Tacheles vor der Zwangsversteigerung: Ruinöse Verhältnisse

Heute wird das Gelände zwangsversteigert. Ob es als Kunsthaus weiter besteht, ist fraglich - ebenso, ob das Tacheles überhaupt noch mehr ist als eine Touristenattraktion.

Das Tacheles - Kunsthaus mit ungewisser Zukunft und umstrittener Gegenwart. Bild: dpa, Florian Schuh

Der vierte Stock des Tacheles ist das Reich von Barbara Fragogna. Die 36-jährige Italienerin hat hier ihr Atelier, und sie ist Kuratorin für die Ausstellungen in der großen Galerie. Sie ersticke in Arbeit, sagt sie. Schließlich wisse sie nicht, was aus dem Projekt wird. Denn das Kunsthaus steht vor dem Aus: Am heutigen Montag wird das Tacheles zwangsversteigert. Ob die Künstler bleiben können, das Kino und die Kneipen im Haus eine Zukunft haben - niemand weiß es.

Auf dem Boden liegt Zeitungspapier, Bilder lehnen an der Wand. Fragogna selbst sitzt halb versteckt hinter einem großen Tisch, ein Laptop vor ihr aufgeklappt. Vor drei Jahren hat sie ihr Atelier bezogen, seit zwei Jahren ist sie Kuratoin - und sehr glücklich darüber. "Das Schöne hier im Tacheles ist, dass ich spontan was organisieren kann. In anderen Einrichtungen müsste ich drei Jahre vorausplanen", sagt sie. Am 8. April soll etwa eine Ausstellung mit dem Titel "Nuclear Unfair" in der großen Galerie stattfinden - eine Reaktion auf die Reaktorkatastrophe in Fukushima. Sie habe viele Künstler angefragt, ob sie etwas dazu beitragen wollten. "Es wird Bilder geben, Videoperformance. Ich ersticke in Material." Fragogna lacht glucksend und breitet ihre Arme aus. Sie schaut immer wieder auf ihren Computer, denn sie muss noch eine andere Ausstellung organisieren.

Das Tacheles zieht nicht nur Künstler an, sondern auch Touristen. Genauer gesagt ist es eine Touristenhochburg am Ende der Touristenmeile Oranienburger Straße in Mitte. Schon am frühen Nachmittag sind kleinere Gruppen im Haus unterwegs, meist junge Leute. Sie laufen mit ihren Fotoapparaten in den Gängen herum, knipsen, gehen ein paar Schritte weiter und knipsen nochmals. Obwohl an vielen Wänden groß steht: "No photos".

Nach jahrelangem Rechtsstreit steht das Kunsthaus Tacheles heute Vormittag zur Zwangsversteigerung an. Der Verkehrswert der insgesamt 16 Grundstücke wird bei der Zwangsvollstreckung am Amtsgericht Mitte mit über 35,1 Millionen Euro beziffert. Beantragt hat den Verkauf des rund 25.000 Quadratmeter großen Geländes die HSH Nordbank als Hauptgläubiger eines Tochterunternehmens der Fundus-Gruppe, die Zahlungsunfähigkeit angemeldet hatte.

Künstler aus dem Kunsthaus haben für heute Aktionen vor dem Gerichtsgebäude in der Littenstraße angekündigt. Sie hatten sich mit Unterstützung der Politik gegen die Zwangsversteigerung gestemmt und fordern, der Kunstraum an der Oranienburger Straße müsse erhalten werden.

Das weit über die Grenzen Berlins hinaus bekannte Kunsthaus Tacheles zieht nach eigenen Angaben jährlich rund 400.000 Besucher an, vor allem Touristen aus dem Ausland. Es beherbergt Ateliers, Lokale, ein Kino und einen Theatersaal. Die Reste des einstigen Kaufhauses unweit des Bahnhofs Friedrichstraße, im Krieg stark zerstört, waren 1990 von einer Künstlerinitiative besetzt worden. Später wurden Mietverträge abgeschlossen, die 2008 ausliefen.

Der Verein Tacheles bot zuletzt 2,84 Millionen für das denkmalgeschützte Haus und 1.000 Quadratmeter Hoffläche, was die HSH aber ablehnte. Ziel des Angebots war es, das Areal für Künstler und Nutzer zu erhalten. (dapd)

Die Touristen kaufen auch: Originalbilder oder die günstigeren Drucke als Postkarten; es gibt Poster und Schmuck: Armbänder aus Gabeln geformt zum Beispiel. Rebeca aus Spanien ist das zweite Mal in Berlin und das zweite Mal im Tacheles. Diesmal ist sie mit zwei Freundinnen gekommen. Für sie sei das Tacheles authentisch, alternativ, anders. "So was gibt es in Madrid nicht", sagt sie. Das Tacheles sei etwas Besonderes. Sie sehe gerne die Künstler hinter ihren Werken und rede mit ihnen. Sie erzählt ihren Freundinnen vom letzten Sommer: Da hätten sie im Garten des Hauses im Sand gesessen, Bier getrunken, Live-Musik gab es auch.

Das Atelier von Kawagushi Tadashi liegt im dritten Stock. Der 27-jährige Japaner sitzt konzentriert vor einer Leinwand - so groß wie ein Briefumschlag - und drückt ein wenig grellblaue Farbe aus der Tube. Neonfarben dominieren seine Bilder. "Ich bin wegen des Tacheles in Berlin geblieben. Für einen jungen Künstler wie mich ist das eine super Chance", sagt Tadashi. Eigentlich wollte er nur durch Europa reisen, aber dann sei ein Atelier im Haus frei geworden, erzählt er. In Tokio könne er nicht von seiner Kunst leben. Hier könne er arbeiten und seine Bilder verkaufen. "Es wäre schade, wenn es das nicht mehr gibt. Jeder kennt das Tacheles, auf der ganzen Welt, sogar in Tokio", sagt er.

Die Italiener, die gerade im Flur stehen, kennen das Tacheles aus dem Loneley Planet. Sie gucken gelangweilt. Einer hat seine Sonnenbrille an, obwohl es hier drinnen düster ist. Ganz nett sei es hier, sagt der eine, aber es stinke. Die anderen zwei grinsen.

Am Ausgang passieren viele Besucher den Stand von Peter. Der Kanadier sitzt in seinem Liegestuhl, beobachtet eine Gruppe junger Leute und schüttelt den Kopf: "Die können hier doch was erleben. Aber was machen sie? Nur Fotos, um sie später auf Flickr zu stellen." Auf englisch ruft er: "Hat es euch gefallen?" Die Jugendlichen gucken verwirrt, einige nicken zaghaft. "Warum denn?", hakt er nach. Schnell geht die Gruppe weiter. Peter nickt wie zur Bestätigung. "Sie sehen gar nichts, sie machen nur Fotos, wie in einem Museum."

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