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Bloggender ReligionskritikerEinmal Muslim, immer Muslim

"Wir leben wie im Gefängnis", sagt der marokkanische Blogger Kacem El Ghazzali. Weil er im Internet auch noch Religionskritik wagt, fordern Islamisten nun seinen Tod.

Besuchte einst eine Koranschule und stellte danach kritische Fragen: Kacem El Ghazzali. : privat

MADRID taz | Heute ist ein guter Tag für Kacem El Ghazzali. "Es ist endlich so richtig schön warm hier", schwärmt der junge Mann in der Videokonferenz. Während alle um ihn herum stöhnen, ist er einfach nur glücklich. Der 21-Jährige stammt aus Bouderbala, einem kleinen Dorf unweit der marokkanischen Stadt Meknes. Kalter Winter und verregnetes Frühjahr in der Ostschweiz sind gar nicht nach seinem Geschmack. Doch klagen will er nicht. Denn die Helveten haben ihn aufgenommen und so vor der Verfolgung in seiner Heimat gerettet. Der junge Berber bekennt sich auf seinen Blogs zum Atheismus und kritisiert auf Arabisch und Englisch die islamische Religion, schloss sich nationalen und internationalen Bürgerrechtsorganisationen an. Das brachte Behörden und Islamisten gegen ihn auf. Er kannte nur noch einen Ausweg. "Ich floh im Februar in die Schweiz und habe einen Asylantrag gestellt", berichtet er mit gedämpfter Stimme.

El Ghazzali ist bekannt, zu bekannt. In internationalen Internetforen verlangen radikale Islamisten seinen Tod: "Als ich Anzeige erstattete, forderten mich die marokkanischen Behörden auf, alle Blogs zu schließen. Sonst könnten sie mich nicht schützen." Und schlimmer noch: "Gegen die Religion zu reden, wird in Marokko als Werbung für andere Religionen ausgelegt. Das steht unter Strafe." Die Geheimpolizei ließ keinen Zweifel daran, was mit einem wie ihm passieren kann. "Es sei durchaus möglich, dass mich ein Drogendealer oder ein Kleinkrimineller tötet. Das würde dann nicht nach Verfolgung aussehen, warnten sie."

Die Geschichte von Ghazzali beginnt 2007. Erstmals wurde er im Netz aktiv. Er berichtete unter Pseudonym über seine Zweifel am Glauben. El Ghazzali stammt aus einer sehr religiösen, sufistischen Familie. "Mein Vater wollte, dass ich eine Laufbahn zum Vorbeter oder islamischen Rechtsgelehrten einschlage", erzählt der Sohn eines Zahnarztes. El Ghazzali gehorchte drei Jahre. Er besuchte eine Koranschule, lernte unzählige Suren auswendig. "Debatte, Kritik war nicht zugelassen." Das widersprach so ganz der Art von El Ghazzali, der am Gymnasium begeistert Philosophie und Mathematik lernte.

Schließlich verließ er die Koranschule. Nach langem innerem Streit begann er die Religion als solche zum Thema zu machen. Obwohl der Sufismus nicht die orthodoxeste aller islamischen Strömungen ist, hat auch sein Vater kein Verständnis für den Jungen. "Ich würde seinem Ansehen schaden", erzählt El Ghazzali.

Bedroht auf Facebook

Als er zu schreiben begann, war er "eher Agnostiker als Atheist". Er stellte philosophische Überlegungen an. Kritisierte Auswüchse der Scharia im Iran und anderen Ländern. Das reichte schon. Nach nur einem Jahr bedrohte ihn jemand auf seiner eigenen Facebookseite. "Ich weiß bis heute nicht, wie sie auf meine wahre Identität gekommen sind", sagt er. Er trat die Flucht nach vorn an und bekannte sich mit vollem Namen zum Blog.

"Nach kurzer Zeit wusste alle über mich Bescheid. Die Lehrer auf dem Gymnasium begannen gegen mich zu hetzen." Sie brachten ihn mit den Mohammed-Karikaturen in Zusammenhang, nannten ihn wahlweise "Ungläubiger", "Jude", "Feind des Islams und von König Mohamed VI.", der per Verfassung "Führer aller Gläubigen" ist.

Eines Tages eskalierte die Situation. Der Direktor schlug ihn. Mitschüler bewarfen ihn mit Steinen. Als El Ghazzali im vergangenen Oktober dem Nachrichtensender France 24 Rede und Antwort stand, häuften sich die Drohungen. Er tauchte bei Freunden in verschiedenen Städten Marokkos unter. Als er wieder Drohanrufe bekam und die Stimmen am anderen Ende keinen Zweifel daran ließen, dass sie ihm dicht auf den Fersen waren, floh er in die Schweiz.

"Die Religionsfreiheit ist eine persönliche Freiheit, die in Marokko nicht respektiert wird", resümiert El Ghazzali. Auch in der restlichen arabischen Welt sehe es nicht anders aus. "Wir leben wie im Gefängnis. Wir leben als zwei Personen in einer. Nach außen werden wir gezwungen religiös zu sein, obwohl wir es nicht sind", erklärt er. In der arabischen Welt gilt: Einmal Muslim, immer Muslim. "Wir sind Tausende", weiß El Ghazzali. Seit es Facebook gibt, treffen sich viele ehemalige Muslime in geschlossenen Foren. "Dank der neuen Medien sehen wir, dass wir nicht alleine sind, das tut gut", sagt El Ghazzali.

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8 Kommentare

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  • DZ
    Daniel Zwygart

    @ Hans Höfer: Gehe mit Ihnen grösstenteils einig. Die These, wonach (vor allem die islamische) Religion keinen Einfluss auf die Integration hat, wage ich jedoch anzuzweifeln...versuchen Sie mal, mit Moscheebesuchern Deutsch zu sprechen! ;)

  • S
    Seneca_Nero

    Ich schließe mich Fritz Schmude an.

     

    Weiter so liebe taz!!!

  • FS
    Fritz Schmude

    Heute muss ich vor der taz meinen Hut wirklich bis zum Boden ziehen: Wenige Tage nach Oslo, also in einer Phase, in der sich manche Linke mehr denn je genötigt fühlen, alles, was irgendwie contra Islam sein könnte, in die Nazischublade zu stecken, habt Ihr den Mut und die Freiheit einen islamkritischen Artikel zu bringen.

     

    Es gibt auf der Welt nicht viele Journalisten, die zwischen Nazis einerseits und Islamisten andererseits eine Islamkritik, die aus Humanismus folgert, nachvollziehen und befördern können.

     

    Macht weiter so. LG, fs

  • R
    Randbemerker

    @Hans

    Tja warum wohl tun sie dies alles?

     

    Ich nehme an einem an christlicher Religion erkrankten Menschen sind andere Kranke eben näher als wir gefährlichen Atheisten.

    Die intelektuelle Auseinandersetzung wird sich hoffentlich irgendwann auf die wichtige Debatte Religion vs freies Denken verschieben anstatt darauf welche psychiatrische Erkrankung das kleinere und welche das größere Übel darstellt.

    Aber die Idee der säkularen Feiertage finde ich prima, ich würde als erstes den 12. Februar ( Darwins Geburtstag) oder den 22. November (Veröffentlichung von On the Origin of Species) als Tag des Rationalismus Vorschlagen.

  • HH
    Hans Höfer

    @camilo: Selbstverständlich können alle Immigranten Integrationsprobleme haben! Auch ein atheistischer Türke spricht oder lernt nicht automatisch besser deutsch als ein muslimischer. Das Studium eines agnostischen Iraners wird in Deutschland nicht automatisch leichter anerkannt als das eines islamischen. Die Kulturen der verschiedenen Länder sind so unterschiedlich, daß es mitunter schwierig ist, sich einzuleben. Daraus können selbstverständlich Integrationsprobeleme erwachsen. Das hat nichts damit zu tun, ob jemand religiös ist oder nicht. Ich habe einige Bekannte aus Südamerika, alles "Nicht-Christen" aus katholischen Ländern, die jetzt bei uns leben, studieren, arbeiten. Meinen Sie, die haben prinzipiell keine Integrationsprobleme? Wäre mir neu...

  • C
    camilo

    @hans: haben (humanistische) atheisten aus dem orientalischen raum eigentlich integrationsprobleme? wäre mir neu...

  • P
    Piet

    Und jetzt alle:

     

    "Islam ist Friiiede!"

  • HH
    Hans Höfer

    Wann lernen deutsche Politiker und Behörden, daß nicht alle Menschen aus arabischen und benachbarten Ländern zu uns gekommen sind, Muslime sind?

     

    Ich kenne einige Türken und Iraner, die überzeugte Atheisten sind. U.a. deshalb leben sie lieber hier!

     

    Aber Politiker aller Parteien glauben, daß Integrationsprobleme von Menschen aus der arabischen Region vor allem Probleme der Religion seien.

     

    Sie organisieren "Islam-Konferenzen" (ohne Islam-Kritiker), fordern Islam-Unterricht an den Schulen (statt der Abschaffung des christlichen) oder fordern die Einführung islamischer Feiertage (statt die christlichen durch säkulare zu ersetzen).