: In die andere als Kleidung klettern
Der Performance-Abend „Being Frances Farmer“ macht aus der Schauspielerin eine Folie der Selbstspiegelung
Ein Bühnenabend, der „Being Frances Farmer“ heißt, erinnert natürlich sofort an den Film „Being John Malkovich“. Hier tat sich in einem Bürogebäude ein Loch in der Wand auf. Wer hineinkletterte, raste durch einen Tunnel und landete schließlich im Körper des Hollywoodschauspielers Malkovich. Die Pointe gab es am Ende, als Malkovich selbst in den Tunnel will: Die Reise ins fremde Ich wird zum Einstieg ins eigene.
Eigentlich erwartet man nun auch auf der Bühne doppelte Böden, Falltüren oder verschiedene Ebenen, um symbolisch in die Haut eines anderen zu steigen. Tatsächlich stehen auf der Bühne des HAU 3 nur drei Mikrofone und ein Diaprojektor, an dem erst mal eine Art Vortrag beginnt. Daten, Biografisches, Fakten werden vorgetragen – Fakten über die Hollywoodschauspielerin Frances Farmer. Die müssen auch sein, denn, Hand aufs Herz, was weiß man schon über Frances Farmer? Performerin Anna klärt auf: Die Farmer galt bereits als neue Greta Garbo, als eine unglückliche Verkettung kleinerer Skandale dazu führte, dass sie 1943 für geisteskrank erklärt wurde. Später arbeitete sie wieder fürs Fernsehen, und dann widmeten Nirvana ihr ein Lied.
Durch freundlichen Moderatorenton gebrieft, kann der eigentliche Abend losgehen. Und da wird in die Lebensgeschichte hineingekrochen, irgendetwas gefunden, damit gespielt, in Gedankenbruchstücke geklettert wie in Kleidungsstücke: Esther, die eben noch den Diaprojektor bediente, pocht nicht lange auf Einhaltung biografischer Genauigkeit. Ursula sucht nach Haltung im schlabbrig grauen Kostüm, das ihre Oberweite nicht füllen kann. Und Gudrun erinnert sich an ihr eigenes Worst-Case-Szenario, einen Tag, an dessen Ende sie zwar nicht wie Frances Farmer barbusig über den Sunset Boulevard lief, aber die einfachsten Alltagsdinge einfach nicht mehr klappten.
Die vier Frauen probieren zwei Strategien aus, sich in der Farmer-Biografie zu spiegeln: Sie übernehmen entweder die körperliche Sicherheit der Diva und lassen dann ihre Gedanken abschweifen – oder sie bewegen sich kantig in der Haut der anderen und gewinnen dann wenigstens eine klare Sprache. „Being Frances Farmer“ setzt neben das Glamourös-Theatrale der Hollywoodwelt ungeniert eine performative Privatheit. Man probiert hier nicht wirklich aus, wie es sein könnte, einmal ein Star zu sein, sondern blickt auf die Ergebnisse des fast psychotherapeutischen Versuchs, unabhängig von einer Traumfabrik ganz bei sich zu sein.
Wie die vier Performerinnen mit angenehmer Geübtheit die Brücken zwischen Realität und Fantasie schlagen – man schaut ihnen gerne dabei zu. Privates wird eingestreut, kleine Monologe gehalten. Dann befragt man sich wieder gegenseitig im Modus des Talk-Theaters. Doch Individualität ist ein prekärer Status: Gerade schien man noch im ewig durchlässigen Umschlagplatz der Identitäten ganz Herr seiner Selbstbehauptung gewesen zu sein, da schlägt einem die Realität wieder ein Schnippchen.
Die vierköpfige Performerinnengruppe „Dorothy Vallens“ zeigte ihr erstes Projekt 2001 im „Atelier Rheingold“, einem ehemaligen Berliner Dominastudio. Schon damals ging es ihnen viel weniger um latexverpackte Erotikfantasien als um die Erkenntnis, dass Sexspiele ihre Quelle im Hirn und nicht im Körper haben. Und so lautet auch das Credo dieses Abends: Jeder ist Produkt seiner ganz eigenen fantastischen Kopfarbeit. In dieser forcierten Selbstbespiegelung ist die Performerin Anna Teresa Scheer am Ende die Einzige, die, halb Nachtklubsängerin, halb Moderatorin, die Fakten einstreut, zu viel Klischee-Innerlichkeit bannt und ein bisschen Down-to-Earth-Stimmung schafft. Und was hat das am Ende mit Frances Farmer zu tun? Nur, dass sie im Unterschied zu Malkovich nicht in ihren eigenen Körper zurückreisen darf. SIMONE KAEMPF
„Being Frances Farmer“. Bis 27. 11.,jeweils 20 Uhr, im HAU 3
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