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Kinderkurzfilme auf ArteDie große Ernsthaftigkeit

Zu den 57. Internationalen Kurzfilmtagen zeigt Arte ausgewählte Kurzfilme. Sind sie für Kinder oder eher für die Jury gemacht?

Keine leichte Kost für Kinder: Szene aus "Eine Giraffe im Regen" (2007). Bild: arte / Pascale Hecquet

BERLIN taz | Kinder besitzen eine schier grenzenlose Fantasie. Sie träumen - aber sie sind nicht naiv. Ganz im Gegenteil: in einer Leistungsgesellschaft werden Kinder immer früher mit dem harten Alltag konfrontiert und müssen daher auch früher erwachsen werden. Sollen deshalb nicht auch Kurzfilme im kindlichen Gewand erwachsene, gar politische Themen streifen? Diese Frage scheinen zumindest die Kurzfilme aus Oberhausen mit Ja zu beantworten.

Da ist zum Beispiel diese knuffige Giraffe, die in ihrer quietschbunten, animierten Welt ("Eine Giraffe im Regen", von Pascale Hecquet) gegen den Löwenkönig des Landes Djambali rebelliert, weil dieser alles Wasser in sein Luxusschwimmbad pumpen lässt. Das ist doch gar nicht mal so weit hergeholt! In der Realität mögen es vielleicht keine Politiker oder Staatsoberhäupter sein, aber Global Player wie Coca Cola und Nestlé kaufen in Brasilien Gebiete, die reich an Wasserquellen sind. Mit diesem Wasser werden dann kostengünstig die Getränke für den internationalen Markt produziert.

Kinder werden wohl kaum diese Assoziation haben, sondern sich eher an der bunten Welt mit den süßen Tierchen erfreuen und höchstens registrieren, dass der Giraffe Ungerechtigkeit widerfährt. Aber sie werden nicht an eine demonstrierende Bevölkerung Brasiliens denken, die auf ihr Grundrecht auf Wasser beharrt. Und diese Menschen wiederum werden auch nicht, wie unser gezeichneter aufmüpfiger Freund, prompt ins Exil verwiesen.

In einer fremden Welt, nur bevölkert von Hunden, baut sich der sympathische Langhals mühsam eine neue Existenz auf, nur um dann aus seiner neuen Umgebung herausgerissen zu werden, weil der Asylantrag abgelehnt wird. Fortan wird das ungewollte Säugetier von einem Land ins nächste gescheucht. Menschenrechte und Migration aufbereitet für junge Zuschauer, mit Unterstützung der Liga für Menschenrechte.

Keine leichte Kost mehr

Es ist gerade in, Kinderfilme komplexer zu machen, sie zu politisieren und ihnen so das Merkmal der leichten Kost zu entziehen. Regisseure haben den Kinderfilm für sich entdeckt und verleihen den Inhalten immer öfter eine tiefer gehende Botschaft, machen ihn für Erwachsene attraktiv.

Zuletzt unter anderem Aliki Nassoufis "Mary & Max" in grauer Knetoptik, die die Geschichte von bedrückender Einsamkeit widerspiegelt. In Japan ist das beispielsweise schon lange gang und gäbe, die bunte Variante des Zeichentricks für erwachsene Stoffe zu nutzen. Man erinnere sich nur an Filme wie "Die letzten Glühwürmchen", in dem zwei Kinder nach dem Bombenwurf auf Hiroshima und Nagasaki langsam dahinsiechen.

Nun steht auf der Arte-Agenda kein animierter japanischer Kurzfilm mit Endzeitstimmung, aber ernsthafte Kinderfilme finden sich überall: In "Da unten" (Jeremy Dylan Lanni) treffen sich ein Mann und ein Mädchen auf einem Friedhof und diskutieren über ihre unterschiedlichen Vorstellungen vom Jenseits. "Bauch Beine Bürzel" (Harun Celebi) erzählt die Geschichte einer Gans, deren Lotterleben durch das Schlachtermesser ein jähes Ende finden soll. Die neunjährige Josephine will in "Ein großes Mädchen" (Renuka Jeyapalan) den neuen Freund ihrer Mutter loswerden und die Kurzfilmreihe "Adriaan" (Mischa Kamp) erzählt, wie ein kleiner Junge seinen geliebten Hund verliert.

Wo bleibt der Platz zum Träumen?

Einer der wenigen Filme, die tatsächlich zum Träumen einladen, ist "Früh oder Spät" (Jadwiga Kowalska). Denn genau das verspricht "Arte Junior" - das Format, in dem die Filmchen laufen - ja eigentlich. Ein Kurzfilm, der mit einer solchen poetischen Leichtigkeit daherkommt, dass man die fünf Minuten verzückt zuschaut: um das Wechselspiel von Tag und Nacht wieder in Ordnung zu bringen, müssen Eichhörnchen und Fledermaus (in Buntstiftoptik) zusammenarbeiten und darüber finden die so unterschiedlichen Tiere zueinander. Hier dürfen Kinder noch Kinder sein und sich einer sorglosen, bunten Welt hingeben, die sich im Genre leider so rar gemacht hat.

Der Verdacht liegt nahe, dass Regisseur von Kinder(-Kurz)filmen mittlerweile wohl gezwungen sind, schwere Kost zu verarbeiten, um beim einzigen internationalen Kinder- und Jugendfilmwettbewerb Deutschlands beachtet zu werden. Denn es sind ja die Erwachsenen, die die Filme prämieren. Und denen fällt es schwer, die Welt mit den Augen eines Kindes zu betrachten. Was bleibt, ist manchmal doch der Wunsch nach einfachen, farbfrohen Geschichten, die zum Lachen verleiten und berühren - gerade in Kurzfilmen. Man möchte ihnen zurufen: Schluss mit verkopften Inhalten, Mut zur Leichtigkeit!

Kinder-Kurzfilme aus Oberhausen, Sonntag, 8. Mai, Arte, ab 20 Uhr

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1 Kommentar

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  • K
    kurzfilm

    ich wundere mich über die Aussage, dass in Oberhausen der einzige Kinder- und Jugendfilmwettbewerb Deutschlands stattfindet. Das ist ja völlig absurd. Es gibt sowohl reine Kinder- und Jugendfilmfestivals als auch (viele) Festivals, die neben den Filmen für Erwachsene auch Filme für Kinder- und Jugendliche zeigen und prämieren. Und sehr oft - auch in Oberhausen - werden die Preisträger von Kindern und Jugendlichen ausgewählt.