Von der Mutter verkauft

Seit der Tsunami die Strandregionen asiatischer Nachbarländer zerstörte, steigt der Touristenstrom auf den Philippinen an, auch der Prostitutionstourismus Pädophiler. Pater Shay Cullen kümmert sich in einer Hilfsstation um geschändete Kinder

VON HILJA MÜLLER

In Sabang auf der philippinischen Insel Mindoro lässt sich gut Urlaub machen. An den Stränden wiegen sich Kokospalmen im warmen Wind, das Meer schimmert azurblau und die Korallengärten gehören zu den schönsten im Archipel. Einfache Bleiben für Rucksacktouristen sind ebenso gut gebucht wie exklusive Tauchresorts.

Doch das Tropenparadies hat Schattenseiten. Das nächtliche Jagdrevier männlicher Urlauber aller Alters- und Gewichtsklassen sind die zahlreichen Bars des Strandortes. Grazile Filipinas warten bereits auf die Freier aus Europa, USA oder Japan. Für wenige Euro verbringen sie die Nacht mit dem Fremden, manche lassen sich für den gesamten Urlaub buchen. Viele Frauen sind jung, verdammt jung. „Ich war so angewidert, die feisten Kerle mit den schüchternen Mädchen im Arm zu sehen. Das hat mir echt den Urlaub versaut“, zürnt die Dänin Helle Torngaard. „Und niemand scheint sich drum zu scheren.“

Organisierte Prostitution hat auf den Philippinen eine lange Geschichte. Während der Besatzungszeit durch die Amerikaner und die Japaner in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts etablierte sich eine Sexindustrie, die derzeit mehr denn je boomt. Seit dem verheerenden Tsunami, der Ende 2004 die Strandregionen asiatischer Nachbarländer zerstörte, steigt der Touristenstrom auf den Philippinen an. Der zuständige Minister Joseph Durano bejubelt einen Besucheranstieg von 16 Prozent.

Nichtregierungsorganisationen (NGOs) hingegen schlagen Alarm: Sie registrieren eine Sextouristenschwemme. „Es gibt ganz klar einen Zusammenhang mit dem Tsunami. Uns macht vor allem Sorge, dass auch mehr Pädophile kommen“, meint Maria Remedios Olivares von der Kinderschutzorganisation Ecpat.

Schätzungen zufolge gibt es landesweit bis zu 100.000 Kinderprostituierte, viele sind nicht einmal im Teenageralter. Sie sind eine ebenso billige wie willige Beute für die Kinderschänder, die oft von Verwandten an „Mama-Sans“ (Zuhälterin) oder direkt an die Fremden verkauft werden. In einem bitterarmen und kinderreichen Land wie den Philippinen liege dieser „Erwerbszweig“ nahe. „Die Familie opfert ein Kind, um die anderen zu ernähren“, heißt es bei Ecpat.

Schlagzeilen machte vergangenes Jahr das Treiben eines Amerikaners und eines Deutschen im nahe Sabang gelegenen Hafenort Puerto Galera, wo die beiden sich eingemietet hatten. Dort zwang der 55-jährige Amerikaner eine Elfjährige fast ein Jahr lang täglich zum Sex. Die Gegenleistung für das Martyrium: ein Schwein für den Bruder des Mädchens, ihre Eltern ließen sich das Haus renovieren. Der 61-jährige Berliner trieb es unter anderen mit einer Achtjährigen und gab ihr dafür 150 Pesos, etwas mehr als zwei Euro. Erst als eine Lehrerin stutzig wurde und die Behörden alarmierte, wurde das ganze Ausmaß des Missbrauchs deutlich. Insgesamt zwangen die Männer mehr als zwei Dutzend Kinder zum Sex, oft filmten sie ihre Perversitäten. Verurteilt wurde keiner für seine Taten. Der Deutsche beging Selbstmord, der Amerikaner tauchte unter.

Auch das ist bekannte Realität auf den Philippinen: Pädophile haben kaum etwas zu befürchten. Sollte sich ein Ankläger finden, ebnet Geld Sextätern den Fluchtweg. Zwar sei die Gesetzeslage ausreichend – immerhin droht Kinderschändern bei einer Verurteilung die Todesstrafe –, „doch werden die Gesetze nicht angewandt“, klagt Maria Olivares. Staatsdiener ignorierten nicht nur das widerwärtige Treiben, sondern profitierten auch davon. „Kostenlose Puffbesuche, Schweigegeld – die Sexmafia hat alle im Griff“, weiß ein Insider.

Schätzungen zufolge besuchen allein 300.000 japanische Sextouristen pro Jahr die Philippinen. Wie viele deutsche Männer mögen sich Filipinas kaufen? Pater Shay Cullen weiß: „Es sind verdammt viele. Auf meiner schwarzen Liste ist es die führende Nation.“ Der Ire kam als „naiver Kirchenmann“, wie er selber sagt, vor fast 40 Jahren auf die Philippinen und ist heute der erbittertste und erfolgreichste Widersacher der Pädophilen.

Sein „Einsatzgebiet“ ist Angeles City, das 80 Kilometer nördlich von Manila gelegene Epizentrum der Sexindustrie. Die Stadt mit dem himmlischen Namen ist für tausende Filipinas die Hölle. Besonders begehrt bei Sextouristen sind „Cherries“ (Kirschen), wie Jungfrauen im Jargon heißen. Pater Cullen schafft es gelegentlich, verängstigte Kinderprostituierte zur Flucht aus der „Engelsstadt“ zu überreden. Im nahe gelegenen Olongapo unterhält die von Cullen gegründete Preda-Stiftung ein Heim für missbrauchte Kinder. In dem zweistöckigen Haus schreien, weinen und wüten sich derzeit 37 Mädchen ihre traumatischen Erlebnisse von den geschundenen Seelen. „Wir versuchen, ihnen ihre Selbstachtung wiederzugeben. Viele ekeln sich vor sich selbst, hassen sich und das Leben“, erzählt Cullen. Oft brauche es Jahre, bis die Kinder ein halbwegs normales Leben führen könnten – und sich trauen, vor Gericht gegen ihre Peiniger auszusagen. „Leider verlieren wir die meisten Fälle, weil alles so korrupt ist“, ärgert sich der 61-jährige Ire, der bereits zweimal für den Friedensnobelpreis nominiert wurde.

Von den Seelenqualen missbrauchter Kinder weiß auch Schwester Nida viele traurige Geschichten zu erzählen. Die energische Filipina leitet ein Mädchenheim in Manila, das ebenso wie Preda vom deutschen Hilfswerk „Missio“ unterstützt wird. Maximal 25 Mädchen kann sie aufnehmen, „ein Tropfen auf dem heißen Stein“. Zu den Härtefällen gehört Nicely (die Nette), die sich selbst nur Badly (die Schlechte) nennt. „Nicely kam als 14-Jährige hierher, hatte zwei Abtreibungen hinter sich und ein Baby geboren, dass ihr weggenommen wurde. Sie hatte eine unglaubliche Wut in sich, weil ihre Mutter sie in die Sexclubs schickte und alles Geld kassierte.“ Es habe sehr lange gedauert, ehe der Teenager Vertrauen gefasst habe, „doch jetzt geht sie zur Schule und macht bald ihren Abschluss. Das sind die kleinen Wunder, die uns Kraft geben“, sagt Schwester Nida.

Die Sexmafia ist ein gefährlicher Feind. Shay Cullen saß im Knast, wurde verprügelt und erhält Morddrohungen, vor Schwester Nidas Tür marschierte schon Militär auf. Doch Aufgeben kommt nicht in Frage: „Irgendjemand muss diesen Bastarden doch das Handwerk legen“, sagt der kämpferische Priester aus Irland. „Obwohl es manchmal scheint, als würden für einen angeklagten Sextouristen zwei neue ins Land kommen.“