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Intersexualität und die FolgenNicht einfach wegoperierbar

Nicht nur geschlechtlich, auch rechtlich bewegen sie sich in einer Grauzone: Intersexuelle Menschen kämpfen gegen die medizinische Deutungshoheit über ihre Existenz.

Männlein? Weiblein? Nicht jedem Menschen kann man ein konkretes Geschlecht zuordnen. Bild: TimToppik / photocase.com

"Frau Kromminga? Oder doch lieber Herr Kromminga?" Selten sieht man Jochen Taupitz so verunsichert. Egal, wie heikel das Thema auch sein mag, normalerweise weiß er, ob er mit einem Mann oder mit einer Frau diskutiert. Bei "Ins A Kromminga" weiß er es nicht, und ihr (oder sein?) Hinweis, er solle ihn (oder sie?) doch mit Vor- und Nachnamen anreden, hilft dem ansonsten so gewandten Juristen auch nicht weiter: Das sei doch etwas unhöflich.

Diese Episode ereignete sich bei einer Anhörung des Deutschen Ethikrats zur Situation von intersexuellen Menschen. Kaum etwas könnte das Dilemma einer Gesellschaft, für die die bipolare Geschlechterordnung ein ehernes Deutungsmuster ist, sprechender ausleuchten. Akzeptiert wird mittlerweile die gleichgeschlechtliche Liebe, und die Krankenkasse finanziert unter bestimmten Bedingungen sogar die Geschlechtsumwandlung von Transsexuellen, Menschen also, die sich im falschen Geschlecht geboren fühlen. Dass es aber auch solche gibt, die sich nicht eindeutig als "Mann" oder "Frau" positionieren wollen, sondern behaupten, irgendwo "dazwischen" zu sein, löst Irritation aus.

Und Unbehagen, vielleicht sogar Ängste, wenn beispielsweise eine Referentin plötzlich etwas aus der Rolle fällt und von ihren Gefühlen spricht, wenn sie auf ihrem chirurgisch verstümmelten Mikropenis herumrutscht und sich anhören muss, wie man ihren Personenstand rechtlich einholt und ordentlich dokumentiert.

Intersexualität

Intersexualität ist eine Herausforderung für Medizin, Recht und Ethik. Bis in die achtziger Jahre wurden uneindeutige genitale, chromosomale oder gonadische Geschlechtsmerkmale meist schon in frühester Kindheit chirurgisch angepasst oder versucht, die Geschlechtsidentität hormonell zu beeinflussen. Auch heute gibt es unterschiedliche Behandlungsstandards.

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Die Betroffenen wehren sich gegen die Eingriffe und fordern, Intersexualität rechtlich und gesellschaftlich anzuerkennen und entstandene Schäden auszugleichen. Dabei berufen sie sich auf das Diskriminierungsverbot der UN und das Recht auf körperliche Unversehrbarkeit. Umstritten sind nicht nur Zeitpunkt und Reichweite der Maßnahmen, sondern auch die rechtlichen Konsequenzen, die ein "drittes Geschlecht" haben könnte.

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Der Deutsche Ethikrat ist von der Bundesregierung zu einer Stellungnahme aufgefordert und hat unter anderem eine Onlinedebatte gestartet. Eine Befragung Betroffener ist bereits abgeschlossen. (u.b.)

Zwischen die "Intersex"-Stühle

Intersexualität, sagt Ratsmitglied Michael Wunder, der vor einem Jahr anlässlich einer Veranstaltung schon einmal erlebt hat, wie schnell man zwischen die "Intersex"-Stühle geraten kann, ist eine Schnittstelle, an der sich idealtypisch rechtliche und ethische Problemen bündeln.

Wie viele Menschen in Deutschland von einer geschlechtlichen Varianz betroffen sind, ist nicht bekannt und hängt davon ab, was gezählt wird: die Abweichung bei der Geburt oder die spätere Ausprägung. Man geht davon aus, dass bei jeder 5.000sten Geburt eine Disorder of Sex Development (DSD) auftritt; Selbsthilfegruppen sprechen von 80.000 bis 120.000 Betroffenen.

Über deren Lebenssituation ist wenig bekannt, weil es keine Langzeituntersuchungen gibt. Die Bundesregierung ist im Rahmen eines UN-Übereinkommens jedoch gehalten, intersexuellen Menschen ein möglichst selbstbestimmtes und diskriminierungsfreies Leben zu ermöglichen.

Zwangsbehandlung und Verstümmelung sind die am häufigsten gebrauchten Begriffe, wenn Intersexuelle auf die medizinischen Eingriffe zu sprechen kommen, denen sie oft schon in frühester Kindheit unterzogen wurden, um ihr Geschlecht anzugleichen, "eindeutig" zu machen.

Sei es, dass ihnen Hoden oder Eierstöcke entfernt und sie einer lebenslangen Hormonersatztherapie ausgesetzt wurden; sei es, dass eine als zu groß eingestufte Klitoris beschnitten wurde, mit dramatischen Folgen für die sexuelle Empfindungsfähigkeit.

Plastiken wiederum, mit denen die Vagina im Kindesalter wiederholt schmerzhaft geweitet wird, machen die angeglichenen "Frauen" für den heterosexuellen Geschlechtsverkehr verfügbar. Die Behandlungsrichtlinien von Intersexuellen gehen auf den amerikanischen Arzt John Money zurück, der 1955 die frühzeitige operative Geschlechtszuweisung für unabdingbar erklärt hatte.

Stabile Geschlechtsidentität

Die körperliche Angleichung an ein Erziehungsgeschlecht - wobei Jungen leichter in Mädchen zuzurichten sind als umgekehrt - ging mit strikter Geheimhaltung einher. Das trug mit dazu bei, Intersexualität jahrzehntelang in einer Tabuzone zu belassen.

Die frühzeitigen, von Medizinern und Eltern betriebenen Eingriffe können erfolgreich sein in dem Sinne, dass sie zur Ausbildung einer stabilen Geschlechtsidentität führen.

Von den "Zufriedenen" ist wenig bekannt, erst allmählich versuchen Sexualwissenschaftlerinnen wie Hertha Richter-Appelt oder Katinka Schweizer, die am Klinikum Hamburg-Eppendorf forschen, das Dunkelfeld zu erhellen. Eine Umfrage unter 69 Betroffenen besagt, dass 72 Prozent zwar zufrieden mit der frühkindlichen Geschlechtszuweisung sind, aber nur 40 Prozent mit den Behandlungsergebnissen.

Handelt es sich um irreversible Eingriffe, sind die Folgen oft dramatisch, zumal sich manchmal erst in der Pubertät herausbildet, ob etwa ein auf weiblich getrimmtes Mädchen vielleicht doch eher ein Mann ist, dem die Stimme bricht und ein Bart wächst. Deshalb sind Ärzte heute erheblich zurückhaltender mit chirurgischen Korrekturen.

Der Kieler Pädiater Paul-Martin Holterhus fordert spezielle Zentren, die eine präzise Diagnostik und umfassende Beratung bereithalten. Er warnt allerdings auch vor der Strategie des Abwartens, denn auch die Nichtbehandlung kann irreversibel sein, etwa wenn Hormone vorenthalten werden oder eine "falsche" Gonade, was vorkommt, mutiert und einen Krebs entwickelt.

Diana Hartmann ist eine sogenannte AGS-Frau, die sich nicht hat operieren lassen und gegen chirurgische Anpassungen plädiert. Bei AGS bildet sich bei Mädchen beziehungsweise Frauen mit ansonsten unauffälligen Keimdrüsen aufgrund einer Stoffwechselstörung eine vergrößerte Klitoris aus. "Um meine Intersexualität zu entdecken, muss ich aber mein Sexualorgan behalten und damit umgehen lernen."

xy-Frauen

Bianca Claßen von der AGS-Elterninitiative sieht das anders und votiert für eine frühzeitige OP. "AGS-Mädchen", so ihre Erfahrung, "fühlen sich in der Regel auch als Mädchen." Sie räumt aber ein, dass sie einem Geschlecht zugeordnet werden können, nicht müssen.

Julia Marie Kriegler von der Elternvertretung der xy-Frauen schildert eindrucksvoll den Schock, den es für Eltern bedeutet, wenn nach der Geburt ihres Kindes gefragt wird, ob ein Junge oder ein Mädchen im Kinderwagen liegt und man keine eindeutige Antwort geben kann. "Wir konnten ein solches Kind einfach nicht denken", erinnert sie sich. Dann jedoch lernte sie, im sozialen Umfeld offensiv mit dem Problem umzugehen.

Viele Eltern, die weniger sorgsame Begleitung wie die Krieglers erfahren, fühlen sich betrogen, allein gelassen. "Unser Kind", sagt Kriegler, "wurde dann operiert." Aber obwohl sie sich die Entscheidung nicht hätte abnehmen lassen wollen, ahnt sie, "dass sich Intersexualität nicht einfach wegoperieren lässt".

Dem halten intersexuelle Menschen entgegen, dass bei allem Verständnis für die Verunsicherung und den Handlungsdruck, der auf den betroffenen Eltern laste, die einmal getroffenen Entscheidungen von ihnen ausgebadet werden müssten.

Keine der paternalistischen Schutzbehauptungen, sagt Lucie Veith, eine der bekanntesten Streiterinnen an der Intersexfront, rechtfertigten die an Folter grenzenden Eingriffe.

Den Organisierten geht es um gesellschaftliche Akzeptanz ihres So-Seins, um angemessene Gesundheitsversorgung und möglicherweise um einen Schadensausgleich für das erlittene Leid. Wenn Menschen ohne eigenes Zutun verstümmelt würden und der Staat sie nicht geschützt habe, sagt Veith, stehe ihnen eine Entschädigung zu.

Oder lieber gar kein Geschlecht?

Den Betroffenen geht es vor allem darum, die medizinische Deutungshoheit zu brechen. Der Ethikrat dagegen bedenkt die rechtlichen Folgen, die es haben könnte, wenn das Geschlecht nicht mehr eindeutig bestimmbar ist. Soll ein drittes oder sollen gar viele Geschlechter in den Personenstandsdokumenten festgehalten werden? Oder lieber gar kein Geschlecht? Welche Folgen hat das für andere Rechtsbereiche, das Versicherungs- und das Eherecht etwa?

Was die Juristen im Rat umtreiben mag, lässt die Betroffenen eher kalt: "Die Mehrheit der Betroffenen", fasst Daniela Truffer, vom Verein "Zwischengeschlecht" zusammen, "hat mit Personenstandsproblemen nichts am Hut."

Sie kämpfen für das Ende der Genitalverstümmelung, das Recht, selbst über ihre Geschlechtsidentität zu entscheiden. Wann aber dafür der geeignete Zeitpunkt ist, hängt ebenso von jedem Einzelfall ab wie die Frage, wie das Geschlecht heißt, dem ein Betroffener zugehören will: Es gibt eben nicht die Intersexualität, weiß die erfahrene Sexualforscherin Richter-Appelt, sondern viele Geschlechter.

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7 Kommentare

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  • BA
    bitte anonym

    Anstatt des Schulfachs ' Schwul' was fuer Grundschueler in der zweiten Klasse einegfuehrt werden soll ( ? ), sollte man das Schulfach ' Mensch ' einfuehren, wo Kindern gelehrt wird das es ganz viele verschieden ' Menschen' gibt, und nach einer Weile wird ' alles ' ganz normal.

     

    Es kommt alles auf die Erziehung drauf an. Auf unseren Umgang mit unserer Umwelt die wir sehen wie es uns von klein auf gelehrt wird.

     

    Das es Menschen mit verschiedenen Augenfarben gibt; manche habe Blaue, andere Gruene, andere Braune, Schwarze oder Hazel. Es gibt verschiede Haarfarben, Blond, Rot, BraunN schwarz und Weiss. Es gibt Menschen die ganz klein sind, Zwerge und es gibt Riesen. Auch Menschen mit verschieden Hautfarben; manche sind sehr hell, andere Olive andere Braun, und manche sogar dunkel Braun.

     

    Manche Menschen haben Locken, andere ganz glatte Haare, aber es gibt auch Menschen denen gar keine Haare am Koerper wachsen.

    Es gibt auch Menschen die fast Weisse Haut haben und ganz Weisse Haare und sehr helle Augen.

    Dann gibt es Menschen, die sind Maenner und haben einen Penis. Und wie Frauen, die haben eine Vagina. Und Menschen, die sind Mauen, die haben beides, einen Penis wie Maenner, und eine Vagina wie Frauen.

    Menschen kommen in verschiedenen Variationen...

     

    Es kommt alles auf die Erziehung an, wie einem Kind es erklaehrt wird, das es verschiedene Menschen gibt, genauso wie Baeume ...

  • K
    Kalle

    Au Mann, das ist vielleicht wichtig, ob man die Operation, der manche Transsexuelle sich unterziehen als Umwandlung oder als Seifenkiste bezeichnet... finden speziell Intersexuelle sicher auch total interessant... (deren Problem das nicht ist; aber Hauptsache, man kann sich immer und überall in den Vordergrund drängen)

     

    Aber wo wir schon mal dabei sind:

     

    @ Kim:

    Wenn es nichts umzuwandeln gibt, wozu ist dann die Operation überhaupt nötig? Und haben Transsexuelle, die eine Operation wünschen, offenbar nicht kapiert, was gut für sie selber ist und brauchen erstmal n paar Nachhilfestunden von Kim?

     

    @Tim:

    Was Leute wie Kim angeht, kannst Du ruhig 100% der Korrektheit opfern. Auf solche Krawallnasen, die denken, man bekommt umso mehr recht, je lauter und penetranter man sich beschwert, darf man erst gar nicht eingehen.

  • TH
    Tim H

    @Kim Schicklang:

    Durch das Wort "transphob" bin ich aufgehorcht. Ich verstehe den Ärger über das unpassende Wort "Geschlechtsumwandlung" finde aber ehrlich gesagt, dass ist ein "Luxusproblem".

     

    (Bitte jetzt erst die Welle der Empörung abebben lassen und meine dann meine Erklärung verstehen.)

     

    Eine Umwandlung bedeutet natürlich, dass es von einem Zustand in einen anderen geht. Ob nun jemand, der im falschen Geschlecht geboren wurde, sich umwandeln lassen kann ist für mich strittig. (biologisch gab es dort ein Geschlecht, das wird geändert. Umwandlung?).

     

    Letztlich ist das Problem für mich "Luxus", da ich das Gefühl habe, dass Transsexualität noch vielen Menschen "unheimlich" oder "fremd" ist.

     

    Natürlich können wir uns nun auch streiten wie man Leute 'überzeugen' kann. Geht man gleich ganz korrekt vor ("Richtigstellung des biologischen Geschlechts") oder holt man die Leute dort ab, wo sie im Geiste stehen ("Umwandlung des Geschlechts").

     

    Ich persönlich denke die zweite Methode ist erfolgreicher, da sie weniger Ablehnung verursacht, ja sogar dem allgemeinen Verständnis entgegenkommt und Vorurteile abbaut.

     

    In einem Satz: Ich opfere gerne einen kleinen (!) Teil der Korrektheit zugunsten des Verständnisses.

     

    :)

  • F
    Frank

    @ Daniel Horvarth:

     

    Woauch immer Sie diesen Kontext herbeizaubern, im Text steht nichts von einer Religion o.ä.

     

    Also mal nicht ganz so schnell schießen. Danke.

  • KS
    Kim Schicklang

    Das die TAZ desöferen transphobe Artikel veröffentlicht, ist ziemlich ärgerlich. Ärgerlich ist auch dass solche Sätze immer noch verbreitet werden:

    "Geschlechtsumwandlung von Transsexuellen"

    Wer an Geschlechtsumwandlungen glaubt und zugleich so tut, als ob er an dem Schicksal intersexueller Menschen interessiert ist, verrät damit, dass da irgend etwas nicht ganz ehrlich gemeint sein kann. Eine transsexuelle Frau kann sich z.b. zwar als Frau outen (von der sie weiss, dass sie eine ist), aber sie kann kein Mann gewesen sein. Geschlecht ist nicht einfältig, sondern vielfältig. Wenn man das aber versteht und akzeptiert, dann kann man nicht zugleich "Geschlechtsumwandlungen" predigen. Weniger Adam-Eva-Vorstellungen im Kopf wären doch auch mal was, oder?

  • W
    werkor

    Blödes Stück. Die taz ist immer i.d.R. ein Garant für ausgewogene Argumentation, aber mit Sicherheit nicht für die weibliche Sexualverstümmelung im Kontext islamischer Länder. Ich meine, du wirst keinen einzigen Beschäftigten bei der taz finden, der sagen würde: Naja, der kulturelle Pluralismus muss an dieser Stelle wie eine besondere Krötenart geschützt werden.

  • JN
    ji nahin

    Dass sich die Taz von einfachen Pauschalisierungen und Religionshetze fern hält und auf einer Distanz bleibt die für eine aussenstehende Kultur meiner Meinung nach angebracht ist und das Faktum der Diversität mehr wahrt als pseudo- linke Realitätsverschieber die auf Feindbilder angewiesen sind, finde ich für eine Zeitung die einen gewissen Anspruch an Wahrheit hat und in einer so perversiert- entfremdeten Welt des Menschen existiert, mehr als legitim.