Nicht immer Rücksicht nehmen

Elisa Klapheck berichtet in einer spannenden Autobiografie, wie langwierig und schwierig es war, Rabbinerin zu werden

VON Y. MICHAL BODEMANN

Es ist ein Gemeinplatz, dass nach der Wende eine bis dato ungeahnte „Renaissance“ jüdischen Lebens in Deutschland stattgefunden hat. Diese hatte freilich nicht erst mit der russisch-jüdischen Einwanderung nach dem Mauerfall, sondern bereits in den 80er-Jahren begonnen. Nach Micha Brumlik, Julius Schoeps und Michel Friedman, allesamt aus der Nachkriegsgeneration, hat nun auch die ehemalige taz-Redakteurin Elisa Klapheck eine ansprechend geschriebene Autobiografie vorgelegt.

Klapheck, 1962 geboren, wuchs in Düsseldorf auf, wird aber schon mit dreizehn Jahren auf ein Internat in die Niederlande geschickt, um Deutschland, dem Land des Amalek, zu entgehen. Dort wird sie freilich nicht nur als Deutsche, sondern auch als Jüdin diskriminiert. Sie fühlt sich von den Eltern verlassen und als „die Andere“ von den Altersgenossen ausgegrenzt. So kehrt sie anschließend zum Studium nach Deutschland zurück – dem Land, in dem sie sich zwar selten verstanden fühlt, aber nicht auf ungezügelte Vorurteile und Missgunst trifft.

Hier sucht sie nach ihrer Lebensbestimmung. Von nichtjüdischen Mitbewohnern in Hamburg kapselt sie sich unverstanden ab, auch von der Familie ihrer Mutter distanziert sie sich. Denn mit den von der NS-Verfolgung herrührenden permanenten Leiden ihrer Mutter kann sie nicht umgehen.

So distanziert sie sich auch vom Narrativ der „zweiten Generation“ nach der Schoah. Sie sieht sich damals als „nichtjüdische Jüdin“ (Isaak Deutscher) und begegnet mit Distanz und Sympathie ihrem Vater, dem Maler Konrad Klapheck, den man als jüdischen Nichtjuden bezeichnen könnte; sein Engagement im jüdischen Gemeindeleben Düsseldorfs stuft sie hoch ein.

Von der deutschen Linken, von der sie sich nur so lange akzeptiert sieht, wie sie als Jüdin die korrekte Position gegenüber den Palästinensern hergibt, setzt sie sich ebenso ab wie von „lauten“ amerikanischen Juden und und sie verächtlich behandelnden Israelis. Der Ton in den jüdischen Gemeinden ist ihr zu grob und patriarchalisch. Und die linke Jüdische Gruppe stößt sie am Ende deshalb ab, weil diese nicht nur die israelische Politik kritisiere, sondern auch Interesse an religiösen Fragen ablehne. Auf der religiösen Seite wiederum beobachtet sie die ultra-orthodoxe Chabad-Bewegung ebenso kritisch wie die Gemeindesynagogen und die amerikanische Reformbewegung. In beruflicher Hinsicht, beim Tagesspiegel und dann bei der taz, fühlt sie sich nicht immer verstanden und von deren Lesern Ende der 80er zuweilen direkt unter Druck gesetzt.

Hier fragt man sich, womit sie sich dann noch identifizieren konnte, nachdem sie alles andere bereits abgelehnt hat? Doch auf ihrem idiosynkratischen Weg zum Rabbinat finden sich Markierungen zu ihrer heutigen Bestimmung: ihre Schockreaktion auf die „Holocaust“-Seifenoper im Jahre 1979; eine kleine feministische Thora-Studiengruppe in Hamburg; die Entdeckung der jüdischen Bibliothek ihrer Mutter, die deutsch-jüdische Tradition sowohl in der Congregation Habonim in New York als auch in der Ostberliner Gemeinde. All dies wird unterstützt durch zwei weitere Erfahrungen: ihre Arbeit an der Biografie der in Auschwitz ermordeten Rabbinerin Regina Jonas und die organisatorische Mitarbeit an der höchst erfolgreichen feministisch-jüdischen Bet-Deborah-Konferenz im Jahre 1999. Dies und ein oft autodidaktisches Studium führen sie fast zwangsläufig zu ihrer rabbinischen Ordinierung im Jahre 2004. Klaphecks Programm als Jüdin und Deutsche ist nun klar. Wie vordem in New York und Ostberlin ortet sie ihre jüdischen und gerade die deutschen Wurzeln außerhalb ihrer unmittelbaren Umwelt und steht unverdrossen zu dieser Verbindung, die ihr unter vielen Juden wenig Sympathie bringen wird.

Und doch finden sich notwendigerweise Brüche und Aporien auch in dieser sympathischen „biografischen Illusion“ (Bourdieu). Klapheck bewundert Hannah Arendt, kritisiert aber gleichzeitig, dass sich Arendt nicht auch auf talmudische Traditionen bezieht. In einem theologischen Exkurs nimmt sie diesen Einwand auf, indem sie über die Figur des Amalek und dessen Erscheinung in der Schoah reflektiert. Um überleben zu können, muss Amalek nicht nur erinnert, sondern schließlich auch vergessen werden. Mit Arendt lehnt sie den beliebten jüdischen Opferstatus ab und projiziert eine aktive Perspektive, politischer Korrektheit zum Trotz, auch auf andere Minoritäten in Deutschland.

Wo es freilich um konkrete Politik geht, hält sich Klapheck eher zurück, ausgenommen ihre Befürwortung der Golfkriege. Einige Formulierungen bieten Platz für Spekulationen. So schreibt sie: Manchmal dürfe „man […] keine Rücksicht auf die anderen nehmen. Manchmal muss man einfach gehen – in sein eigenes Land gehen, ohne nach links oder rechts zu sehen. Es gibt immer Menschen, die sich in den Weg stellen. […] Wenn sie einen hindern, ist es sogar geboten, sie aus dem Sichtfeld zu vertreiben.“ Ist das auf radikale Siedler gemünzt?

Verblüffenderweise nein – es geht um ihren eignen Weg in Deutschland, auf ihr heutiges Ankommen „in meinem Land.“ So geht es in dieser Biografie vor allem um ihre eigenen Ankünfte: in ihrer eigenen Genealogie, in ihrem eigenen Rabbinat, in ihrem Deutschtum und in ihrem feministisch-jüdischen Projekt, für das sie den biblischen Text neu liest. Weniger erfahren wir, welche gemeinschaftlichen jüdischen Werte sie auf dem Weg zum Rabbinat umgetrieben haben: Gerechtigkeit, gesellschaftliches Engagement – Themen, mit denen sie sich gewiss in der Zukunft auseinander setzen wird. Es spricht alles dafür, dass wir dazu von Rabbinerin Klapheck noch vieles hören werden.

Elisa Klapheck: „So bin ich Rabbinerin geworden. Jüdische Herausforderungen hier und jetzt“. Herder Verlag, Freiburg i. Br. 2005, 192 Seiten, 9,90 Euro