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Debatte Autobiografie des KanzlersohnsDas Private bleibt politisch

Kommentar von Klaus Walter

Die Erinnerungen des Kanzlersohns Walter Kohl sind ein Bestseller. Aber warum lösen sie keine Debatte über Moral und Familienwerte aus?

Gutbürgerliche Fassade: Helmut Kohl mit Gattin Hannelore und den Söhnen Peter (r.) und Walter 1975 im Sommerurlaub in St. Gilgen in Österreich. Bild: dpa

A ls die Grünen 1983 in den Bundestag einzogen, war die Aufregung groß über Blumentöpfe, Rauschebärte, Strickzeug, Hippiegewänder. Und als die Abgeordnete Waltraud Schoppe im Plenum von Orgasmusschwierigkeiten sprach, reagierten Altpartei-Herren mit verklemmter Häme. Doch bald gewöhnten sich die Grünen an die Kleiderordnung, Debatten über Lebensstil und sexual politics dagegen wurden in außerparlamentarische Subkulturen ausgelagert. Mit ihrer stillschweigenden Akzeptanz der Etikette wurden die Grünen regierungsfähig.

Das Private ist politisch: Diese 68er-Parole verlor an Glamour, nachdem Helmut Kohl 1982 Kanzler wurde und seinem Land eine geistig-moralische Erneuerung verordnete. Sexuelle Befreiung, antiautoritäre Erziehung, Wohngemeinschaften, die großen Themen der Frauenbewegung - all das schimmert seither nicht mehr im Glanz einer revolutionären Utopie.

Aber das Private bleibt politisch. Und 30 Jahre nach Kohls Wende wenden ausgerechnet junge Konservative das Private ins Politische. Auf diesem Feld spielten die CDU-Familienministerin und der Ex-Verteidigungsminister aus der CSU Doppelpass mit Deutschlands Leitmedium: Bild verkündete Kristina Schröders Schwangerschaft, Bild begleitete das Ehepaar zu Guttenberg nach Afghanistan.

Linke Kritik an solcher politischen Ästhetisierung des Privaten kommt oft hilflos daher, getrieben von Neid und antimodernen Affekten. Schwingt da etwa auch eine heimliche Sehnsucht mit nach jenen Zeiten, als das Private noch privat war? Man könnte die Ära Kohl im Rückblick auch interpretieren als eine Zeit, in der das Private entpolitisiert wurde.

Wertewandel auf der Linken

Auch in der ehedem antiautoritären Linken hat ein Wertewandel stattgefunden. Dazu gehört die Anerkennung eines journalistischen Kodex, nach dem das Privatleben von Politikern tabu ist. Einem ehemaligen linksradikalen Straßenkämpfer Kriegstreiberei vorhalten, das ist okay. Joschka Fischer zu fragen, warum seine Frauen immer um die dreißig sind, wo er selbst doch bald so alt ist wie Silvio Berlusconi, das ist offenbar nicht okay.

Was Politiker hinter verschlossenen Türen treiben, das ist ihre Sache, lautet der unausgesprochene Konsens. Als der Spiegel über eine Affäre zwischen Sahra Wagenknecht und Oskar Lafontaine spekulierte, war die Empörung groß. Dabei war daran nur anstößig, dass der Spiegel sicher geschwiegen hätte, wäre es dieses Mal nicht gegen Politiker der Linkspartei gegangen.

Besonders laut beschweigen Linke derzeit ein Buch, das Thilo Sarrazin von der Spitze der Bestsellerliste verdrängt hat. Ein Buch, für das gilt, was Bild-Chef Kai Diekmann jüngst im Spiegel so formulierte: "Das Private kann schnell umschlagen ins Politische, ins Relevante." Das Buch bringt Licht ins Privatleben des Wende-Kanzlers. "Seine wahre Familie heißt CDU, nicht Kohl. Er fühlte sich in einem archaischen Sinne als Clanchef eines Stammes, der sich CDU nennt", schreibt Walter Kohl, 47, in seiner Autobiografie mit dem jamesbondesken Titel "Leben oder gelebt werden". Sein Vater sei zu Hause ein Gast gewesen, der Bungalow in Oggersheim ein Hochsicherheitstrakt, die harmonischen Ferien am Wolfgangsee waren reine Foto-Inszenierung. Vom Tod ihrer Mutter lässt Helmut Kohl seine Söhne über seine Büroleiterin informieren, von seiner Hochzeit mit der über 30 Jahre jüngeren Maike Richter erfahren sie 2008 per Telegramm - nach der Feier. Die Trauzeugen waren Kai Diekmann und Leo Kirch.

Hannelore Kohls Lichtallergie

Walter Kohl ist kein antiautoritärer Vatermörder. Gesegnet mit der fleischigen Gemütsmenschenphysiognomie des Vaters, strahlt der Besitzer einer Autozubehörfirma die bräsige Saumagenbodenständigkeit des Alten aus. Und kommt doch zu Erkenntnissen, die die Fassade der gutbürgerlichen Kohl-Welt zum Einsturz bringen. So meint der Sohn, "dass meine Mutter das Licht scheute - im Sinne einer psychologischen Symbolik: sie konnte und wollte ihr Leben nicht offen und ehrlich, eben bei Licht, betrachten".

Hannelore Kohl litt an einer Lichtallergie und nahm sich am 5. Juli 2001 das Leben. Die öffentlichen Reaktionen waren voller Mitgefühl - für den hinterbliebenen Gatten. Fragen wurden kaum gestellt. Könnte die Lichtallergie psychische Ursachen gehabt haben? Waren sie Ausdruck einer Depression? Der klinische Befund "Lichtallergie" diente als Blitzableiter, gerade so, als sei Hannelore Kohl daran und nicht durch Selbstmord gestorben.

KLAUS WALTER

55, ist freier Autor, Radio-DJ und Moderator beim Internetradio ByteFM. Mit Thomas Meinecke und Frank Witzel gab der Ex-Redakteur des Frankfurter Pflasterstrands das Buch "Die Bundesrepublik Deutschland" heraus (Nautilus).

Von der jungen Hannelore Kohl ist der Satz überliefert, sie habe vom Hund gelernt, wie man sich auch nach vielen Stunden des Wartens noch freut, wenn Herrchen nach Hause kommt. Dieser Satz ist ihr um die Ohren geflogen. Danach hat sie öffentlich nie mehr so unkontrolliert gesprochen. Und sich zurückgezogen.

Wolfgang Thierses Tabubruch

Als der ehemalige Bundestagspräsident Wolfgang Thierse seinen Parteifreund Franz Müntefering, der sich wegen der Krebserkrankung seiner Frau aus der Politik zurückgezogen hatte, loben wollte, sagte er: "Seine Frau im Dunkeln in Ludwigshafen sitzen zu lassen, wie es Helmut Kohl gemacht hat, ist kein Ideal." Für diese Äußerung wurde Thierse nicht nur von der Springer-Presse heftig attackiert. Dass Frau Kohls Selbstmord mit dem Gefühl der Vernachlässigung zu tun haben könnte, dieser Gedanke war tabu, eine Diskussion über die Moral des geistig-moralischen Erneuerungskanzlers unterblieb. Privatsache.

Seltsam zwiespältig ist auch die Resonanz auf Walter Kohls Buch. Es wird gekauft, er sitzt in Talkshows, aber es löst keine Debatte über Moral und christliche Werte aus. Verglichen mit Bunga-Bunga und Copy & Paste sind Helmut Kohls kleine Sünden nicht mal Kavaliersdelikte. "Leben oder gelebt werden" wäre ein guter Anlass für eine Repolitisierung des Privaten von links.

Man könnte mal wieder die Ärzte spielen. Die Berliner Band hatte mal einen Hit, der auf dem Index landete, weil er gegen den Kodex verstieß. Und weil er ein Körnchen Wahrheit enthielt? Der Refrain lautete: "Hannelore ist allein, sie wollte doch nur glücklich sein, Hannelores Tag ist grau, denn Helmut Kohl schlägt seine Frau. Er ist ein Mann wie ich und du, und Helmut Kohl schlägt wieder zu."

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6 Kommentare

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  • C
    Cattivo

    schlecht recherchiert! "Helmut K." war zwar auf dem Album "Ab 18" drauf, wurde jedoch nie indiziert!

    Irgendwie geht mir dieses Pseudo-presse-wissen derbe uffn sack :D

  • M
    Möpmöp

    Also soweit ich weiß, war Helmut K. von Die Ärzte nie auf dem Index.

     

    Indiziert wurden nur drei Songs:

    - Claudia hat nen Schäferhund

    - Schlaflied

    - Geschwisterliebe

     

    Und die ersten beiden sind inzwischen auch wieder runter vom Index.

     

    Helmut K. wurde zusammen mit den indizierten Songs und einigen anderen auf dem Album "Ab 18" veröffentlicht, aber an sich war der Song nie indiziert. Sonst hätten die Ärzte den nie auf dem (frei verfügbaren) Live-Album "Nach uns die Sintflut" verkaufen können.

  • H
    Hans

    Neben der persönlichen Tragödie, in einer Patchwork_Familie konservativ-verlogenen Typs aufgewachsen zu sein, offeriert der Kohl Sohn einen Blick in die koservative Sphäre der Politik: Doppelte Maßtstäbe und Ungerechtigkeit bis zum Schluss. Selbst der Sohn wird von diesem Zirkus nicht verschohnt, er selber hat im Prinzip nur einen Phantom-Vater gehabt, dafür stehen Medien-Posaunen parat, um die Macht eines Kohls, der CDU, zu verfestigen und dem Durchschnittsbürger eine heile Welt vorzugauckeln. Konservative Parteien basieren auf einer Beständigkeit der Werte und der Moral ... in der Öffentlichkeit.

  • LV
    Lilo Vic

    Böde Frage: Wer interessiert sich denn in diesem Lande und speziell in der taz-Leserschaft noch für Familie? Also Vater, Mutter, Kind? Schon allein meine Familiendefinition löst unsägliche Debatten aus.

    Darauf haben andere und ich keinen Bock mehr. Wir leben halt nicht genderverseucht in ideologischen abgehobenen Welten, sondern sehr glücklich die traditionelle, klassische Familie. Und soll ich euch was sagen? Die macht richtig Spass.

     

    Macht doch euren Genderscheiss mit wem ihr wollt ... aber bitte ohne uns!

  • H
    Hanno

    Es gab m.W. insgesamt drei Lieder der Ärzte, die indiziert wurden - "Geschwisterliebe", "Claudia hat nen Schäferhund" und "Claudia Teil 2".

     

    Das Lied "Helmut K." gehört nicht dazu. Es wurde zwar, zusammen mit den anderen indizierten Liedern, auf dem Sampler "Ab 18" veröffentlicht, war allerdings selbst nie indiziert.

  • V
    vic

    Wer nicht schon immer nützlicher Lakai von Dieckmann, Döpfner und A&F.Springer war, der ist es mit den Jahren geworden.

    Von Schwarz bis Rot- alle. Bild ist Macht, Bild ist das Volk, ohne Bild geht gar nichts.