Verstört, zerschlagen, allein

An Tagen wie diesen schlagen ihre Männer zu: Vier ausgewählte Protokolle der alltäglichen Gewalt gegen Mütter, Partnerinnen und Ehefrauen in Nordrhein-Westfalen

+++Köln, 22. 11. 2005, 15.30 Uhr+++ Samira J.* packt ihre Koffer. Die blauen Flecken sind nach drei Wochen Frauenhaus gelblich geworden und blasser, die Gewalt wird unsichtbar. Sie hat Angst vor ihrem Zuhause – obwohl ihr Mann die Wohnung im nächsten halben Jahr nicht betreten darf. Eigentlich wollte sie weg, für immer. Mit ihren Kindern, ohne ihren Mann. Aber ihr ältester Sohn ist mit 16 zu alt, um bei ihr im Frauenhaus zu leben, bis sie ihr Leben wieder klar sieht. „Jungen über zwölf können wir nicht aufnehmen“, sagt Hamila Vasiri vom Frauenhaus Köln. „Wir brauchen einen vollständig männerfreien Ort.“

Ohne ihren großen Bruder wollten Samiras kleine Mädchen nirgendwo hingehen. Samira geht allein. Sie ist Mitte vierzig, seit zwanzig Jahren verheiratet. Vor drei Wochen hat es bei ihnen Zuhause „geknallt“, wie sie es nennt. Ihr Mann ist drogensüchtig, vor allem der Alkohol macht ihn aggressiv: Sie streiten, worüber, weiß Samira gar nicht mehr. Dann schlägt er zu, erst einmal, dann unbeherrscht immer und immer wieder. Zwei Stunden später tut es ihm leid. Das ist immer so, Samira kann ihm deshalb nicht mehr glauben, sie hat es zu oft gehört. Vor drei Jahren hat sie ihm geglaubt. Auch damals hat sie kurz im Frauenhaus gelebt. Ihr Mann sagte, dass ihm das eine Lehre gewesen sei und dass er sie über alles liebe und sie nie wieder schlagen würde. Sie glaubt ihm, vor allem wegen der Kinder. Die sollen doch nicht ohne Vater aufwachsen. Heute sieht sie das anders. Ihre Kinder lieben den Mann, den sie fürchtet. Sie wollen, dass Mama und Papa sich wieder vertragen. Sie kann nicht ohne ihre Kinder leben. Zerrissen verlässt sie das Frauenhaus. Ein halbes Jahr ist kurz.

+++Hagen, 22.11.2005, 17.30 Uhr +++ In der Wohnung im ersten Stock fliegen Sachen vor die Wand. Es kracht, scheppert, klirrt. Zwischendurch hört man Frauenschreie und Männergebrüll. Die Nachbarn kennen das, sie haben das schon öfter gehört. Aber heute klingt das anders als sonst, gewalttätiger. Sie rufen die Polizei. Als die zehn Minuten später kommt, ist es still im Hausflur. Eine Frau mit verweinten Augen öffnet die Tür. „Ja es hat Streit gegeben“, sagt sie. Jetzt sei aber alles wieder in Ordnung. Ob sie sich bedroht fühlt, fragen die Beamten. Sagen ihr, dass sie ohne Probleme ihren Mann für zehn Tage aus der Wohnung verbannen kann. „Nein wirklich, alles in Ordnung“, sagt die Frau. An ihr gibt es keine Spuren von Gewalt. Nur Tränen. Das reicht nicht, erklärt Opferschutzbeauftragte Susanne Stroevele. Aber wenn die Polizei begründeten Verdacht hat, dass eine Frau misshandelt wurde, zeigt sie den Täter an. Auch wenn das Opfer seine Unschuld beteuert.

+++Essen, 22.11.2005, 21.00 Uhr+++Die junge Frau ist aus Hamburg gekommen. Sie schaut sich trotzdem ängstlich über die Schultern, als sie das Essener Frauenhaus betritt. Ihren sechsjährigen Sohn hält sie fest an der Hand. Auch er hat Angst. Vorgestern hat er gesehen, wie sein Vater auf seine Mutter eingeschlagen hat. „Das ist was zwischen Mama und mir“, hat sein Vater ihm erklärt. „Das hat nichts mit dir zu tun.“ Die Frau sieht das anders. Sie will nicht, dass der Kleine solche Szenen sieht. Sie will aber auch nicht, dass ihre drei Kinder ohne Vater aufwachsen. Sie kann nicht mehr mit diesem Mann leben, denkt sie in dieser Minute. Aber sie will doch eine Familie haben, dachte sie vor einer halben Stunde. Die Gewalt nimmt seit Jahren zu, sagt sie zu Adelheid Gruber vom Essener Frauenhaus. Und: „Ich glaube nicht, dass das wieder aufhört.“ Als sie gestern aus Hamburg losfuhr, hat sie unterwegs daran gedacht, wie schön ihre Beziehung einmal war. Respektvoll, liebevoll und voller Hoffnung.

Vor acht Jahren lernt sie ihren Mann in Pakistan kennen. Er ist in Deutschland aufgewachsen, besucht seine Familie. Sie hat gerade mit Auszeichnung ihre pharmazeutische Ausbildung beendigt, Europa scheint ein spannendes Projekt. Sie findet sich schnell in Deutschland zu Recht, lernt Deutsch, findet Arbeit und einen neuen Freundeskreis. Dann wird sie schwanger. Nach der Geburt ihres ersten Sohnes ändert sich ihr Leben. Sie hört auf zu arbeiten, weil ihr Mann sich das für sich nicht vorstellen kann. Das ist o.k. für sie, obwohl sie immer gerne gearbeitet hat. Ihr Mann will aber plötzlich, dass sie nur noch Zuhause bleibt. Er verbietet ihr den Kontakt zu ihren Freunden, teilt ihr Geld ein. Als sie das kritisiert, schlägt er sie. Sechs Jahre lang erträgt sie dieses Leben, sie bekommen zwei weitere Kinder. Er schlägt sie inzwischen regelmäßig. Vorgestern sah ihr Sohn das zum ersten Mal. Zum letzten Mal?

+++Bielefeld, 24.11.2005, 0.30+++Sie ist einfach nachts aus dem Fenster gesprungen, als ihr Mann schlief. Die Adresse hat sie von einer Freundin, das erste was sie sagt, ist: „Bringt mich so schnell wie möglich in eine andere Stadt, hier bin ich nicht sicher.“ Sie ist vor einem Jahr aus einem kleinen Dorf in Bangladesh gekommen. Ihre Eltern hatten den Mann ausgesucht. Sie ist gerade 18 geworden, hatte eigentlich von einer Liebesheirat geträumt. Der Mann war ein Alptraum, von Anfang an. Er schlug sie, vergewaltigte sie, sperrte sie ein. Sie spricht kaum Deutsch, hatte kaum Kontakt zu anderen Menschen. Wenn du abhaust, wirst du abgeschoben, sagte ihr Mann. Und in Bangladesh droht ihr als Entehrter die Verfolgung durch ihre Familie. Eine Zwangslage, in der sich viele Migrantinnen befinden. Denn erst wenn sie zwei Jahre lang mit ihrem deutschen Partner zusammengelebt haben, ist ihr Aufenthaltsstatus gesichert. „Die Männer erpressen ihre Frauen damit“, sagt Barbara Supplie vom Bielefelder Frauenhaus. Sie hat der jungen Frau sofort eine Anwältin besorgt – und einen Platz in einem Frauenhaus irgendwo in Deutschland. MIRIAM BUNJES

*Alle Personen wurden so verfremdet, dass sie nicht identifizierbar sind.