Nachruf für einen Besessenen: Sidney Lumet gestorben
Der film-besessene Regisseur Sidney Lumet starb am Wochenende im Alter von 86 Jahren. Noch vor zwei Jahren erschien sein jüngster Film.
Eine Standardsituation mit Twist. Der Polizist will auf den Bankräuber einwirken, sein Unternehmen friedlich abzubrechen. Er lockt ihn langsam heraus auf die Straße, wo sich neben einer Armada an Polizisten auch eine große Menge Schaulustiger eingefunden hat. Plötzlich kippt die Situation, Sonny (Al Pacino) verliert das Vertrauen in die Worte des Cops und beginnt "Attica, Attica" zu rufen - in Erinnerung an den blutig beendeten Gefängnisaufstand von 1971. Die Menge applaudiert ihm begeistert zu.
Es handelt sich um eine der intensivsten Szenen aus Sidney Lumets Heist-Movie "Hundstage" (Dog Day Afternoon, 1975), gut geeignet, die zahlreichen Qualitäten des 1924 geborenen US-Filmemachers zu demonstrieren. Lumet war ein hochbegabter Schauspielerregisseur, der Darsteller wie Rod Steiger (Der Pfandleiher/The Pawnbroker, 1964), Peter Finch (Network, 1976), River Phoenix (Die Flucht ins Ungewisse/Running on Empty, 1988) und natürlich Pacino (Serpico, 1973) zu Höchstleistungen treiben konnte.
In der Ausrichtung seiner Filme bewies er Mut, Moral und politische Standfestigkeit. "Hundstage" war eben nicht nur ein energetischer Genrefilm, sondern lieferte auch ein Bild der Zeit. Es war die Geschichte eines schwulen Mannes, der eine verzweifelte Tat begeht, um die Geschlechtsoperation seines Freundes zu finanzieren.
Lumet wurde in eine Schauspielerfamilie hineingeboren, sein Vater spielte am Yiddish Art Theatre, und wenn er über ihn auch wenig Gutes sprach, blieb die Begeisterung für die Bühne.
Nach dem Armeedienst im Zweiten Weltkrieg wechselte der junge Schauspieler beim TV-Sender CBS ins Regiefach. Wie für etliche andere Regisseure seiner Generation eine gute Schule: Lumets Faible fürs Proben, für die Feinarbeit mit dem Script und den Darstellern, ging auf diese Lehrjahre zurück.
Stilistische Wendigkeit
Obwohl Lumet bereits für sein Debüt, das Gerichtssaaldrama "Die 12 Geschworenen", für einen Oscar nominiert wurde (er sollte erst 2004 einen Ehrenoscar erhalten), blieb er zeitlebens ein Hollywood-Flüchtling. Zu sehr war er mit seiner Stadt New York, dem Schauplatz vieler seiner Filme, verwurzelt, doch auch ideell gehorchte der an sozialen Realitäten interessierte Filmemacher nicht dem Credo der Industrie. Höchstens sein persönliches Arbeitsethos entsprach der Studiologik - lieber einen Film mit Handicaps drehen als gar keinen.
Seine stilistische Wendigkeit wurde Lumet manchmal vorgeworfen. Doch zeigte sich darin nur die Neugierde eines Regisseurs, der sich immer wieder anderen Herausforderungen stellte.
Nach dem ersten US-Drama um einen Holocaust-Überlebenden (Der Pfandleiher) konnte er einen Kriegsfilm (The Hill) drehen; danach das aufwendig produzierte (und viel geächtete) Frauendrama nach Mary McCarthy, "The Group" (1966), das sich mit Themen wie Empfängnisverhütung, lesbischer Liebe und Abtreibung beschäftigte.
Die 1970er Jahre wurden zu Lumets wohl wichtigstem Jahrzehnt: Die New-York-Filme "Hundstage", "Serpico" und "Prince of the City" (der 1981 nachfolgte) sind Meilensteine des New-Hollywood-Kinos, die auf eine vibrierende Weise mit der äußeren Wirklichkeit der Stadt kommunizieren.
Lumet war ein Filmbesessener, der nie in den Ruhestand ging. Mit 84 Jahren überraschte er noch mit dem tragischen Familienthriller "Before the Devil Knows Youre Dead". Am Samstag ist Sidney Lumet 86-jährig an einer Lymphomerkrankung in Manhattan gestorben.
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