehr Zeit aufwende, könnten sie bessere Ergebnisse erzielen. Also schlug Schwörer der Schulleitung vor sechs Jahren vor, an der Schule einen Mathekurs nur für Mädchen anzubieten. "Alle waren positiv überrascht, wie groß das Interesse seitens der Mädchen war."

"Die Mädchen ticken da einfach anders als die Jungen", stellte Mechtap für sich fest. "Wir brauchen mehr Zeit, um einen Sachverhalt zu verstehen, um dann auch sicher die Aufgaben lösen zu können", bestätigt auch ihre Mitschülerin Hanja (18) aus dem Mädchen-Mathe-Kurs.

Viel zu schnell seien früher die Lösungen von den "Mathe-Cracks" beantwortet worden, so dass Mechtap und Hanja oft überhaupt nicht die Zeit hatten, das Problem zu erkennen oder gar selbst über eine mögliche Lösung nachzudenken.

Im Schülerinnenkurs stellt sich Schwörer auf die Lernweise der Mädchen ein. "Wenn wir ein neues Thema anfangen, geht es erst mal nicht um Mathe." Und hier liegt der Knackpunkt. Er versucht den Mädchen die abstrakte Wissenschaft durch ganz alltägliche Begebenheiten und eigene Erfahrungen näherzubringen.

Mechtap und Hanja fanden schnell Gefallen an der etwas anderen Arbeitsweise: Es werde mehr auf Fragen eingegangen, sogar auf solche, die sich spontan ergäben oder gar das zu bearbeitende Thema verfehlten. "Es geht mehr um das Warum als um das Wie", sagt Mechtap. Nun verständen sie den Unterrichtsstoff besser und trauten sich auch mal, eine falsche Antwort zu geben. Nur mit Mädchen zu arbeiten mache viel mehr Spaß und sei deutlich entspannter, erklärt Mechtap. "Ich bin wieder motiviert."

Ist getrennter Unterricht also gerechter für Mädchen und Jungen? Brügelmann meint, manchmal könne das von Vorteil sein. Generell lehnt er die Einteilung der Schüler nach Geschlecht oder anderen Kriterien aber ab. "Jeder einzelne Schüler braucht besondere Förderung. Wenn wir alle bedeutsamen Merkmale berücksichtigen, landen wir beim einzelnen Schüler. Also müssen wir den Unterricht so offen gestalten, dass jeder Schüler seinen persönlichen Zugang findet."

Auch Mathelehrer Schwörer meint, dass sich der gemischte Unterricht so ändern müsse, dass Mädchen und Jungen gleichermaßen profitierten. Und auch in einer reinen Mädchenklasse gäbe es natürlich Schwierigkeiten: "Mädchen sind viel "beratungsresistenter", sagt Schwörer schmunzelnd. "Ein Mädchen zu überzeugen, dass sie einen Fehler gemacht hat, ist für einen Mathelehrer viel schwieriger als bei einem Jungen. Die beharren länger auf ihrer falschen Meinung."

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.