DIE LINKEN IN ITALIEN SIND MIT IHREM PROTEST NICHT MEHR ALLEIN
: Berlusconis Niedergang

Das geht so wohl nur in Italien: Es ist Generalstreik im ganzen Land – und zugleich ein ganz normaler Tag. Zwar riefen alle großen Gewerkschaftsbünde zum Ausstand auf, zehntausende kamen zu den Demonstrationen gegen Berlusconis Wirtschafts- und Sozialpolitik. Doch weder brach bei der Regierung Unruhe wegen des Massenprotestes aus noch Euphorie bei der Opposition.

Das liegt vor allem daran, dass Generalstreiks in Italien seit über 30 Jahren demokratische Normalität und damit zum Ritual wurden. Wenn es für die Gewerkschaften wirklich um die Wurst geht, streiken sie den ganzen Tag, wie 2002, als Berlusconi den Kündigungsschutz abschaffen wollte. Wenn die Bünde dagegen – wie gestern – bloß vier Stunden die Arbeit ruhen lassen, ist das pure Protestroutine. Eine Routine zudem, die mit Berlusconi zum festen Bestandteil des Kalenders wurde: Schon zum sechsten Mal in nur vier Jahren war gestern „Sciopero generale“. Entsprechend gelassen gibt sich der Regierungschef und lästert über den „unnützen Streik“, der allein auf der „Desinformationspolitik der Linken“ beruhe. Wahr ist: Die Gewerkschaften bringen Italiens Rechtsregierung wirklich nicht um den Schlaf. Berlusconi und seine Minister suchen gar nicht erst den Kompromiss mit den Arbeitnehmerorganisationen: Die bekamen vor der Einbringung des letzten Staatshaushaltes gerade mal ein halbes Stündchen Zeit, um der Regierung ihre Positionen vorzutragen.

Wahr ist aber auch: Die Gewerkschaften sind heute in ihrer Ablehnung der Regierungspolitik längst nicht mehr so allein wie noch vor wenigen Jahren. Selbst der Unternehmerverband pflegt heute kühle Distanz zu einer Rechten, die dem Land vollmundig den großen Aufbruch versprach, heute aber bloß die Misere eines Italien verwaltet, das zum Wachstumsschlusslicht in Europa wurde. Und ebenso wie die Eliten sind Millionen Bürger quer durch die politischen Lager überzeugt, dass die Berlusconi-Jahre Jahre des Niedergangs waren. Um den Generalstreik muss der Regierungschef sich nicht sorgen – wohl aber um den Wahltermin im nächsten Frühjahr. MICHAEL BRAUN