Europa macht Jagd auf Ladendiebe: Überwachen und Chips essen
Service der besonderen Art: Eine britische Internetfirma bietet Geschäften seit Neuestem Überwachung durch CCTV-Kameras an - live in die Wohnungen der Heimarbeiter.
Heute Morgen fragte mich ein fröhlicher Bankberater am Telefon, wie das Wetter in London denn so sei. Solche Fragen muss er stellen, es geht hier um die blitzschnelle Schaffung lokaler Nähe und vertrauter Stimmung! Immerhin liegt zwischen unserem lockeren Gespräch über meinen Dispo eine ganz und gar nicht lokale Distanz von über 9.900 Kilometern. Ich bin in England und er ist in einem Callcenter in Indien. Und obwohl das inzwischen jeder Kunde weiß, müssen diese Berater so tun, als säßen sie eigentlich gleich um die Ecke in Brighton. Erst einmal hat ein Mitarbeiter diese virtuelle Fassade im Gespräch durchbrochen. Er hatte meine Überweisung ausgeführt und sagte plötzlich: "Ich liebe London. Definitiv meine Traumstadt." "Waren Sie schon einmal da?" - "Nein Miss, ich komme aus Mumbai. Doch das, was ich im Netz so sehe, ist wunderbar …"
Dieser fast zarte, reale Kontakt durch das dichte Netz international agierender Unternehmen läuft bei der neuesten Spielart der Globalisierung nun weniger romantisch ab: Wer in England eine Tüte Gummibärchen mitgehen lässt, wird ab sofort nicht mehr vom Shop-Besitzer erwischt, sondern von einem arbeitslosen Elektriker aus Rom. Oder einer Jurastudentin aus Lyon. Eine britische Internetfirma bietet Geschäften und Supermärkten seit Neuestem einen ganz besonderen Service nahtloser Überwachung durch CCTV-Kameras an. Die Stunden an Material, die eine Kamera in einem Laden filmt, werden normalerweise nur sporadisch oder gar nicht kontrolliert. Für 20 Pfund pro Woche kann ein Shopbesitzer seine Kameras nun mit dem Internet verbinden und live in die Wohnungen hunderter Heimarbeiter zwischen Paris und Palermo schicken.
Immerhin, der Job ist bequem. Bei Bier und Chips macht es sich der Rest von Europa vor den heimischen Computern bequem und kassiert fürs Verraten englischer Ladendiebe. Im Grunde also wie ein etwas blödes Computerspiel, nur dass die Punkte, die man sammelt, als Bares auf dem Konto landen und man per Mausklick endlich ein paar Allmachtsfantasien real ausleben kann. Klick! und der klauende Jugendliche hat ein reales Zukunftsproblem. Klick! und der Wiederholungstäter landet real hinter Gittern. Das Auge eines französischen Rentners ist plötzlich näher am Geschehen als das des britischen Besitzers aus Leeds, der nur drei Meter vom kleinkriminellen Geschehen entfernt steht. Er bekommt eine Alarmmeldung und kann sich den Langfinger gleich vorknöpfen. Ein Lehrbeispiel an globaler Kooperation!
Über eine derartige Form von Big Brother hätte man sich vor zwanzig Jahren im Kinosessel noch herrlich gegruselt. Nun ist es ein konkreter Markt mit Karrierechancen! Denn die Petze des Monats mit den meisten Diebstahlmeldungen erhält bis zu 1.000 Pfund Prämie. Und die Shopbesitzer sind im Überwachungsglück. "Ich habe keinen Schimmer, wer den ganzen Tag meinen Laden bewacht", sagte einer. "Doch ich bin dankbar, dass es diesen Service gibt!"
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