Weil selbst die Suppen lügen

30 Jahre Bio in Bremen: Ein Gespräch mit Ehepaar Baier von „Kraut&Rüben“ über Rote Beete, doofe Namen und die Ideologie

taz: Bei der Gründung 1975 war Kraut&Rüben der erste Bremer Bioladen. Der allererste bundesweit entstand 1972 in Hamburg, aber Bremen war immerhin unter den ersten zehn Nachgründungen. Wie kam‘s?

Lisbeth Mäder-Baier: Diese Gründungen waren natürlich ein absolutes Politikum, aber unsere Familie war aus gesundheitlichen Gründen auch ganz konkret auf gute Lebensmittel angewiesen. Außerdem suchten wir etwas, wo Robert und ich zusammen arbeiten konnten.

Hatten Sie denn Ahnung von der Materie?

Lisbeth Mäder-Baier: Wir kommen beide von kleinen Höfen, insofern schon. Aber was das Verkaufen angeht: Ich war Medizinisch-Technische Assistentin, Robert hatte das Glück, dass er als Wirtschaftsingenieur etwas von Ökonomie verstand. Ansonsten waren das damals ja alles branchenfremde Leute.

Die ersten Bioläden hießen „Erdgarten“, „Peace Food“ oder „Was die Bäume sagen“. Ihr Name ist nicht ganz so unpraktisch-poetisch, aber mittlerweile auch ziemlich verwechselbar. Haben Sie mal daran gedacht, sich umzubenennen?

Robert Baier: Schon. Allerdings war „Kraut&Rüben“ in Bremen ein Synonym für Naturkost geworden. Es gab mal den missglückten Versuch eines Namenszusatzes – aber das war zu blöd, um das jetzt zu erzählen.

Wirklich?

Lisbeth Mäder-Baier: Das war eine Zeit, in der wir auch Rabatt-Märkchen ausgegeben haben: Zehn Pfennig für alle, die mit dem Fahrrad gekommen sind, weitere zehn, wenn man seine eigene Tasche dabei hatte. Ursprünglich hieß der Laden übrigens „Kraut&Rüben – Überlebensmittel“, aber das klang ein bisschen missionarisch-elitär. Eine Zeit lang haben wir darauf bestanden, uns „Naturkostfachgeschäft“ zu nennen, das war auch furchtbar.

Die Zahl der von Ihnen verkauften Produkte hat sich seit Beginn verzehnfacht. Aber ist es nicht übertriebener Luxus, jedes Fertigprodukt auch in Bio-Qualität anzubieten?

Robert Baier: Gerade bei der Verarbeitung liegt der Hase im Pfeffer, da werden die meisten ungesunden Substanzen zugesetzt. Nicht umsonst gibt es das Buch „Die Suppe lügt“ – wenn Sie eine Bio-Tütensuppe kaufen, ist das etwas ganz anderes.

Aber das Problem ist doch, dass die Ökobilanz vieler Bioladen-Produkte nicht mehr stimmt. Auch wenn sie vor Ort biologisch produziert sind, entstehen Emissionen und Energieaufwendungen durch die weltweiten Transportwege.

Lisbeth Mäder-Baier: Früher hatten wir nur Vollkornbrötchen und im Winter keine Tomaten. Wer das wollte, musste woanders hingehen. Aber es steht niemanden an, anderen etwas vorzuschreiben. Es ist ja die Freiheit der Kunden, die Sachen liegen zu lassen.

Damit geben Sie den Schwarzen Peter an die Konsumenten weiter. Aber die haben, wenn sie im Bioladen sind, ein generell gutes Gewissen und nicht das Gefühl, die Produkte selbst noch analysieren zu müssen.

Robert Baier: Da spielt vieles eine Rolle. Wenn wir Produkte aus Sizilien verkaufen, helfen wir, dort die Landflucht zu verhindern und kleinbäuerliche Strukturen zu erhalten.

Olivenöl zum Beispiel kann mit dem Schiff transportiert werden. Aber Kiwis aus Neuseeland ...

Lisbeth Mäder-Baier: Die Kunden müssen einfach die Wahl haben. Wir haben die Winter lange mit Roter Beete und Möhren verbracht, aber mittlerweile kann ich mir eine Obst-Theke ohne Kiwis nicht mehr vorstellen.

Robert Baier: Wie war das noch beim Yom Kippur-Krieg? Da haben wir keine Datteln aus Israel mehr genommen. Und dann sind dort die Bio-Bauern fast draufgegangen, weil wir eine politische Entscheidung getroffen hatten.

Brauchen Sie Luxus-Produkte aus ökonomischen Gründen?

Robert Baier: Eigentlich nicht. Es geht um die Abrundung der Produkt-Palette. Das entspricht unserem Selbstverständnis als gut geführtes Fachgeschäft.

Was für ein Gefühl beschleicht sie, wenn Sie die wachsenden Bio-Sortimente im Supermarkt sehen?

Lisbeth Mäder-Baier: Unser Slogan hieß immer „Naturkost für alle“ – aber das können die Bioläden allein gar nicht leisten.

Robert Baier: Durch solche Angebote steigt auch das allgemeine Bewusstsein.

Ist „BioBio“ – zum Beispiel bei „Plus“ – denn wirklich bio?

Lisbeth Mäder-Baier: Es entspricht schon dem EU-Biosiegel, aber uns langt das nicht.

Robert Baier: Wenn Aldi anfängt, mit Bio zu handeln, dann gucken sie immer, wo es auf dem Weltmarkt gerade etwas am billigsten gibt. Unser Großhändler hingegen macht langfristige Anbauverträge, um die Nachhaltigkeit vor Ort zu sichern.

Und wie sehen sie die Zunahme von Bio-Supermärkten wie jetzt „Aleco“ in der Neustadt?

Robert Baier: Dahinter stecken die gleichen Strukturen wie bei uns, also private Einzelhändler. Ein Problem sind hingegen Ketten wie „Alnatura“ oder „Basic“: Die haben die Marktmacht, eigene Handelsmarken herauszubringen, die uns jetzt preislich unter Druck bringen.

taz: Was hat sich im Lauf der Zeit noch geändert?

Lisbeth Mäder-Baier: Wenn Demo in Gorleben war, war der Laden samstags zu, weil wir dabei sein wollten. Später haben wir es dann so gemacht, dass der Laden offen blieb, aber der Erlös an die Anti-AKW-Bewegung ging.

Robert Baier: Früher hatten wir auch keine Kasse, das war gegen das Image. Also standen wir da mit unseren Blöcken und haben wie die Weltmeister kopfgerechnet. Als wir ab 1984 einen Taschenrechner benutzten, war das eine Revolution.

Lisbeth Mäder-Baier: Am Anfang war vieles eben ideologisch geprägt, unser Händlerbewusstsein musste sich erst entwickeln.

Apropos Ideologie: Verkaufen Sie auch die Bruno-Fischer-Produkte mit den Bibel-Zitaten?

Lisbeth Mäder-Baier: Das ist so ein Grenzbereich, da kann man nichts machen. Aber ich verkaufe lieber was von der „Zwergenwiese“, das ist eine kleine Manufaktur in Schleswig-Holstein.

Robert Baier: Der plötzliche Tod von Else Fischer, die sehr charismatisch wirkte, war für viele in der Szene ein großer Schock. Kurz darauf wurde die Marke an die DeVauGe Lüneburg verkauft, genauso wie jetzt „Basic“ von anderen übernommen wurde. Das sind wirtschaftliche Prozesse, die fast nicht mehr zu durchschauen sind.

Vor 30 Jahren haben die Leute noch 40 Prozent ihres Einkommens für Lebensmittel ausgegeben, heute sind es nur noch 15 Prozent. Hat sich Ihre Kundschaft im Lauf der Jahre entsprechend verändert?

Lisbeth Mäder-Baier: Das sind zum Teil noch dieselben wie ganz am Anfang.

Robert Baier: Es gab schon immer Sozialhilfe-Empfänger und Studenten, die bei uns kaufen. Auch mit wenig Geld kann man ja Prioritäten setzen.

Lisbeth Mäder-Baier: Ich behaupte, man kann mit fünf Euro für sechs Leute biologisch kochen. Als wir in unseren WGs Haushaltsbücher geführt haben, wurde immer klar: Es ist am teuersten, wenn man überall gemischt einkauft. Dann ist man weniger sorgfältig und schmeißt wahrscheinlich auch mehr weg.

Interview: Henning Bleyl