Sachsen-Anhalts Ministerpräsident geht: "Die Linke wünsche ich dem Land nicht"

Der sachsen-anhaltische Ministerpräsident Wolfgang Böhmer (CDU) über mögliche Nachfolger, die Verachtung von Politikern - und was Anpasser im Osten von denen im Westen unterscheidet.

"Ich war auch ein Fan von Willy Brandt": Wolfgang Böhmer (CDU), scheidender Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt. Bild: dapd

taz: Herr Böhmer, nach zwei Jahrzehnten in der Politik ist nun Schluss. Sie waren Finanzminister in Sachen-Anhalt, dann neun Jahre Ministerpräsident. Warum sind Sie nach der Wende in die Politik gegangen?

Wolfgang Böhmer: Aus einer Mischung aus Idealismus und Unkenntnis.

Inwiefern?

WOLFGANG BÖHMER, 75, arbeitete zu DDR-Zeiten als Gynäkologe, zunächst in der Görlitzer Frauenklinik, ab 1974 dann als Chefarzt in Wittenberg. 1990 wurde er für die CDU erstmals in den Landtag gewählt. Er war zunächst Finanzminister, später Arbeitsminister, bis 1994 die SPD an die Macht kam. Seit 2002 führt er als Ministerpräsident in Sachsen-Anhalt eine große Koalition an.

Die Wahl: Am 20. März wird in Sachsen-Anhalt eine neuer Landtag gewählt. Bei den letzten Umfragen Mitte Januar lag die derzeit regierende CDU mit 32 Prozent vorne, gefolgt von der Linkspartei (28 Prozent). Die SPD kam auf 22 Prozent, die Grünen können nach 13 Jahren mit dem Wiedereinzug rechnen (8 Prozent). Die FDP eher nicht - sie lag bei 4 Prozent.

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Die Kandidaten: Nach neun Jahren als Ministerpräsident wird Wolfgang Böhmer nicht mehr antreten. An diesem Freitag findet in Magdeburg die letzte Landtagssitzung mit ihm statt. Böhmers Nachfolger soll nach dem Willen der CDU Rainer Haseloff werden. Die Linkspartei will mit Wulf Gallert erstmals einen Regierungschef stellen. Kämpferisch gibt sich auch noch SPD-Kandidat Jens Bullerjahn. Die Wahrscheinlichkeit, dass seine Partei noch die Linkspartei oder gar die CDU überholt, ist jedoch gering.

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Das Problem: SPD-Mann Bullerjahn schließt aus, Wulf Gallert - mit dem er seit Jahren eng befreundet ist - zum Ministerpräsidenten zu wählen. Gegen ein rot-rotes Bündnis an sich haben die Sozialdemokraten nichts einzuwenden, allerdings nur, wenn sie selbst ein solches anführen, was angesichts der Umfragen sehr unwahrscheinlich ist. Letztlich könnte die große Koalition unter CDU-Führung fortgesetzt werden. (pw)

Ich wurde gefragt, ob ich für eine Partei für den Landtag kandidieren würde. Ich glaubte, das wäre so ähnlich wie die Bezirkstage zu DDR-Zeiten. Die tagten einmal im Vierteljahr. Da dachte ich, das schaffst du auch. Das war eine totale Verkennung der Situation. Ich bin aber gewählt worden und kam dann ganz schlecht wieder raus.

Warum sind Sie zur CDU gegangen?

Weil die mich gefragt haben.

Sie hätten auch für die SPD kandidiert, wenn die Sie gefragt hätten?

Ich war auch ein Fan von Willy Brandt und Helmut Schmidt.

Sind Sie heute froh, dass Sie nicht von der SPD gefragt worden sind?

Ich hätte mich durchaus auch in einer anderen Partei nützlich machen können. Dass ich bei der CDU gelandet bin, habe ich jedenfalls nicht bereut.

Gab es in der DDR mehr Opportunismus als im Westen?

Das lässt sich schwer messen. In der DDR haben sich die Leute gezwungenermaßen an die Machtverhältnisse angepasst. Im Westen, weil sie Karriere machen wollten. Das ist zwar nicht das Gleiche, aber das sind die gleichen menschlichen Mechanismen.

Für dieses Argument haben Sie bei Ihrer Rede im Bundestag zu 20 Jahren deutsche Einheit Applaus aus den Reihen der Linkspartei bekommen. Hat Sie das irritiert?

Möglicherweise habe ich nichts ganz Dummes gesagt. Das soll auch mal vorkommen.

Bei der Bundestagswahl 2009 wurde die Linkspartei stärkste Kraft in Sachsen-Anhalt. In Umfragen zur Landtagswahl am 20. März liegt sie knapp hinter der CDU. Woran liegt das?

Die Wiedervereinigung Deutschlands hat viele Hoffnungen der Menschen in den neuen Bundesländern nicht erfüllt. Wir dachten ja alle, jetzt bricht sofort der Wohlstand aus. Die Arbeitslosigkeit und der schwierige wirtschaftliche Transformationsprozess haben aber auch zu Enttäuschung geführt. Das waren aber auch die Folgen der eigenen Illusion.

Es wurde also zu viel gehofft im Osten?

Die Hoffnung kann man niemandem vorwerfen. Aber mancher Mensch denkt zuletzt daran, dass es auch an ihm liegen kann, wenn er nicht richtig vorankommt. Immer ist der Staat schuld, wenn etwas nicht klappt. Und die Staatsgläubigkeit ist in den neuen Ländern noch immer höher als in den alten.

Ist Wulf Gallert, Spitzenkandidat der Linkspartei in Sachsen-Anhalt, nicht eigentlich ein ganz guter Mann, ein besserer Sozialdemokrat?

Das würde ich nie behaupten, da wäre er sicher sehr verärgert. Ich beobachte die Linkspartei hier und stelle fest, dass sie große Schwierigkeiten hat, sich der Wirklichkeit anzunähern, auch wenn sie versucht, pragmatisch zu werden.

Können Sie sich vorstellen, dass jemand wie Wulf Gallert Ihr Nachfolger wird?

Das entscheiden die Wähler. Ich würde es dem Land nicht wünschen.

Herr Böhmer, Sie waren 20 Jahren lang Berufspolitiker. Macht Politik eigentlich Spaß?

Wie alles im Leben macht auch Politik gelegentlich Spaß.

Was ist denn Ihr größter Erfolg nach neun Jahren Regierungsverantwortung?

Der erkennbare wirtschaftliche Aufschwung im Land.

Und Ihr größter Misserfolg?

Das wissen andere besser als ich.

Das glauben wir nicht.

Da muss ich mir keine Gedanken machen. Es steht doch in der Zeitung, was wir alles falsch gemacht haben.

Warum sind Politiker eigentlich so unbeliebt?

Weil sie gelegentlich - von ihren eigenen Hoffnungen verführt - mehr versprechen als sie dann umsetzen können.

Das war früher auch so. Aber das Ansehen von Politikern ist in den letzten Jahrzehnten rapide schlechter geworden. Warum?

Die Zeit ist schnelllebiger geworden. Das Nachdenkliche, Intellektuelle ist in den Medien eher selten geworden. In Medien kommt man nur noch mit pointierten, deftigen Formulierungen vor. Alles möglichst schnell, per SMS oder E-Mail. Das hat den gesamten Eindruck von dem System beeinflusst.

Haben nicht auch Politiker selbst Anteil daran - vor allem der Typus des Berufspolitikers, der schnell Karriere macht und keinen Kontakt mehr zur Lebenswirklichkeit hat?

Auch wenn es dafür Einzelbeispiele geben mag, kann man das nicht so verallgemeinern. Die meisten Parlamentarier leben mitten unter ihren Wählern. Auf Landesebene ist es eher selten, dass jemand drei, vier Legislaturperioden durchhält. Auf kommunaler Ebene sind Politiker ohnehin meist ehrenamtlich tätig. Für die Bundesebene sieht das ein bisschen anders aus. Aber da braucht man fast eine Legislaturperiode, um sich einzuarbeiten. Das pauschale Urteil über Politiker ist nicht gerechtfertigt. Niemand würde so abfällig über andere Berufe reden wie über Politiker.

Würden Sie Jüngeren raten, in die Politik zu gehen?

Ja, wenn sie eine abgeschlossene Berufsausbildung und etwas Lebenserfahrung gesammelt haben, damit sie über eine gewisse innere Unabhängigkeit verfügen.

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