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Kommentar Hartz-IV-VerhandlungenDas Versagen der Konsensmaschine

Stefan Reinecke
Kommentar von Stefan Reinecke

Ohne eine kräftig sabotierende FDP hätten sich Union und SPD wohl einigen können. So macht Hartz IV deutlich, dass die FDP in dieser Regierung ein Irrtum ist.

D er deutsche Parlamentarismus zwingt zum Konsens. Ohne Bundesrat, in dem die Opposition oft die Mehrheit hat, wird kaum etwas Grundsätzliches entschieden. So regiert in zentralen innenpolitischen Fragen eine Art verdeckte Allparteienkoalition - unter Ausschluss der Linkspartei. Dieses Konglomerat hat zwar einen schlechten Ruf, sorgt aber für eine gewisse Rationalität. Es ist eine Konsensmaschine, die die Abläufe verlangsamt und politische Reißschwenks verhindert.

An Hartz IV ist dieses bundesrepublikanische Konsenssystem nun spektakulär gescheitert. Die Union behauptet, dass die SPD, wegen einer bloßen Trophäe, nämlich ein paar Euro mehr für Hartz-IV-Empfänger, die Verhandlungen habe platzen lassen. Die SPD sagt, die schwarz-gelbe Koalition sei intern so zerstritten, dass Merkel gar keine Einigung gewollt habe. Denn dann wäre ein Koalitionskrach angesagt gewesen, den die Kanzlerin mit Blick auf die Schlüsselwahl in Baden-Württemberg unbedingt verhindern musste.

Wer hat recht? Beide. Schwarz-Gelb und Rot-Grün haben sich von machttaktischem Kalkül leiten lassen. Und dies, obwohl die Klugen in beiden Lagern wissen, dass solch politisches Armdrücken nur Ressentiments gegen "die Politik" befördert.

taz

STEFAN REINECKE ist Redakteur im Berliner Parlamentsbüro der taz.

Wenn man genau hinschaut, ist die Schuld aber doch unterschiedlich verteilt. Ohne FDP, die eine Annäherung bei Mindestlohn und gleichem Lohn für Leiharbeiter kräftig sabotiert hat, hätten sich Union und SPD wohl einigen können. So zeigt Hartz IV, dass die FDP in dieser Regierung ein Irrtum ist. Außer Blockaden bringen Westerwelle & Co nichts mehr zustande.

Und: Es war richtig von der SPD, die Forderung nach gleichem Lohn mit Hartz IV zu koppeln. Das hat eine Einigung zwar noch komplizierter gemacht, aber Lohnhöhe und Hartz IV gehören eben zwingend zusammen. Letztlich geht dieses Scheitern vor allem auf das Konto der Bundesregierung. Denn es ist ihr Job und nicht der der Opposition, das Karlsruher Hartz-IV-Urteil nach einem Jahr endlich umzusetzen.

Unter dem Strich gibt es nun fast nur Verlierer. Die Hartz-IV-Empfänger wissen nicht, woran sie sind. Die politische Klasse hat sich blamiert. Nur die Linkspartei ist fein raus. Schwarz-Gelb hatte sie mit windigen Tricks von den Verhandlungen ausgeschlossen. Das dürfte ihr nun erst recht zugutekommen.

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Stefan Reinecke
Korrespondent Parlamentsbüro
Stefan Reinecke arbeitet im Parlamentsbüro der taz mit den Schwerpunkten SPD und Linkspartei.
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13 Kommentare

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  • J
    JaneO.

    Verdammt! KONSENS!!!!

    Habe ich glatt hartnäckig mit "Z" geschrieben?

     

    Tschuldigung, ich mache dann für heute besser Feierabend....

  • J
    JaneO.

    Tut mir leid, ich verstehe den Artikel nicht.

    Erst wird von Konsenz gesprochen und gleichzeitig auf den Ausschluss der Links-Partei bei den Verhandlungen hingewiesen.

    Weiter unten "So zeigt Hartz IV, dass die FDP in dieser Regierung ein Irrtum ist."

    Letzterem stimme ich zu.

    Aber irgendwie kann ich "Konsenz" nicht mit gleichzeitigem Ausschluss einer Partei, die ja gewählt wurde - und nicht mit wenig Stimmen - vereinbaren.

    Oder gibt es eine konsenzielle Diktatur?

    Ah! Ich hab`s! Eine Regierung die den Konsenz diktieren darf....muss?

    Oder wie jetzt?

  • H
    hto

    "... sorgt aber für eine gewisse Rationalität."

     

    - gewissenlose SYSTEMRATIONALITÄT!!!

  • F
    Frank

    Schon der Titel verraet, dass es dem Autor nicht darum geht die Schaeden und die zerstoererische Wirkung der Politik auf Millionen von direkt Betroffenen und indirekt der abhaengig Beschaeftigten ueberhaupt zur Kenntnis zu nehmen.

    (Zeit- und Leiharbeit als gewolltes instrument zur Lohnsenkung, Abschaffung der Zumutbarkeit unter Androhung von Streichungen am Hartz4-Satz unter das Existenzminimum usw.usw.)

     

    Im Gegenteil! Die politischen Verhaeltnisse selbst, die Ursache und Quelle der Verelendung ist die Instanz die hier hier als Geschaedigter vorgestellt wird.

     

    6 oder 11 Euro? Das ich nicht lache, das war doch gar nicht -der Kern des Streits-, der da im kleinen Kreis, alle duerfen ja nicht mitreden, gefuehrt wurde.

     

    Die "Macher" von Hartz4, Zeitarbeit, Leiharbeit sind so frei die Wirkungen IHRER politischen Arbeit von gestern, heute als mediale und politische Waffe gegen die lohnabhaengigen Opfer zu benutzen. Die Politik beruft auf sich die !sichtbare! Verelendung in der Bevoelkerung, das Ergebnis der Politik der letzten Jahre, und stellt die Fortsetzung dieser Politik als Gebot von Gerechtigkeit dar. Es "gaebe" nun einmal ganz viele Menschen (nicht vergessen, das hat -die gleiche Truppe- gestern selbst beschlossen), Vollzeitbeschaeftigte die ergaenzend Hartz4 beziehen...

    Das ist der Witz beim Gerede vom Lohnabstandsgebot!

    Diese Leute benutzen die gesetzlich hergestellte, oekonomische Erpressbarkeit und VERPFLICHTUNG zu Loehnen arbeiten zu muessen von denen man nicht leben kann (das ist schliesslich BEKANNT!!) dazu, die andere Seite der Arbeiter, das sind die Millionen die ohne ein Einkommen ihr Leben bezahlen muessen, EBENFALLS weiter zu schaedigen.

     

    Es geht doch keinem Niedriglohnempfaenger besser, wenn Hartz4 noch weniger ist! Hier wird auf eine Moral gesetzt, welche den eigenen Schaden zu ertragen bereit ist, wenn es nur andere noch haerter trifft. (Denken Sie bitte noch einmal an die Medienkampagne "Faul", "Alkoholabhaengig", "nicht alle, ABER..")

    Und noch ein kurzes Wort zum Mindestlohn..

    Dessen Hoehe bemisst sich nicht an den fianziellen Erfordernissen der Gegenwart

    (denken und rechnen sie nach; Energiepreise, Benzin,

    Miete, Lebensmittel; werden teilweise -mehrmals-

    jaehrlich erhoeht)

    sondern beseitigt die Zuzahlungspflicht des Staates.

    DAS ist der Massstab dieser Wohltat und aendert wenig an der Tatsache, dass eine Lebensplanung gar nicht -vorgesehen- ist, in dieser Republik.

     

    Ganz friedlich, ohne sichtbare Gewalt geht das.

  • A
    Amos

    Die FDP ist nicht nur ein Irrtum, sondern ein Genickbrecher der Demokratie. Sie müsste vom BVG verboten werden, weil sie keine Volkspartei ist,sondern nur Klientel-Politik prodomo betreibt.Sie sollte sich die Diäten von denen bezahlen lassen von denen sie auch ihre "Bestechungsgelder" bekommt.Das beste Beispiel von Klientel- Politik sieht man doch bei Westerwelle, der nicht preisgeben will, wofür er das Geld für seine 36-Nebeneinkünfte bekommt. Noch haben wir (laut Verfassung) eine Volksherrschaft und keine FDP- Oligarchie. Die 5%-Partei führt sich auf, als würde ihr Deutschland gehören.

  • G
    gundi

    lt. BVerfG Urteil vom 09.02.2010 erging der Auftrag an den Gesetzgeber - selbst wenn die Exekutive Initiativrechte in der Legislative wahrnimmt, sollte der Kommentator formal die Gewaltenteilung einhalten und das Problem nicht alleine bei der Bundesregierung suchen - vielmehr scheint mir der Wesens- und WirkungsUnterschied zwischen einer parlamentarischen bzw. Parteien Demokratie kritisch erwähnenswert, welche solche Mißerfolge prägt

  • H
    Hans

    Der Artikel stimmt. Wahrscheinlich wäre eine Lösung im Sinne von SPD, Grüne und Union auch das Ende der Koalition geworden. Die FDP will ja diese Armut, die Billiglöhne, die Zeit- und Leiharbeitsbranche, den Discount für Fachkräfte, die Wahllosigkeit auf dem Arbeitsmarkt. Man sollte nicht vergeßen, dass Hartz-IV mit massiver Beratung durch Arbeitgeberverbände und Wissenschaftler aus deren Reihen konzipiert wurde, mithin aus dem FDP-Bereich.

    Und Hartz-IV ist insgesamt an seinen eigenen Maßgaben gescheitert, denn die Reform bringt keinen Abstieg der Arbeitslosigkeit, sondern steigende Armut, sinkende Löhne und niedrigere Steuereinkünfte.

    Und bei dieser Realität stimmt der Konsens dann schon: Weder SPD, noch Grüne, FDP oder Union wollen eingestehen, dass diese Reform gescheitert ist.

    Die wollen noch nicht mal akzeptieren, dass Hartz-IV extreme negative Wirkungen hatte.

    Leute wurden entlassen, durch 1-EURO-Jober ersetzt, kleine Betriebe durch 1-EURO-Vereine platt gemacht und Vermittler schaffen kaum eine einzige normale Vermittlung.

    Vielerorts sind die ARGEn verbarikadiert, kaum ein Arbeitsloser will dort nach Arbeit suchen oder sich überhaupt informieren oder aufhalten. Die Jobcenter sind nur graue Behörden, die Akten sortieren und wo die Kaffemaschine beruhigend vor sich hin knattert.

     

    In diesem Sinne ist jeder Tag Konsens über den Wahnsinn Hartz-IV auch ein schlechter Tag für Deutschland, weil sich die Probleme auf dem Arbeitsmarkt vergrößern. Und irgendwann fehlen tatsächlich Arbeitskräfte und Menschen, aber dann ist dieses Jahr 2011 längst vergeßen.

  • K
    Kai

    Auf die FDP einzuprügeln trifft im sozialpolitischen Bereich immer die Richtigen. Wer allerdings hat Hartz 4 erfunden und genaus so gewollt, wie es nun ist....?

  • HD
    Hans Dampf

    @Ruwen Inderfurth:

    Wir sind nahe an der Vollbeschäftigung. Grammatikalisch ist Dein Artikel ja durchaus hochwertig, was auf einen gewissen Intellekt schließen läßt. Also:

    GEH ENDLICH ARBEITEN ANSTATT SO EINEN MIST ZU SCHREIBEN!

  • RI
    Ruwen Inderfurth

    Sehr geehrter Herr Reinecke,

    sie schreiben:

    "Die Hartz-IV-Empfänger wissen nicht, woran sie sind."

    Ich muss mich also wirklich zusammennehmen, um jetzt nicht übermäßig verbal gewalttätig zu werden:

    Ich als Hartz-VI-Empfänger weiß schon lange woran ich bin!

    Ich bin am A....!

    Ich wurde abgeschrieben und meine Armut dient allein dazu, die Löhne zu drücken. Das ist meine Funktion: Ich bin Sündenbock und diene der gesellschafftlichen Spaltung. Ich kenne keinen Hartz-IV-Empfänger, der das anders sähe. Die langen Gesichter der fiktiven Hartzer, die sie vor Augen haben, existieren so nicht. So blöd ist auch Bildungsfernste nicht, dass er noch nicht geblickt hätte, woran er ist. Man kann es am eigenen Leibe spüren.

     

    Das unwürdige Geschacher um 5 oder 11€ bleibt die krasseste Verhöhnung eines Verfassungsorgans durch ein anderes, das es in der BRD seit ihrer Gründung gegeben hat. Wenn ernährungswissenschaftlich klar belegt ist, dass der Bedarf an Nahrungsmitteln um 80€ höher liegt als veranschlagt, heißt das konkret, dass mir ein menschenwürdiges Leben verwehrt wird. Dass die Regelsätze nicht bedarfsdeckend sind, ist auch schon lange bekannt und wird von den Parteien (außer der Linken) so getragen.

    Ich für meinen Teil stelle mir mittlerweile die Frage, ob es für mich noch ein moralisches Dilemma darstellen sollte,

    wenn ich mich in nicht allzu ferner Zukunft dazu gezwungen sehe, einer prenzlauer Bionade-Mutti den Schädel einzuschlagen, um mich ihrer Handtasche und Einkäufe zu bemächtigen. Verrohte Bürgerlichkeit ist ja wieder in, da wird sich auch eine neue, alternativlose Schinderhannesbewegung zusammenraufen.

  • D
    deviant

    Ich denke nicht, dass es bedeutende Ressentiments gegen "die Politik" gibt, der karrieremachende Begriff des Mutbürgers/Wutbürgers ist ja Ausdruck eines regen politischen Interesses der Menschen.

     

    Tatsächlich haben die Menschen allerhöchstens Ressentiments gegen die Parteien, die sich aber glücklicherweise in letzter Zeit immer häufiger Bahn brechen und laut geäußert werden, so dass es tätsächlich weniger ein Ressentiment als vielmehr eine Wut der Bürger auf die Parteien gibt, und das durchaus zu recht, sich die faktische Parteiendiktatur in Deutschland inzwischen nur noch mit sich selbst beschäftigt und keinen Kontakt mehr zur Wirklichkeit hat. Der deutsche Politiker scheint die künstlichen Kulissen angefüllt mit den immergleichen Gesichtern inzwischen schon für die Wirklichkeit zu halten und ein Interview mit Maischberger und Co. für ein Zeichen von Bodenständigkeit.

  • NQ
    Noel Q. von Schneiffel

    Die Antwort auf dieses Patt im Konsenssystem findet sich, wie alle Antworten, in den Werken von J.R.R. Tolkien. Im "Herr der Ringe" wurde, als sich Gondor in einer Regierungskrise befand (und im Krieg!), der Waldläufer Aragorn zum König gekrönt. Dies war eine sehr erfolgreiche Maßnahme.

     

    Ähnliches wäre in Deutschland denkbar. Man bräuchte nur einen Waldläufer, den man krönen könnte, also z.B. einen Förster.

     

    Alternativ könnten an alle Hartz-IV-Empfänger kostenlos Bücher von Tolkien verteilt werden. Dann bräuchte man Hartz IV nicht mehr zu erhöhen, denn das Lesen von Tolkien vertreibt das Hungergefühl.

  • IT
    Irr Tum

    "So macht Hartz IV deutlich, dass die FDP

    in dieser Regierung ein Irrtum ist."

     

    Die FDP ist ein Irrtum an sich.