BEGINN DER KOALITIONSVERHANDLUNGEN: Einig auf dem Weg zur Einigung
In 14 Tagen zum Vertrag klingt ehrgeizig, wirkt aber realistisch: Schließlich meiden schon die Wahlprogramme von SPD und Grünen größere Konflikte
Treffen sich zwei Parteichefs aufm Markt - und was passiert? Mit einer herzlichen Umarmung begrüßt der SPD-Chef Andreas Bovenschulte Grünen-Vorstand Susann Ella-Mittrenga. Das ist nicht mal eine Geste für die Galerie. Denn die meisten JournalistInnen warten längst oben in der Bürgerschaft auf die zwei: Sie sollen über die Koalitionsverhandlungen informieren, die Sonntag begonnen haben.
Beenden will man die schon am 15. Juni, was ehrgeizig klingt: Es stehen Sommerferien an, sagt, ziemlich lebensweltlich, Ella-Mittrenga. Angesichts der "offenkundigen Probleme Bremens", so Bovenschulte etwas staatstragender, "können wir uns gar nicht lange Zeit lassen": Das Land brauche schnellstmöglich eine für die kommenden Jahre "gut gespurte Regierung". Kulturelle Unterschiede gibt es eben doch zwischen Roten und Grünen. "Das Wording ist noch nicht abgestimmt", sagt Bovenschulte auf die Frage nach einem Motto der künftigen Koalition. Dennoch überwiegt der Eindruck "zweier Partner, die vorhaben, die Stadt gemeinsam zu denken", so Ella-Mittrenga.
Die mutmaßlichen inhaltlichen Knackpunkte zu benennen, fällt beiden schwer. Ausgangsbasis seien die Wahlprogramme. Und die wirken mitunter, wie aufeinander abgestimmt: Okay, wenn es morgen um Personal und Finanzen geht, könnte es etwas knirschen. Vor allem wird die SPD zu erklären haben, wie sie angesichts ihres Ja zum strikten Sparen sowohl die folkloristische Konstruktion der Bremerhavener Stadtpolizei aufrechterhalten und 540 neue PolizistInnen einstellen will. Die Grünen gaben da keine Zielzahl aus. Und nicht nur das Programm, auch Bürgermeister Jens Böhrnsen hat den Beschluss, 950 Stellen im öffentlichen Dienst abzubauen, für verbindlich erklärt.
Aber sonst? Selbst dort, wo das mangels anderer Streitfelder außerordentlich hoch bewertete Thema City-Maut einen fast schon greifbaren Dissens der künftigen Koalitionäre ahnen lässt, haben die den Konflikt im Vorgriff schon entschärft. "Eine City-Maut wird es mit uns nicht geben", haben die GenossInnen undiplomatisch formuliert. Die Grünen schreiben dagegen weniger apodiktisch, aber argumentativ stärker, dass Umbau, Instandhaltung und Erneuerung der Infrastruktur "viel Geld" kosten. Um welches aufzutreiben, würden sie gerne "die behutsame Einführung einer City-Maut" nein, nicht vorantreiben, sondern "prüfen" - oder aber "andere Finanzierungsmöglichkeiten".
Wie eine solche Sowohl-Als-Auch-Position in realer Politik aussehen kann, war gerade in dieser Frage gut in Hamburg zu beobachten. Dort hatte die grüne Umwelt- und Verkehrssenatorin Anja Hajduk Gutachten für die City-Maut angefordert und dann ihrem Hang zu Akribie nachgegeben: Mehrfach ließ sie die Expertisen überarbeiten. Erst jetzt wurden sie publik - zwei Monate nach dem Regierungswechsel.
Ungewiss, ob sich die 47-jährige Duisburgerin dadurch für den gleichen Job in Bremen empfohlen hat: Als stellvertretende Fraktionsvorsitzende im Hamburger Parlament fühlt sie sich dem Vernehmen nach unterbeschäftigt, Aussichten auf ein Bundestagsmandat sind mehr als vage. Dass ihre politische Leidenschaft der Haushaltspolitik gilt, ist eine starke Empfehlung. Denn die ist in Bremen längst zur Querschnittsaufgabe geworden.
Seitens der Koalitionsverhandler herrscht allerdings striktes Stillschweigen in Personalfragen. Die werde man "ganz am Ende klären", sagen sie. Und trotz abweichender Wertung des Ergebnisses - Bovenschulte betont den gewachsenen Abstand von stärkster zu zweitstärkster politischer Kraft, während Ella-Mittrenga das Sitzzahlen-Verhältnis der alten und der künftigen Fraktionen vergleicht - gibt es zu Fragen nach konkreten Senatorenzahlen keine Angaben. Es dürfe nicht so aussehen, als ginge es "in erster Linie darum, Posten zu verteilen", kontert Bovenschulte Nachfragen.
Und Ella-Mittrenga wäre schlecht beraten, ihm da zu widersprechen. Gerade weil bei den Grünen hinter den Kulissen fieberhaft nach einer Lösung für die Reinhard Loske-Nachfolge gesucht und auch die Frage diskutiert wird, ob ein verlässliches Eigengewächs oder externer Sachverstand die richtige Lösung wäre. Denn dessen offenkundig nicht an Nachhaltigkeitskriterien orientierter Abgang schadet ihnen in der machtpolitischen Diskussion schwer: Profilierte UmweltpolitikerInnen hatten sie außer Loske keine auf der Liste, bundesweit ist der Markt nach den Regierungsbildungen in Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, dem Saarland und Baden-Württemberg stark ausgedünnt: Solange es ihnen nicht gelingt das identitätsstiftende zweite Ressort mit einer geeigneten Person zu füllen, wird es den Grünen schwer fallen, einen dritten Senatorenposten zu fordern.
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