DEUTSCHES WEISSBROT BEIM TANZEN, HÄUSLICHE KOMBUCHA-PRODUKTION, EIN PAAR OSCARS MEHR UND SPACE-JAZZ FÜR DEN NÄCHSTEN SKA-ALLNIGHTER
: Zersägt, gespalten, aufgestapelt

VON JENNI ZYLKA

Man muss den Gaul von hinten aufzäumen, denn vor allem das Wochenende-Ende war der Knaller: Sonntagabend im Haus der Kulturen der Welt bei Jerry Dammers’ Spatial A.K.A-Orchestra ballte sich mir vor Freude ein Rührungskloß im Hals zusammen.

Olle Julia Roberts mag ja in „Pretty Woman“ bei „La Traviata“ heulen, aber gebt mir zwanzig geniale Jazz-Irre in Außerirdischen-Mesopotamien-Ethnokostümen, dazu Space-Deko und Sun-Ra-Filme, und ich kann die Glückstränen wirklich nur mit Mühe zurückhalten. Aber wie sieht das denn aus, wenn man da mitten im Groove von „Intergalactic Jet Set“ sitzt und weint. Wer das Konzert der selten auftretenden Sun-Ra-Tribute-Band also extra verpasst hat, gehört zersägt, gespalten und aufgestapelt. So. Denn man hätte sich denken können, wie gut Ska zum experimentellen Bigband-Jazz von Sun Ra passt – genauso gut wie Swing nämlich. Die vereinzelten Pork-Pie-Hütchen im Publikum schienen zwar anfangs verhalten zu wippen, aber ich bin hundertprozentig sicher, dass nach dem Konzert auch der rigoroseste Rude Boy bereit wäre, beim nächsten Ska-Allnighter ein paar Jazz-Singles in die Two-Tone-Kiste zu schmuggeln.

Fragen ohne Antwort

Vorher war’s übrigens auch schon spitze, Samstag zogen wir unsere tanzfähigsten Schneegleiter an, darüber atmungsaktiven, knitterfreien Stoff, und glitschten los ins Bassy. Und weil man die Zeit, bis die TouristInnen endlich genug geflirtet haben und gemeinsam ins Hostel schwanken, ja irgendwie herumkriegen muss, überlegten wir uns neue Inhalte für die Vogue-Endrubrik „Fragen ohne Antwort“, zum Beispiel: „Tanzen Sie auch zu Songs, die Sie nicht kennen?“ Ich nie, sonst steht man ja bei unbekannten Breaks doof da.

Man steht ohnehin prinzipiell beim Tanzen als deutsches Weißbrot meist eher doof da, es sei denn, man hat Moves wie den „Hihaw Pony“ oder den „Hully Gully“ drauf und kann sie auch noch richtig anwenden. Manchmal vermisse ich tatsächlich den im Hals kratzenden, aber gegenüber ungelenkem Gehampel doch sehr gnädigen Disconebel.

Der Anfang des Wochenendes war bereits mit einem lehrreichen Hamburgbesuch ausgefüllt. Die HanseatInnen scheinen sich – aus Frust über die Gentrifizierer-Spezialitätenläden im Gängeviertel? – immer mehr zu Selbstversorgern zu entwickeln: Der Gastgeber setzte eigenhändig Kombucha an, indem er ein feuerquallenartiges Etwas Wasser und Tee fermentieren lässt und einem das leicht essigartige, erschreckend gesund schmeckende Gebräu zum Frühstück aufdrängte; die Hausherrin kam derweil mit selbstgemachtem Joghurt um die Ecke. Wenn ich nicht so einen schwarzen Daumen hätte und auch der Kefirpilz bereits in den 70ern in meinen hintersten Küchenschrankecken vergammelt wäre, ich täte nichts lieber, als barfuß Weintrauben zu stampfen oder Kräuter der Provence von meiner Kreuzberger Fensterbank zu ernten, dann noch ein bisschen Salz von unserer Haut dazu, und schon kann die atomare Steinzeit kommen, ich bin gerüstet, selbst wenn alle Läden ausgeplündert sind. Ach nein, das ist Quatsch, denn die außerhäusige Fensterbank wäre dann ja auch gestorben, wegen saurem Regen.

Später lief das Wochenende in die Oscarnacht aus und in die wichtige Frage am roten Teppich: „Honey, who are you wearing?“

Was wiederum gut zu dem Einspielfilm am Anfang passte, in dem „Flight“, für den Denzel Washington als drogensüchtiger Pilot nominiert war (und gegen Daniel Day-Lewis verlor), mit Sockenpuppen nachgestellt wurde, die in der Fast-Flugzeugabsturzsszene schreiend in der Waschtrommel herumgeschleudert wurden. Manchmal ist Hollywood ja fast subtiler, als die Polizei erlaubt.