Ich will Alltag sehen

Ich will andere Bilder sehen vom Kontinent. Ich will Stimmen von Menschen hören, die morgens aufstehen, zur Arbeit gehen, ihren Job machen und am Abend wieder zu Hause sind. Ich will Alltag sehen und Normalität, denn nur so lernen wir endlich, unseren Nachbarkontinent Afrika zu verstehen. Oder besser: die vielen Afrikas, denen wir dort begegnen können.

Klar, der Krieg im Kongo ist zu wichtig, um ihn zu vernachlässigen. Und neue Bodenschätze schaffen wieder neue Abhängigkeiten und Konflikte. Im südlichen Teil Afrikas sterben tatsächlich jeden Tag viel zu viele Menschen, weil HIV und Aids nicht wichtig genug sind für die Politik. Und den Hunger gibt es auch, den grausamen Tod, der daraus resultiert, dass Leute nicht ihren nötigen Anteil an der Nahrung erhalten.

Aber die Geschichte von dem Mann und der Frau, die heute essen und morgen nicht, dabei Musik machen oder malen, so alltäglich in so vielen Ländern südlich der Sahara, die wird nicht aufgeschrieben. Das nämlich brächte viel Nähe, und diese wiederum verlangte das Aushalten von Differenz. Würden wir Europäer den Alltag und seine Probleme ernst nehmen, dann wüssten wir, dass die größte Gefahr für die WM-Touristen in Südafrika nicht in der Kriminalität liegt, sondern im Straßenverkehr.

2010 will ich keine Zitate von Taxifahrern lesen müssen. Ich will trotz WM keine staubigen Fußballplätze mehr sehen. Niemand soll mir mit Stämmen und Ethnien kommen, der sich nicht ein bisschen mit Traditionen und ihrem Ursprung beschäftigt hat. Und wer über Korruption redet, soll auch erwähnen, wo das Geld herkommt, mit dem die afrikanische Politik bestochen wird. Ist das schon zu viel verlangt?

MAX ANNAS ist Journalist und Buchautor