Kolumne Was bisher geschah: Postkarte aus Berlin
Als Berliner wundert man sich oft über in Berlin gedrehte internationale Produktionen. U-Bahnhöfe werden vertauscht und wirre Umwege werden genommen.
U mwege können lebensgefährlich sein. Hätte die Taxifahrerin Gina (Diane Kruger) die direkte Strecke vom Hotel Adlon zum Flughafen Tegel genommen, wäre der Wagen nicht von der Oberbaumbrücke in die Spree gefallen und sie und ihr Fahrgast Dr. Martin Harris (Liam Neeson) stünden nicht plötzlich ganz oben auf der Abschussliste einer Riege von Berufskillern. Auch der türkische Kollege auf der Hinfahrt muss schon geschummelt haben, sonst hätte die Fahrt vom Flughafen zum Adlon kaum 37 Euro gekostet.
Wenn es um Plausibilität gegangen wäre, hätte der spanische Regisseur Jaume Collet-Serra aber nicht schon in den ersten Minuten seines Actionthrillers "Unknow Indentity" (außer Konkurrenz) so viele Sehenswürdigkeiten des Drehorts Berlin zeigen können: die Siegessäule, das sowjetische Ehrenmal im Tiergarten und nun die Spreebrücke zwischen Kreuzberg und Friedrichshain. Komisch, dass er sich Großaufnahmen vom Brandenburger Tor hat entgehen lassen.
"Ich habe viele neue Ecken der Stadt kennen gelernt", sagte Diane Kruger, geboren als Diane Heidkrüger in Algermissen bei Hildesheim, während der Pressekonferenz zu "Unknown Identity". Da fragt man sich unwillkürlich, welche das sein sollen: Im Film kommen doch konsequent nur die erstbesten vor. Location Scout schien ein x-beliebiger Reiseführer gewesen zu sein.
DAVID DENK ist Medienredakteur der taz.
Als Berliner kann man sich bei einer in Berlin gedrehten internationalen Produktion sowieso über einiges ärgern oder zumindest wundern: etwa wie man an der Voltastraße, Haltestelle der U-Bahn-Linie 8, in einen alten Wagen der U 6 ein- und am Bahnhof Bülowstraße aus einem flatschneuen der U 2 aussteigen kann. Oder dass die Martin Harris behandelnde Krankenschwester mit Vornamen Gretchen heißt und - als wäre das nicht schon abgeschmackt genug - mit Nachnamen Erfurt. Und auch dass diese Gretchen Erfurt auf die Visitenkarte ihres Freundes, eines zum Privatdetektiv mutierten Stasioffiziers, "Herr Jürgen" schreibt und darunter dessen Adresse. Er wohnt übrigens an der Karl-Marx-Allee, in einer Wohnung, die noch vom Dreh von "Das Leben der Anderen" übrig geblieben sein muss.
"Welcome to Berlin", sagt Martin Harris Ehefrau Liz (January Jones), als beide im Schneeregen das Flughafenterminal in Tegel verlassen - eine Szene, die vielen zur Berlinale angereisten Fachbesuchern bekannt vorkommen dürfte. Hoffentlich bekommen sie wie alle anderen Touristen während ihres Aufenthalts mehr von Berlin zu sehen, als "Unknown Identity" zeigt - den schlimmen Promi-Italiener "Bocca Di Bacco" muss übrigens Tom Cruise als Drehort empfohlen haben.
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