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die wahrheitDer homosexuelle Mann...

… hat immer wieder Schwierigkeiten mit seinen gleichgeschlechtlichen Bündnispartnerinnen. Wie viel haben Lesben und Schwule gemein?

Genug für eine Allianz auf Zeit oder gar eine Zweckehe fürs ganze Leben? Am Beginn der neuen deutschen Schwulenbewegung Anfang der siebziger Jahre langte es gerade mal für ein paar Monate, bis das Tischtuch zerschnitten war, genervt stellten die homosexuellen Frauen fest, dass ihre schwulen Mitstreiter nichts weiter waren als auch nur Männer, sie verließen die gemeinsamen Aktionsgruppen und schlossen sich der feministischen Frauenbewegung an. Das sollte dann auch viele Jahre so bleiben.

Erst als man die Homo-Ehe als gemeinsames politisches Ziel entdeckte, kamen Lesben und Schwule wieder zusammen, auch wenn die jeweiligen Lebenswelten einander fremd blieben. Doch die politische Korrektheit hielt Einzug in die Bewegung, und seitdem sind nominell alle miteinander verbrüdert und verschwestert, die Lesben und die Schwulen, die Bi- und die Transsexuellen. Das ist für den Alltag der jeweiligen Gruppe nicht weiter von Belang, macht aber numerisch viel her.

Der breiten Öffentlichkeit sind all diese Feinheiten schnuppe, wenn hier von Homosexuellen die Rede ist, sind zuallererst die Männer gemeint, sonst niemand. Ein Dilemma, das immer wieder mal beklagt wird mit einer Tirade gegen die heterosexuellen Männer, die die Meinungsführerschaft beanspruchen und für sich entschieden haben, wer ihrer Wahrnehmung würdig ist und wer nicht. Lesben gehören eher nicht dazu, und die Schwulen bekommen deshalb von Zeit zu Zeit kleinlaute Gewissensbisse, aber haben eigentlich nichts einzuwenden gegen die Kumpanei mit den wahren Kerlen.

In München wird in diesem Jahr Schluss gemacht mit der - wie es im Politsprech heißt - "mangelnden Sichtbarkeit von Lesben". Der CSD, gemeinhin bekannt als Schwulenparade, soll deshalb fortan nicht mehr Christopher- sondern Christina Street Day heißen. Bei allem Verständnis für die Problemlage, greift sich ein jeder Homosexueller - egal ob lesbisch oder schwul - bei so viel Albernheit nur noch an den Kopf. Die Geschichte des CSD, der zurückgeht auf den militanten Kampf von Tunten, Transen und Schwulen in der New Yorker Christopher Street 1969, wird hier einfach mal kurz auf den Kopf gestellt und zur beliebigen Deutung freigegeben.

Im Internet haben sich bereits die Kontrahenten formiert, auf Facebook gibt es eine "Gegen den Namen Christina Street Day"-Seite, und bei einer Umfrage des schwulen Nachrichtenportals queer.day sprachen sich bislang 84 Prozent dagegen aus. Der Initiator der Umbenennung, der schwule Münchner Stadtrat Thomas Niederbühl, wehrt sich auf queer.de gegen den Vorwurf der Geschichtsklitterung und verweist darauf, dass bei den Krawallen 1969 auch eine Lesbe dabei gewesen sei an vorderster Front. Jetzt bleibt abzuwarten, wie sehr sich die Lesben darüber freuen, dass ihnen die Schwulen - generös wie Männer nun mal sind - einen Platz an ihrer Seite zuweisen - im strahlenden Licht der Öffentlichkeit.

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12 Kommentare

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  • H
    Hanna

    "Christina" ist vom Tisch.

  • KS
    Kim Schicklang

    Wenn es hier schon um Geschichtsfälschung geht, sollte erwähnt werden, dass der uns in Europa als "CSD" bekannte Tag in den USA, in der sich die Christopher-Street befindet, so gar nicht heisst. Dort nennt sich das nämlich "gay-pride-parade". Mit "gay" waren in den USA ursprünglich auch z.B. transsexuelle Frauen gemeint. Diese waren nicht zuletzt diejenigen, welche an den "Stonewall Riots" in NYC beteiligt gewesen waren. In Europa wird dieser Umstand oft vergessen und auch in Deutschland tauchen die Forderungen transsexueller Menschen meist nicht in den offiziellen Forderungen der CSDs auf. So findet sich auch in Deutschland meist nichts bei einem CSD darüber, dass transsexuelle Menschen weiterhin (wie Schwule und Lesben bis Anfang der 70er) als geisteskrank gelten, dass sie massiven Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt sind... ja es ist sogar so, dass auf manchen CSDs in Deutschland sogar transphobe Ideologien vertreten werden.

     

    In Stuttgart wurden z.B. 2010 transsexuelle Frauen vom dortigen Veranstalter als "Männer" bezeichnet - was zeigt, dass das Wissen um geschlechtliche Abweichungen/Viefalt hierzulande sogar bei den CSD-Veranstaltern oft nicht vorhanden ist, genauso wie völlig ignoriert wird, dass transsexueller Frauen einst die Stonewall-Riots angeführt hatten, weil sie sich "diesen Scheiss nicht länger gefallen lassen wollten".

     

    Insofern ist die Geschichtsfälschung in Deutschland, was den CSD angeht, darin zu sehen, dass transsexuelle Frauen hier bis heute vollkommen ausgeklammert werden, obwohl hauptsächlich sie es waren, weswegen heute so etwas wie ein CSD überhaupt existiert.

     

    Dass viele Lesben-und-Schwulenorganisationen in Deutschland bis heute nicht verstanden haben, dass die Geschlechtlichkeit eines transsexuellen Menschen sich ebensowenig ändert, wie die sexuelle Orientierung eines homosexuellen Menschen, nur nebenbei bemerkt. Immer wieder liest man gerade von Lesben- und Schwulen-Organisationen dass eine transsexuelle Frau mal ein Mann gewesen sei. Das ist in etwa so dumm, wie wenn ein Mensch behauptet, ein homosexueller Mensch wäre früher einmal "biologisch" hetereosexuell gewesen.

  • AR
    anita r

    In diesem Artikel sind leider einige Fehler.

    1. Auf den fettesten Fehler wurde schon aufmerksam gemacht: Der CSD wird nur 2011 Christina Street Day heißen!

     

    2. Es gibt sehr viele Versionen davon, was 1969 in der New Yorker Christopher Street geschehen ist. Nach den Versionen, die ich kenne, war nicht nur eine Lesbe anwesend, als damals die Polizei-Razzia losging. Allerdings weiß man tatsächlich von einer Frau mit Sicherheit, dass sie dabei war - weil ihr Name bekannt wurde.

     

    3. Und was soll bitte heißen dass die Schwulen des Lesben einen Platz an ihrer Seite zuweisen?? Das haben die Münchner Lesben nicht nötig. Schließlich sind sowohl am CSD als auch an der diesjährigen Umbenennung eine ganze Menge Lesben beteiligt. Der CSD wird und wurde zum großen Teil von Frauen geplant und organisiert. Hier weist niemand irgendjemandem etwas zu.

     

    Ich stelle fest, dass es viele „ältere“ Schwule sind, die sich über die Umbenennung aufregen. Speziell jüngere Schwule, die mit Lesben in allen möglichen Organisationen und Gremien sehr gut zusammen zu arbeiten scheinen, regen sich nach meiner Beobachtung viel weniger auf. Kann es sein, dass wir es hier nicht mit einer Debatte der „Geschlechter-“ sondern eher mit einer Debatter der Generationen zu tun haben??

  • IR
    IMicha Rauch

    2 inhaltliche Fehler:

    1. Die Planung bezieht sich nur auf dieses eine Jahr, wie einer meiner Vorkommentatoren schon richtig sagt.

    2. Der Initiator ist nicht Thomas Niederbühl, sondern die vier großen Vereine in München. Niederbühl ist "nur" der Pressesprecher des CSDs in München und kommuniziert die Entscheidungen nach außen. ;)

    (Der "schöne Steffen" ist ja auch nicht Bundeskanzler, oder?... :P )

  • R
    Richard

    Es tut mir leid, aber "Christina Street Day" kann ich gar nicht ernst nehmen. Wenn überhaupt, wird dieser Name - so fürchte ich - eher Lesben abschrecken, denn das klingt geradezu wie die Anrede mit Frauennamen, wie sie vielleicht noch von dem Einen oder Anderen in der schwulen Szene praktiziert wird.

    Außerdem ist vielerorts vom ursprünglichen Christopher Street Day nur noch der Name geblieben, denn der politische Inhalt der Veranstaltung ist in den letzten 25 Jahren weitgehend zurückgenommen worden. Wenn man nun auch versucht, dem Münchener CSD diesen Namen zu rauben, kommt das nicht nur einer Geschichtsklitterung nahe, sondern ist die Verwandlung in eine Art LGBT-Love Parade endgültig vollzogen. Somit hat man den Anschluss an die Anfänge der LGBT-Bewegung in der Christopher Street völlig verloren.

    "Christina Street Day" mutet eher wie ein verzweifelter und schlechterdings uninspirierter PR-Versuch, tiefer in die lesbische Geldbörse zu greifen.

  • G
    Gerhard

    Die Umbenennung ist albern. Ausserdem sind im Christopher Street Day bereits beide Geschlechter enthalten: DIE Christopher Street und DER Tag. Als nächstes wird es eingedeutscht und heisst dann »Christopherstraße-Tägin« …

  • M
    Marcel

    Und für alle, die die Geschichte von der Christina Street nachlesen wollen http://www.stupidedia.org/stupi/Christina_Street

  • M
    Matze

    Der CSD war immer ein TAG, also der "Street DAY", und die spezielle Straße war die "Christopher Street".

     

    D.h. es war NIE der männliche Vorname gemeint. Die Umbenennung in "Christina" erzeugt den Irrtum, da war irgendwie der "Christopher" beteiligt, und nun die "Christina" ..

     

    Also bitte:

    (Christina) "STREET DAY"

    (Christopher) "STREET DAY"

     

    Dann funktioniert's.

  • P
    Peter

    "Der CSD, gemeinhin bekannt als Schwulenparade, soll deshalb fortan nicht mehr Christopher- sondern Christina Street Day heißen."

     

    Der CSD-München soll meines Wissens nicht "fortan" umbenannt werden sondern nur einmalig, um auf die - im Vergleich - mangelnde öffentliche Sichtbarkeit von Lesben aufmerksam zu machen. Das ist ein kleiner aber feiner Unterschied!

  • KF
    Klaus F.

    der csd soll nicht "fortan" christina street day heißen, sondern nur diese eine mal. es geht im grunde um nicht mehr als um eine "erweiterung" des mottos auf die gesamtbezeichnung.

     

    der csd ist ja ein hybrid: einerseits ein gedenken an einen historischen moment, zweitens eine politische demonstration und drittens eine karnevaleske festparade. über den idealen schwerpunkt wird jedes jahr aufs neue gestritten, und darin sehe ich eigentlich auch eher eine stärke als eine schwäche der veranstaltung.

     

    die umbenennung finde ich formal ungeschickt, weil hier die historische ebene (auf die der eigentliche name hinweist) mit der aktuell-politischen ebene auf eine tatsächlich sehr zweifelhafte weise vermengt wird.

     

    die inhaltliche absicht, auf die mangelnde sichtbarkeit der lesben hinzuweisen, finde ich aber absolut unterstützenswert!

     

    selbst in der taz, der man eine gewisse selbstreflexion in dieser sache zutrauen möchte, müssen immer wieder redakteurInnen darauf hingewiesen werden, dass die lebenspartnerschaft keine "schwulenehe" ist oder dass es bei "don't ask, don't tell" nicht nur um "schwulendiskriminierung" geht. ich kann mir sehr gut vorstellen, wie sich eine lesbische csd-mitorganisatorin fühlt, wenn sie in der zeitung liest, dass sie anscheinend eine "schwulenparade" organisiert hat.

     

    die existenz von menschen auszublenden ist keine bagatelle!

  • C
    Claudia

    Hilfe! Ich dachte zuerst an einen verfrühten Aprilscherz. Inzwischen habe ich recherchiert, dass es wohl nur um eine einmalige Umbenennung gehen soll. Trotzdem völlig für den Popo. Auf diese Art von Solidarisierung kann frau gern verzichten.

  • A
    anke

    Für DIE Lesben kann ich nicht sprechen (sie würden sich auch bedanken). Ich jedenfalls freue mich mal wieder wahnsinnig. Danke Jungs!