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Grün-rote Sorgen in BaWüMögliche Lösungen in Sicht

Die Bahn warnt intern vor Mehrkosten für S21 und die Stadtwerke machen einen Vorschlag zum EnBW-Dilemma: Problemlöser für die designierte grün-rote Regierung.

Weniger Klötze am Bein: "Mit steigenden Kosten wäre die Reißleine gezogen", sagte Werner Wölfle über S21. Bild: dpa

STUTTGART taz | Mit dem Bahnprojekt Stuttgart 21 und einer Beteiligung des Landes an dem Atomstromkonzern EnBW werden SPD und vor allem Grüne in Baden-Württemberg zwei große Klötze am Bein haben, so prophezeiten es ihnen viele nach der Wahl. Doch inzwischen zeigen sich Möglichkeiten, wie sie beide Probleme loswerden könnten. Besonders das Thema Stuttgart 21 entwickelt eine Dynamik, mit der selbst die Grünen nicht gerechnet haben.

Wie jetzt herauskam, schrieb der Chefplaner von Stuttgart 21, Hany Azer, noch kurz vor der Landtagswahl einen warnenden Brief an den Vorstand der Deutschen Bahn: Die kalkulierten Sparpotenziale könne man womöglich nicht einhalten, hieß es darin. Die Bahn hatte die Existenz des Briefs am Donnerstagabend auf ihrer Bilanzpressekonferenz bestätigt. Am Freitag hingegen wies sie "Spekulationen in verschiedenen Medien über angebliche Kostensteigerungen bei Stuttgart 21 entschieden zurück". Aus dem Zusammenhang gerissene Zahlen würden falsch interpretiert.

Nach einem Bericht der Stuttgarter Zeitung geht es um die von Bahn-Chef Rüdiger Grube auf 900 Millionen Euro geschätzten Einsparungen. Damit sollten die Kosten unter 4,5 Milliarden Euro bleiben, bis zu denen eine Finanzierung steht. Sollte diese Grenze überschritten werden, so war die Vereinbarung, würden sich alle Beteiligten noch einmal zusammensetzen. Ein Ausstieg wäre dann denkbar.

Die Botschaft birgt entsprechenden Sprengstoff - und könnte den Grünen den erhofften Weg zum Ausstieg aufzeigen. "Mit steigenden Kosten wäre die Reißleine gezogen", sagte der verkehrspolitische Sprecher der Landtagsgrünen, Werner Wölfle. Er selbst hatte stets eine Kettenreaktion vorausgesagt, sollten die Grünen an die Macht kommen. "Dass die so schnell kommt, hätte ich auch nicht gedacht." Es zeige die Notwendigkeit, dass sich nun alle Beteiligten an einen Tisch setzen.

Stadtwerke Konkurrent der EnBW

Bei der zweiten Großbaustelle, EnBW, mischen sich jetzt die Stadtwerke im Südwesten in die Diskussion ein. Baden-Württemberg sitzt auf einem Anteil von etwa 45 Prozent an der EnBW, dessen Wert wegen des wahrscheinlich schnelleren Ausstiegs aus der Kernenergie sinkt. Ein Konzept für die Zukunft des Konzerns ist eine der großen Aufgaben der neuen grün-roten Regierung. Die Stadtwerke, vertreten durch den Verband Kommunaler Unternehmen (VKU), produzieren und verteilen selbst Strom und sind damit Konkurrenten der EnBW.

Sie schlagen nun in einem Schreiben, das der taz vorliegt, dem designierten Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann vor, sich an einzelnen Gesellschaften der EnBW zu beteiligen. Infrage kämen etwa Stromnetze oder Projekte zum Ausbau erneuerbarer Energien. EnBW baut etwa den Offshore-Windpark Baltic 1 in der Ostsee, der demnächst ans Netz gehen soll. Mit den Stadtwerken wäre ein neuer Geldgeber im Spiel. Die wollte schon Stefan Mappus (CDU) ins Boot holen, der noch bis zum Antritt der neuen Regierung amtierende Ministerpräsident.

Die Stadtwerke lehnten es allerdings stets ab, sich an einem Großkonzern mit Ausrichtung auf die Kernenergie zu beteiligen. Auch jetzt pochen sie darauf, Atomkraft durch erneuerbare Energien und effiziente fossile Kraftwerke zu ersetzen. Daran dürfte sich nichts geändert haben.

Keiner will vorpreschen

Das Angebot, sich nur an Teilen der EnBW zu beteiligen, liefe deshalb wahrscheinlich auf eine Zerschlagung des Konzerns hinaus. Grüne und SPD lassen sich mit einer Lösung der EnBW-Frage Zeit, keiner will vor der Regierungsbildung im Mai vorpreschen. "Eine Vorschlag wäre es, gemeinsam mit den Anteilseignern, der Unternehmensführung, aber auch mit externem energiewirtschaftlichem Sachverstand darüber nachzudenken, wie eine künftige Strategie für das Unternehmen aussehen kann, sagt der grüne Energieexperte Franz Untersteller eher vorsichtig.

Mappus hatte im Dezember letzten Jahres die Anteile an der EnBW für das Land Baden-Württemberg übernommen, zuvor gehörten sie der französischen EdF. Immer noch umstritten, erweist sich der Deal jetzt als echte Hypothek. Der Preis, den das Land zahlte, dürfte bis auf weiteres nicht mehr zu erzielen sein: Das Unternehmen macht seinen Gewinn zu 90 Prozent mit der Atomkraft – einer ihrer vier Meiler ist nun stillgelegt worden, Philippsburg I gehört zu den unsicheren Altreaktoren, die derzeit vom Netz sind. Die Ratingagentur Standard & Poors hatte EnBW am Freitag zwar ein gutes Rating erteilt, allerdings mit einem negativen Ausblick wegen der Kernkraftwerke.

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8 Kommentare

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  • RK
    Rüdiger Kalupner

    Wer die derzeitige Lage in den Industriestaaten evolutionsprozess-logisch analysiert, der weiß, dass diese auf einen Epochenwechsel unter die höhre Fortschrittsordnung des KREATIVEN Evolutionspfades hinausläuft. Das ist der Entwicklungspfad, der sich aus dem zu Ende gedachten Reformansatz 'Wachstumszwangsystem beenden, durch öko-soziale Umsteuerung-durch-Umfinanzierung' ergibt, und als neue Weltordnung zu bezeichnen ist.

     

    Für die DB bedeutet dies, dass ein gigantischer Umsteigeeffekt zugunsten der Schiene (= Epochenwechsel-Effekt von über 100% Plus) und zu Lasten der Straße sicher eintreten wird. Das kann die Spitzenkapazität von S21 unmöglich leisten.

     

    Die BW-Regierung müßte also nur ihre Verkehrspolitik und für S21 von der Epochenwechsel-100%PLUS-Annahme aus formulieren und entsprechend verhandeln. Die DB dürfte auf der Epochenwechsel-Ebene von sich aus alle ihre Planungen revidieren wollen - auch S21.

  • Z
    ZDemir

    Nur zur Info. Seit 01.01.2011 erhebt die Stadt Stuttgart Zweitwohnsitzsteuer, unter Zweck der Zweitwohnsitzsteuer wird begründet warum dies gemacht wird insbesondere die Beteiligung an der hiesigen Infrastruktur (so in dem Schreiben von der Stadt Stuttgart ...was leider auf der Internet Seite nicht steht) bringt einen zum Nachdenken

     

     

    http://www.stuttgart.de/zweitwohnungssteuer#headline4d9b20c7f3e86

  • I
    isaac

    Der Verkehrswegeplan der Bundesrepublik Deutschland wird in weiser Voraussicht stets auf 10 Jahre ausgelegt. Nun fragt sich der gemeine Bürger wie das? Dann wäre das ganze Volk irgendwie schon lange aufgeklärt. Dem ist leider nicht so.

     

    Seilschaften, ich nenne das in der Fortsetzung, wie im Falle S21 offene Korruption. Und wer dagegen halten wollte, der wurde im Prinzip immer wieder eines besseren belehrt. Wer die Macht hat, übt sie aus. Notfalls gegen die Interessen der gesamten Bürgerschaft, Wähler und Wählerinnen.

  • M
    Marcus

    Die kosten werden steigen und wenn die neue Regirung selbst dafür sorgen muss.

     

    Nur was dann? Ein privates Unternehmen würde sich vermutlich zurückziehen, aber es ist wohl kaum eine Option Stutgard nur noch mit Regionalbahnen zu befahren. Also wird es eine alternative geben müssen. Mal sehen ob der Kopfbahnhof(die populärste Alternative) nicht am ende gnauso teuer wird, schon weil sich das ganze Aufgrund der Notwendigen Neuplanung/Vergabe über jahre ziehen wird.

  • MS
    M. Stocker

    Nee, nee, @Ignaz Klämmerle. Die Bahn macht nur das, was Ramsauer auch macht: einen letzten Gefallen an die abgewählte Mappia. Einen Ausstieg ohne Gesichtsverlust. Denn wenn die Grün-Roten sich des ganzen fein gewobenen Filzes annehmen würden, dann wäre eines absolut sicher: keinen Cent des Landes für Verträge, die verfassungswidrig sind, oder unter betrügerischen Absichten (Kostenlügen, Hintergehung des Parlaments) abgeschlossen wurden. Die Gefahr, dass die Landesregierung als einzige auf Nichtigkeit der Verträge pocht, ist zu groß.

     

    1.5 Mrd. bis jetzt???? Für ein paar Fundamente, Wasserbehälter, Zäune, etwas Gleisgefrickel (das sowieso hätte gemacht werden müssen), für einen Abbruch und eine Fällaktion von 20 Bäumen? Gehts noch? Von Planung kann ja wohl keine Rede sein, allenfalls von planerischen Offenbarungseiden. Die Bahn hat versucht, sich alles von der Mappia aus der Staatskasse bezahlen zu lassen und gedacht, die biederen Baden-Württemberger würden alles mit sich machen lassen. Welch ein Irrtum!

  • T
    theredagent

    In den Diskusionen die im TV zu sehen sind, kommen die kommerntare von CDU und FDP immer so rüber als wenn es noch gar keinen ahnhof in stuttgart geben würde. @Ignatz Klämmerle dein Komentar hat auch solch einen charackter jedenfalls wenn sie über die grünen zukunftsverweigerer sprechen. Das eigentlich problem an der ganzen Bahninfrastruktur und das ist bewiesen durch die grünen war die taktung der fahrpläne nicht die kapazität des bahnhofes.

  • WE
    w.-g. esders

    da die bahn noch nicht privatisiert ist, hielte sich der volkswirtschaftliche schaden je nach perspektive ja durchaus in grenzen.

  • IK
    Ignatz Klämmerle

    Die Bahn wäre ja bescheuert, würde sie die Ausstiegsoptionen nicht wahrnehmen die ihnen die grünen Zukunftsverweigrer bieten. Seit 10 Jahren streicht die Bahn versteckte Subventionen durch überteuerte Zahlungen für den Baden-Württembergischen Regionalverkehr ein. Mit Stuttgart 21 müsste sie die - wohl unter der Hand - vereinbarte Gegenleistung einlösen. Wenn sie aussteigt, und das Land dann noch die ganzen 1,5 mrd. bisher aufgelaufene Kosten trägt, hat die Bahn auf Kosten der für einen neuen Bahnhof zu bideren Schwaben einen riesigen Reibach gemacht und wird sich zu Recht klamm heimlich ins Fäustchen lachen..