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Verlegung des StraßenstrichsKein Herz für Prostituierte

Der Hansaplatz im einstigen Hamburger Schmuddel-Stadtteil St. Georg soll schöner werden. Der Straßenstrich rund um den Platz passt da nicht mehr ins Bild.

Nicht hübsch, aber immerhin im fahlen Licht der Öffentlichkeit: Prostitution in St. Georg. Bild: Miguel Ferraz

HAMBURG taz | Der Hansaplatz mit seinen Gründerzeitfassaden und dem prächtigen Brunnen in der Mitte ist für viele einer der schönsten Plätze Hamburgs - wenn da nur das Umfeld nicht wäre. Lange galt der Platz im Herzen des Stadtteils St. Georg als Drogenumschlagsort, in den Seitenstraßen stehen noch immer Prostituierte.

Doch das soll sich ändern: Von einer "neuen urbanen Qualität für Anwohner und Touristen" spricht Erwin Jochen, Koordinator des Amtes für Gebietsentwicklung. Sein Amt hat ein Konzept ausgearbeitet, in dem genau festgelegt ist, was in welcher Zone auf dem Platz stattfinden darf - sogar die Gestaltung des Sonnenschutzes müssen die Kneipenwirte künftig mit den Stadtplanern abstimmen. Im Juni soll der neu gestaltete Platz fertig sein.

"Ich freue mich sehr, dass der Platz jetzt endlich eröffnet wird", sagt Helmut Voigtland, Vorstand des Bürgervereins St. Georg. Voigtland ist Anwalt und hat seine Kanzlei in St. Georg, wohnt jedoch in einem anderen Stadtteil. Seit zehn Jahren kämpft sein Verein für die Umgestaltung des Hansaplatzes.

Der Stadtteil St. Georg, hinter dem Hamburger Hauptbahnhof gelegen, hat eine stürmische Entwicklung durchgemacht. Schon seit einigen Jahren ist der zur Alster hin gelegene Teil im Hamburger Mietenspiegel von "normaler Wohnlage" in "gute Wohnlage" hochgestuft worden, und in der Hauptausgehstraße, der Langen Reihe, machen immer teurere Läden und Restaurants auf.

Der Kampf um den Hansaplatz ist Teil dieser Entwicklung. "Geh raus und renovier das Wohnzimmer St. Georgs", dieser Satz steht auf der Homepage der Anwohner-Initiative "Kultur statt Kameras". 2009 wehrte sich die Initiative erfolgreich gegen die Videoüberwachung auf dem Platz, die dort zur Bekämpfung der Drogenkriminalität installiert worden war. Statt den Platz zu überwachen, so die Forderung, sei es besser, ihn zu bespielen. In der Folge gab es auf dem Platz Filmvorführungen und Konzerte.

Auf dem Hansaplatz habe sich "eine Monokultur des Saufens und der Prostitution eingestellt, die ergänzt werden muss", sagt Kristopher Sell, Mitglied der Initiative. Der Journalist wohnt mit seiner Familie seit fünf Jahren am Hansaplatz. Er sagt, dass er sich darauf freue, den Platz wieder zum "Wohnzimmer des Viertels" zu machen.

Hassan* sitzt in seiner Kneipe am Hansaplatz und hat Angst um seine Existenz. Es ist 23 Uhr und der Raum ist voll von Menschen. An der Bar sitzen zwei transsexuelle Prostituierte, eine Frau tanzt alleine durch den Raum. Aus der Jukebox schallt Musik. "Das ist Rassismus, was hier passiert", sagt Hassan. Viele Anwohner seien MigrantInnen und könnten sich gegen die Veränderungen nicht wehren. Bereits jetzt würden die ersten Mietverträge nicht verlängert. Die Vermieter würden sagen: "Ihr passt hier nicht hin", berichtet Hassan.

Gebietsentwickler Jochen sieht die Lage nicht so dramatisch. In St. Georg würden kaum noch sozial schwache Menschen wohnen, meint er. Sein Kollege Andreas Pfad bezeichnet die Kneipen am Platz als "Absteigen, die hier sowieso keiner mehr haben will". Bezirksamtschef Markus Schreiber (SPD) meint, es würde gar keine richtigen Kneipen mehr am Hansaplatz geben: "Die, in denen die Geschäfte der Prostituierten angebahnt werden, brauchen wir nicht."

Den Straßenstrich am Hansaplatz will Schreiber in die Hamburger Randbezirke verlegen - die Prostituierten sollen dann in Rothenburgsort in der Großmannstraße stehen. Auch der Süderstraßen-Strich soll dorthin umziehen, sagt Schreiber - in ein Gebiet, in dem es weder schutzbietende Kneipen noch Menschen auf der Straße gibt, die den Frauen im Notfall helfen könnten. Dafür fühlen sich die Anwohner nicht gestört - es gibt schließlich keine.

Schreiber hat so einen Umzug schon öfter angeregt, doch die CDU-Innensenatoren Heino Vahldieck und Christoph Ahlhaus sahen dazu keine Notwendigkeit. Schreiber will nun Kontakt zum neuen Innensenator und Parteifreund Michael Neumann aufnehmen. Frank Reschreiter, Sprecher der Innenbehörde, sagt, man werde den Vorschlag prüfen.

Vorbild für die Umzugspläne ist Bremen: Dort hat die Stadt eine Straße im Außenbezirk zur Prostitution freigegeben. Allerdings ist in Bremen noch kein Straßenstrich wirklich verlegt worden.

Seit ein paar Tagen hat sich unter den Prostituierten herumgesprochen, dass in St. Georg vom 1. April an eine neue Verordnung gelten soll. Danach können Polizisten ein Ordnungswidrigkeitsverfahren gegen Prostituierte einleiten, wenn diese wiederholt "in erkennbarer Haltung ihren Geschäften" nachgehen - offiziell ist in dem Stadtteil Prostitution verboten. Bisher musste eine konkrete Handlung, wie das Ansprechen der Freier nachgewiesen werden.

Um das Verbot durchzusetzen, möchte Schreiber die polizeiliche "Präsenzgruppe" wieder einführen. Die hatte in Hamburg die Prostituierten überwacht, bis sie abgezogen wurde, um sich um die Autobrände zu kümmern.

Anke Mohnert, Leiterin des Café Sperrgebiet, einer Anlaufstelle für Prostituierte am Hansaplatz, ist empört: "Keiner spricht mit uns, seit Monaten werden die Frauen unter Druck gesetzt", sagt sie. Die Umlegungen des Straßenstrichs bedeutete für die Frauen, dass sie keine Anlaufstellen mehr hätten.

St. Georg, sagt Mohnert, sei schon immer ein Gebiet für Prostituierte gewesen und die ließen sich nicht so einfach vertreiben. Am gestrigen Donnerstag zogen Straßenprostituierte aus St. Georg durch den Stadtteil und protestierten mit Sprüchen wie "Heute wir, morgen ihr" gegen die Vertreibungspläne.

Doch der über zwei Millionen Euro teure Umbau des Hansaplatzes wird Fakten schaffen. So sollen die Autos der Freier mit Pollern an der Zufahrt gehindert werden. Im November hat mit dem Doria bereits ein Edelrestaurant aufgemacht. Zur Eröffnung gab es geschmorte Kalbsbäckchen mit weißem Zwiebelpüree, dazu wurde Champagner gereicht.

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6 Kommentare

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  • LW
    lukas Wagenmacher

    Genau. Wenn ein Viertel von Kriminalität und Prostitution gesäubert werden soll ist das Rassismus.

  • M
    Mergele

    Allenfalls eine optische Bereinigung. Eine Rezivilisation des Hansaplatzes stünde der Stadt wahrlich gut an, allein mir fehlt der Glaube.

    Die bürokratische Strassenprostitutionsverdrängungs-strassenführung etwa hat in St. Georg schon früher nur dazu geführt, dass Freier, Zuhälter und Drogenkuriere etwas länger kurven mussten. Dafür taten sie es um so lauter, Erlebnisfaktor Drogenstrassenstrich halt.

    Verdrängt bzw. nach offizieller Lesart "verlagert" würde ohnehin nur die Strassenprostitution, die lediglich einen Teil der Gesamtprostitution ausmacht. In den Wohnungen, Pensionen, Bars und Hotels des Quartiers "arbeiten" eine Menge Nutten, zudem bleibt auch die Infrastruktur der organisierten Qualität drumherum völlig unangetastet. Spezialdemokratische Quartierspolitiker so blind wie eh' und je ?

  • A
    Artmann

    Ich persönlich bin geprägt durch 15 Jahre klinische Erfahrung mit dem Klientel der Straßenprostitierten, von denen weit mehr als 90 % schwerst traumatisierte, kranke Menschen sind und lehne Prostitution im Sinne des Opferschutzes konsequent ab. Lediglich dem schwedische Modell - Prostitution ist illegal aber lediglich der Freier werden bestraft - kann ich etwas abgewinnen. Aber gerade meine Heimatstadt Hamburg, in welche Millionen von halbseidenen Touristen mit der "Reeperbahn" gelockt werden, geht hier aufs zynischste gegen die ärmsten der armen Frauen auf St. Georg vor. Das paßt insgesamt ins Bild einer Stadt, die gerne den schönen Schein präsentiert, während sich der gehobenen Pfeffersacke nach Sonnenuntergang dann auch mal selbst an einem minderjährigen Russen in einem schummrigen Hotel auf St. Pauli vergeht. Zum Kotzen.

  • W
    werner

    Leute macht Euch doch nichts vor, die Gentrifizierung hat schon Einzug erhalten. Am Hansaplatz steht aus Spekulationsgründen seit über einem Jahr die Hausnummer 7 leer. Und dass bei akuter Wohnungsnot in Hamburg. Worum geht es hier? Um eine Bereicherung auf Kosten von Mietern und Anwohner. St. Georg steht dieselbe traurige Entwicklung wie dem Prenzlauer Berg in Berlin oder der Schanze bevor. Und da stören nunmal die Nutten. Sonst könnten ja Mieten und Renditen nicht angemessen steigen.

  • S
    selters

    Was hier in St. Georg abgeht kann ich als langjähriger Anwohner nur in einem Satz beschreiben: Turbogentrifizierung.

    Erst haben sich Leute billig Eigentumswohnungen und Häuser gekauft und sorgen jetzt durch angebliche Kulturinitiativen wie 'Kultur statt Kameras' in moderater Form oder durch Anwohnerinitiativen gegen Straßenprostitution dafür, dass der Wert ihrer Immobilien auch schön steigen und sie später nette Mieteinnahmen haben. Wir als normale Mieter schauen dann in die Röhre.

    Der Plan liegt ja schon vor: erst geht es gegen die Prostituierten, dann sind die Hansaplatz-Trinker, dann die Migranten.

    Leute wehrt Euch, kämpft für eine Mietpreisbindung und gegen die weitere Aufteilung von Mietshäusern in Eigentumswohnungen. Wir haben keine Lust in einem Spießertraum für teuer Geld zu leben, wo alles Bunte, Andere verdrängt wird und wir einen Bionade-Biedermeier erleben müssen.

  • F
    Franzi

    Warum ziehen die Anlaufstellen nicht mit in die neuen Gebiete?

    Anwohner als Schutz kann nun wirklich kein Argument sein, dann soll die Polizei eben zwei Beamte abstellen, die da halbblind patrollieren und bei Bedarf eingreifen.