Rechte für Patienten: Offene Tür für psychisch Kranke

Berlin hat eine neue Beschwerdestelle für psychisch Kranke. Der Bedarf ist da: Täglich werden tausende behandelt. Gerade Zwangsmaßnahmen provozieren Konflikte.

Die psychisch Kranke fühlt sich völlig ausgeliefert. In einem sogenannten Überwachungszimmer haben sie die Mitarbeiter der Psychiatrie ans Bett gebunden. Eine Zwangsmaßnahme, die manchmal notwendig ist, damit Patienten nicht sich selbst oder andere gefährden. Was die Situation noch verschärft: Es sitzt kein Klinikbeschäftigter neben ihr. Stattdessen wird der Raum per Kamera überwacht. Für Menschen, die unter Ängsten leiden und sich möglicherweise sogar verfolgt fühlen, eine zusätzliche Belastung.

So schildert eine Frau ihre Erlebnisse in einem anonymen Brief an die neue Beschwerde- und Informationsstelle Psychiatrie Berlin (bip). Mitte Dezember haben die vier Mitarbeiter in der Schöneberger Grunewaldstraße die Beratung aufgenommen. Am Mittwoch wurde die Anlaufstelle nun auch offiziell eingeweiht. Träger ist die Arbeitsgemeinschaft "Gesundheit Berlin-Brandenburg". Die Gesundheitsverwaltung fördert das Projekt mit 140.000 Euro pro Jahr.

Die Anlaufstelle richtet sich an Patienten, aber auch an Angehörige und an Beschäftigte im Psychiatriebereich. 35 Beschwerden seien in den letzten Wochen bereits eingegangen, berichtete Mitarbeiterin Caroline von Taysen. Sie und ihre Kollegen haben verschiedene Möglichkeiten, darauf zu reagieren: Sie können die Vorwürfe dokumentieren, Ende des Jahres sollen die gesammelten Beschwerden veröffentlicht werden. Oft versuchten sie aber auch, die Probleme in einem Gespräch mit den betroffenen Einrichtungen zu klären, sagte von Taysen. "Die Fronten sind häufig verhärtet. Unser Ziel ist es, integrierend zu wirken."

Die psychiatrische Versorgung in Berlin hat sich stark verändert: 1993 standen nach Senatsangaben noch 6.000 Klinikbetten zur Verfügung, heute gibt es nur noch 2.600. Sie sind zu fast 100 Prozent ausgelastet. 40.000 Fälle werden in den Kliniken pro Jahr behandelt.

Um psychisch Kranke stärker in die Gesellschaft zu integrieren, wurden betreute Wohnformen ausgebaut. 6.000 Hilfebedürftigen nutzen diese Unterstützung.

In Berlin gibt es 1.700 Zwangsunterbringungen in Kliniken pro Jahr. Diese Zahl ist stabil, heißt es.

Beschwerde- und Informationsstelle: Grunewaldstraße 82; Infos unter (0 30) 7 89 50 03 60 oder www.psychiatrie-beschwerde.de

Der Bedarf für eine Beschwerdestelle ist da: Studien zufolge litten 25 Prozent der deutschen Bevölkerung an einer psychischen Störung mit Krankheitswert, sagte der Landesbeauftragte für Psychiatrie, Heinrich Beuscher. Auf Berlin übertragen sind das 860.000. 7 bis 10 Prozent der Menschen hätten Depressionen, auch Suchterkrankungen seien häufig, so Beuscher. In Berlin gebe es täglich mehrere tausend psychisch Kranke, die Betreuung oder Behandlung benötigten. "Es ist es völlig klar, dass es bei dieser Menge an Hilfebedürftigen und Behandelnden zu Konflikten kommt."

Gesundheitssenatorin Katrin Lompscher (Linkspartei) sagte, mit der Beschwerdestelle solle die Selbstbestimmtheit von Patienten gestärkt werden. Das sei gerade auf einem sensiblen Feld wie der psychiatrischen Versorgung wichtig, da hier - etwa bei Zwangseinweisungen - Grundrechte berührt würden. Vertreter der Irren-Offensive, die vor der Beschwerdestelle demonstrierten, sind skeptisch: Sie glauben, dass der Senat nur versucht, "die Verbrechen der Psychiatrie durch eine Beschwichtigungsstelle zu vertuschen".

Es gibt bereits Beschwerdestellen in mehreren Bezirken. Die seien aber bei den Gesundheitsämtern angesiedelt und damit weniger unabhängig, sagte Beuscher. In den Kliniken können sich Betroffene zudem an sogenannte Patientenfürsprecher wenden. Die neue Beschwerdestelle soll sich daher vorrangig um Konflikte in der ambulanten Versorgung kümmern.

Im Fall der mit Kameras überwachten Patientin wollen sich sowohl die Mitarbeiter der Beratungsstelle als auch der Landesbeauftragte für Psychiatrie mit der betroffenen Klinik in Verbindung setzen. Er werde zudem prüfen lassen, ob es sich um einen Rechtsverstoß handele, sagte Beuscher. "Sollte das so sein, könnten wir auch über den Amtsarzt und die Ordnungsbehörde auf den Träger einwirken." Meist ließen sich die Konflikte aber bereits im Gespräch lösen.

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