Der Eintritt kostet 60 Euro

REISEN Über die Hälfte der Weißrussen war noch nie im Ausland – und das, obwohl in Minsk weltweit die meisten Schengen-Visa ausgestellt werden

VON ALEXANDRA PARACHINA

BERLIN taz | Ein Flug von Minsk nach Berlin dauert zwei Stunden. Doch für viele Weißrussen dehnt sich diese Zeit einen Monat und länger aus: So lange dauert es, ein Visum zu bekommen.

Die deutsche Botschaft hat 2011 rund 70.000 Dokumente zur Einreise in den Schengen-Raum ausgegeben. Damit liegt sie auf Platz drei. Dennoch ist die Visaprozedur nicht leicht.

Weißrussen reisen häufig nicht nur als Touristen nach Deutschland, sondern zum Arbeiten und Studieren. Jeder, der nach Deutschland möchte, braucht Pass, Einladung, Foto, Visumantrag, Versicherung und Konsulargebühren in Höhe von 60 Euro. Manchmal muss der Antragsteller seine finanzielle Situation offenlegen – die EU-Staaten fordern 40 Euro pro Aufenthaltstag.

Für viele ist die Geldfrage entscheidend: 60 Euro sind für Studenten zwei Monatsstipendien. Wer schließlich Geld und alle Dokumente beisammen hat, muss nun stundenlang vor der deutschen Botschaft in der Schlange stehen.

„Mich schrecken die Menschenmassen ab“, sagt Anna Schutowitsch aus Smorgoni. „Manchmal stehe ich einen halben Tag in der Kälte. Wir sind einfach nur genervt.“

Ohne Visum können Weißrussen in 21 Staaten reisen. Die meisten davon sind bei Touristen nicht gerade beliebt. Neben den Staaten der Exsowjetunion sind das Honduras, Kuba, Venezuela, China, Ecuador und Nicaragua.

Einen Fahrplan zur Abschaffung der Visapflicht zwischen Schengen-Staaten und Weißrussland gibt es seit Langem. Zuerst muss die weißrussische Regierung einem Vertrag zustimmen. Dieser regelt, dass die Gebühren sinken und die Antragsprozedur einfacher wird. In einem nächsten Schritt wird die Rückaufnahme illegaler Migranten vertraglich geregelt.

Die letzte Etappe ist dann die Visa-Liberalisierung. Dafür muss Weißrussland bei Rechts- und Menschenrechtsfragen europäische Standards übernehmen und mit der Europäischen Union (EU) in Sicherheitsfragen künftig enger zusammenarbeiten.

In der Praxis jedoch fangen die Probleme schon während der ersten Etappe an. Die EU hatte Weißrussland bereits im Februar 2011 vorgeschlagen, mit Verhandlungen zu beginnen. Bis heute hat die Regierung in Minsk zu diesem Vorschlag keine Stellung genommen.

„Natürlich macht die EU in der Beziehung zu Weißrussland, wo die Entwicklung zur Demokratie ganz am Anfang steht, Fehler“, sagt der CDU-Bundestagsabgeordnete Wolfgang Börnsen. „Wir haben keine ausgearbeitete Strategie im Umgang mit solchen Staaten.“ Der Abgeordnete macht darauf aufmerksam, dass sich die EU häufig auf ihre inneren Probleme fokussiere und dabei die Nachbarn vergesse. Doch die Union brauche demokratische Systeme in den osteuropäischen Staaten als Garantie für friedliche Beziehungen. „Persönlich trete ich für Visaerleichterungen ein“, sagt Börnsen. „Wir sollten dafür sorgen, dass die Grenzen durchlässiger werden.“ Dann könnten die Weißrussen reisen und sich selbst einen Eindruck von Westeuropa verschaffen. Doch in der EU herrsche die Angst vor, dass im Falle einer Grenzöffnung viele Migranten in den Westen kämen.

Auch Deutschland nimmt bei der Abschaffung von Visa eine unklare Position ein. Hier ist die Furcht vor Einwanderung offenbar besonders groß. Derzeit entwickelt sich in Weißrussland eine Bewegung für Visafreiheit. Ehrenamtliche aus verschiedenen Städten des Landes organisieren Aktionen, Konzerte, Filmvorführungen, Lesungen und Ausstellungen, um für offene Grenzen zu werben.

Die ehrenamtlichen Kräfte machen darauf aufmerksam, dass in Weißrussland die meisten Visa pro Kopf ausgegeben werden: 2011 waren das 61 Visa auf 1.000 Personen. Das ist weltweit der höchste Wert. Andererseits waren laut dem Minsker unabhängigen Institut für sozioökonomische und politische Studien rund 60 Prozent der Weißrussen noch nie im Ausland. Fast jeder Dritte hat bisher noch nicht einmal seinen Landkreis verlassen. Im Grunde genommen fahren nur diejenigen ins Ausland, die bereits Beziehungen in die Schengen-Staaten haben. „Für die Erleichterung des Visa-Regimes muss auch in der EU geworben werden“, sagt Stefan Melle, Direktor der Nichtregierungsorganisation Deutsch-Russischer Austausch. Innerhalb der EU gebe es zwei Haltungen: Die einen wollen sich nur auf die inneren Probleme konzentrieren, die anderen seien überzeugt, dass die Außenpolitik wichtiger sei. „Die EU muss regelmäßig daran erinnert werden, dass die osteuropäischen Staaten an einer Abschaffung der Visapflicht interessiert sind, damit diese Frage auf der Tagesordnung bleibt.“

Auch Deutsche brauchen ein Visum für Weißrussland. „Wäre das anders, würden viel mehr Touristen kommen“, sagt Jan Leye aus Münster, der regelmäßig nach Weißrussland fährt. Minsk sei eine besondere Stadt mit einer speziellen Atmosphäre, die müsse man selbst erleben. „Ich habe von weißrussischen Freunden gehört, dass 2011 nur 5.000 Touristen dorthin gefahren sind“, sagt er. „Das ist blamabel.“