JOSEF WINKLER ÜBER ZEITSCHLEIFE HIN. UND WIEDER ZURÜCK. UND WIEDER HIN. UND WIEDER ZURÜCK. UND WIEDER HIN …
: Driving hin und her for Christmas

Und es begab sich, dass es an Weihnachten ein größeres Rumgegurke wurde. An Heiligabend war ich mit der liebsten A. von München in meine alte Heimat auf dem Land gefahren, um uns dort tagelang mit Gans und Schokoladenbrot zu mästen und mästen zu lassen und zwischen Altefreundetreffen und Verwandtenessen nach Möglichkeit dämmerschlafähnliche Zustände herbeizuführen. Bald war es zwischen den Jahren, und nun strebte die A. ihrer eigenen alten Heimat zu, weit im Norden. Zusammen fuhren wir nach München, um der erkalteten Wohnung einen Abend lang ein Mindestmaß an Wohligkeit abzuringen. Am nächsten Mittag sprang A. in den Nordzug und ich ins Auto zurück in den Chiemgau, wo ich eine möglichst stress- und CO2-arme Gestaltung des Resttages anstrebte, nach all der Rennerei und bevor es morgen zur Berghütte losging.

O wie lachte Freud aus meinem Mund, als ich nach anderthalb Stunden Fahrt das Häuschen guter Freunde ansteuerte, hinter dessen Fenstern es weich nach leisem Kaffeeduft glomm. Ich löste den Sicherheitsgurt, als das Handy piepte. Die liebste A. rief an, ihr Zug musste mittlerweile etwa auf Höhe Würzburg sein. „Du“, klang es belegt, „mir ist gerade was Blödes eingefallen. Ich bin einfach nicht sicher, ob ich heute früh den Heizstrahler im Bad ausgemacht habe.“ Der Heizstrahler.

Einmal hatte ich am frühen Abend ein Gulasch aufgesetzt, und da schmorte es, auf mittlerer Stufe. Später verließ ich die Wohnung, spazierte anderthalb Stunden durch die Stadt, ging endlich ins Kino und sah einen laaangen Film, und erst als ich nach genussvoll ausgesessenem Abspann den Saal verließ, fiel mir mir wie eine Schippe Eiskohlen den Kragen hinunter der Topf Gulasch ein, der seit vier Stunden unbeaufsichtigt in meiner Küche schmorte. Ich erwischte gottlob eine Taxifahrerin – an U-Bahn war nicht zu denken –, die eher so der mütterliche Typ war und beruhigende Sachen sagte, während ich auf der schier endlosen Fahrt neben ihr hibbelte und bibberte, gepeinigt von katatstrophischen Visionen zwischen Rauchschaden und Großbrand. Als wir in meine Straße einbogen, erwartete ich blinkendes Einsatzgefährt, die Rauchentwicklung musste Nachbarn alarmiert haben! Kein Gefährt. Ich stürzte ins Haus! Keine Nachbarn. Ich betrat die Wohnung! Kein Rauch. Das Gulasch schmurgelte wunderbar zart. Ich goss etwas Flüssigkeit an. Und aß es.

Der Heizstrahler also. Klar muss sein: Das Ding ist ausgeschaltet. Mit 99-prozentiger Sicherheit. Aber das Restprozent macht die A. wahnsinnig im Zug bei Würzburg. Und jetzt auch mich im Freundeshäuschen in Traunstein. Ich beweine die kriminelle Absurdität einer Anfahrt von 100 km, um die Stellung eines Kippschalters zu überprüfen. Und überhaupt: Die Abendruhe! Die Zeitverschwendung! Das Klima! Aber was macht mehr CO2: eine Münchenfahrt oder wenn ein alter Heizstrahler fünf Tage lang strahlt? Oder wenn das Haus abbrennt? Und wie entspannend sind vier Tage auf der Berghütte in Erwartung der Radionachrichten über einen Quartiersbrand in Haidhausen?

Zwei Stunden und drei Milchkaffee später bin ich wieder auf der Landstraße. Mein Freund Helmut begleitet mich, und als wir uns München nähern, meint er, es wäre schon irgendwie gut, wenn das Ding jetzt auch an wäre. Wir betreten die Wohnung. Das Ding ist selbstverständlich aus. Wir trinken sehr viel Wein und fahren am nächsten Morgen zurück. Und ich bin mir jetzt auf einmal gar nicht sicher, ob ich die Kaffeemaschine ausgeschaltet habe. Ich schau nächstes Jahr mal nach. Prost.

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