„Unsere Kirche ist keine Schönheit“

Wegen der schlechten Auslastung der Gotteshäuser und der angespannten Finanzlage denken Pastoren sogar über den Abriss von Kirchen nach

bremen taz ■ 68 Gemeinden, nur noch 242.000 Mitglieder, sinkende Einnahmen – und zu viele Kirchen. So ist die Situation in der Bremisch Evangelischen Kirche (BEK) im Jahr 2005. Was tun? Auf dem zu Ende gegangenen Kirchentag wurde viel gestritten und manches entschieden, auf den Gängen sogar gewagte Ideen diskutiert. Die einen wollen ihr Gotteshaus zur Kulturkirche machen. Die Mutigsten aber, die reden von Abriss.

„In einem Umkreis von drei Kilometern stehen bei uns sechs Kirchen“, sagt Pastor Ingbert Lindemann von der Christophorus-Gemeinde Aumund-Fähr. „Das ist rausgeschmissenes Geld.“ Der Mann kommt auf den Punkt. Aber er ist kein Jammerer, im Gegenteil. Er will keinen „negativen Drive“ in der Diskussion. „Wir haben wirklich Lust auf Zusammenarbeit, wir wollten schon immer über den Tellerrand blicken“, sagt er und klingt überzeugt. Dass nun die Gelder ausgehen, „das beschleunigt diesen Blick lediglich“.

Was den Pastor von vielen Reformwilligen unterscheidet: Er schielt nicht auf andere, er setzt bei sich selbst an. „Ich bin dafür, dass wir Kirchen aufgeben“, sagt er – und meint damit seine eigene. Verkaufen oder abreißen, für ihn wäre beides denkbar. „Ganz ehrlich“, sagt er. „Unsere 50er-Jahre Kirche ist wirklich keine Schönheit. Das gibt sogar der Architekt mittlerweile zu.“

Dass etwas getan werden muss, leuchtet auch Pastorin Ulrike Bänsch ein. Ihre Gemeinde „Aumund reformiert“ ist 200 Meter von „Christopherus“ entfernt, die Gemeindezentren sind nur zu 35 Prozent ausgelastet. Deshalb kooperieren die Gemeinden mit einer dritten: der Stadtkirche Vegesack. Ein gemeinsamer Gemeindebrief, ein geteilter Küster, zweieinhalb statt vier Pfarrstellen, all das könnte Bänsch mittragen, auch den Verlust eines Gemeindezentrums verschmerzen. „Aber wenn es um Kirchen geht, schaden wir uns“, meint sie. „Solche Gebäude sind emotional besetzt.“

Für die Kirche St. Stephani in der Innenstadt kommt ein Abriss nicht in Frage. „Sie ist eine der großen, architektonisch wertvollsten Kirchen der Stadt. Mit einer der kleinsten Gemeinden“, umreißt Louis-Ferdinand von Zobeltitz, leitender Geistlicher der BEK, das Problem. Nun soll die Kirche doppelt genutzt werden. Eine Kulturkirche schwebt den Verantwortlichen vor, mit Raum für Konzerte, Austellungen und Podiumsgespräche. „Die Gemeinde ist bereit, sich vom großen Kirchenraum zu verabschieden“, sagt Zobeltitz. Die Gottesdienste würden dann nur noch im kleineren Raum im Nordschiff stattfinden. „Außer an den hohen Feiertagen“, ergänzt Gemeindepastor Friedrich Scherrer.

Der Geistliche sieht das Projekt in der Experimentierphase. Doch er ist überzeugt, dass die „Kulturkirche“ ebenso kommt wie die Fusion mit den Nachbargemeinden St. Michaelis und Wilhadi. Während Kritiker auf Eigenständigkeit pochen, auch ohne Geld, glaubt Scherrer an bereichernde Synergie-Effekte. Der Pastor ist gar bereit, ab 2006 seinen Arbeitsplatz auf eine halbe Stelle zu reduzieren.

Bleibt nur noch die Frage der kulturellen Nutzung. Sie soll spirituell zum sakralen Raum passen, soviel ist klar. Und sich auch finanziell tragen. Längst führen die Kirchenleute Gesprächen mit der Hochschule für Musik, mit Radio Bremen und der Volkshochschule. Auch die Hochschule für Kunst hat Interesse bekundet. Lediglich die Verhandlungen mit der Kammerphilharmonie sind ins Stocken geraten. Diese wollten St. Stephani als Proberaum nutzen. Als es aber um Nutzungshäufigkeit und um Miethöhe ging, sagt von Zobeltitz, „blieben die merkwürdig still“. Achim Graf