Schweinswal in Not: Mehr tot als lebendig
In Nord- und Ostsee nimmt die Zahl toter Kleinwale zu. Wissenschaftler befürchten Aussterben. Fischereiverbände wehren sich gegen Schuldzuweisungen und neue Schutzgebiete.
FEHMARN taz | Die Zahl der tot aufgefundenen Schweinswale in der Ostsee steige durchaus an, räumt Ulrich Elsner ein. "Das nimmt leider zu", sagt der Geschäftsführer der Küstenfischer Nord Genossenschaft in Heiligenhafen am Fehmarnsund. Viele der Kleinen Tümmler würden mit Verletzungen durch Schiffsschrauben oder Netze angeschwemmt, etliche würden die Fischer auch als ertrunkenen Beifang in ihren Netzen finden. Aber wo mehr tote Tiere, da seien wohl auch mehr lebende: "Die Population nimmt offenbar zu", vermutet Elsner.
Im Gegenteil, sagt Harald Benke. "Nur mit sofortigen Schutzmaßnahmen" sei das Überleben der einzigen heimischen Walart zu sichern, erklärt der renommierte Schweinswal-Forscher und Direktor des Stralsunder Meeresmuseums Ozeaneum. Nach neueren Zählungen hat sich die Population in der westlichen Ostsee binnen elf Jahren von 28.000 auf 11.000 Tiere mehr als halbiert (siehe Kasten).
Der Hauptgrund sei, dass immer mehr der Kleinen Tümmler in Fischernetzen ersticken oder ertrinken. Vor allem an der Ostsee sei "eine starke Zunahme der Totfunde" zu registrieren, mindestens die Hälfte der Kadaver habe Verletzungen durch Netze aufgewiesen. Benke befürchtet, dass bis zu acht Prozent des Bestandes jährlich als Beifang endet. Wie lange überhaupt noch Kleinwale in der Ostsee leben würden, könne sich somit "jeder leicht selbst ausrechnen".
Der Schweinswal (Phocoena phocoena) ist die einzige in Nord- und Ostsee heimische Walart.
Bestand Ostsee: Nach jüngsten Schätzungen leben in der westlichen Ostsee zwischen den dänischen Inseln und der Linie Rügen-Bornholm noch etwa 11.000 Schweinswale und in einer getrennten Population zwischen Schweden und dem Baltikum etwa 600 weitere. In Kattegat und Skagerrak wird der Bestand auf etwa 100.000 Tiere geschätzt.
Bestand Nordsee: In der gesamten Nordsee zwischen Norwegen, Shetland-Inseln und Ärmelkanal dürfte der Bestand bei bis zu 200.000 Exemplaren liegen, davon etwa ein Drittel vor der deutschen Westküste.
Der einzige Ausweg sei, mehr Schutzgebiete mit massiven Beschränkungen für die Fischerei auszuweisen, so Benke. Bislang ist nur ein etwa 1.400 Quadratkilometer großes Walschutzgebiet vor den nordfriesischen Inseln Sylt und Amrum ausgewiesen. Zudem gibt es vor norddeutschen Küsten mehrere Schutzzonen nach den EU-Richtlinien Natura 2000 und Flora-Fauna-Habitat mit geringeren Einschränkungen für die Fischerei.
Naturschützer kritisieren, dass die meisten Meeresschutzgebiete "eh nur auf dem Papier" existieren würden. Oft fehlten präzise Managementpläne, Überwachungen und Sanktionen. Nach Ansicht des Verbandes der deutschen Kutter- und Küstenfischer jedoch gehen diese Regelungen schon weit genug. "Die bestehende Fischerei nach Art und Umfang fortsetzen" gehört deshalb zu den "Maßnahmenvorschlägen", die der Hamburger Verband Mitte Juli zum Fischereimanagement in Natura-2000-Gebieten in Nord- und Ostsee formuliert hat.
Zudem verlange die EU, dass zum Schutz der Schweinswale Stellnetze mit sogenannten Pingern versehen werden müssten: "Diese gewährleisten einen ausreichenden Schutz der Population", heißt es im Positionspapier der Kutterfischer: "Es gibt keine Veranlassung, über diese Schutzmaßnahmen hinauszugehen."
Pinger sind batteriebetriebene Geräte, deren regelmäßige Alarmtöne Schweinswale und andere Meeressäuger wie Seehunde oder Kegelrobben vor den großen Fangnetzen warnen sollen. Allerdings sind sie umstritten. Ozeaneum-Direktor Benke findet sie zu laut: "Die verscheuchen die lärmempfindlichen Schweinswale aus den Schutzgebieten - das kann nicht Sinn der Sache sein." Andererseits scheinen die Kleinwale gelernt zu haben, wo Pinger lärmen, zappelt leichte Beute im Netz - in dem sie sich dann oft selbst verheddern.
Gretel Flindt bestätigt dieses Verhalten zumindest für Seehunde und Robben: "Da holen sich welche gezielt Fische aus den Netzen", weiß die Geschäftsführerin des Landesfischereiverbandes Schleswig-Holstein. Für Elsner sind Pinger vor allem zu wartungsanfällig und bei einem Stückpreis von bis zu 100 Euro zu teuer. Die 38 Mitgliedsbetriebe seiner Genossenschaft hätten kürzlich an die 150.000 Euro für Pinger ausgegeben - ohne Chance auf Amortisierung. "An die Verbraucher können wir das wegen der Preiskonkurrenz nicht weitergeben", sagt Elsner: "Auf den Kosten bleiben wir sitzen."
Auch deshalb hält er von Schutzgebieten nichts: "Die machen doch nur die kleinen Küstenfischer kaputt", glaubt er. Deshalb würden immer mehr Fischer aufgeben: "Wir haben wenig Verdienst, kaum eine Perspektive und in der Öffentlichkeit auch noch ein mieses Image", sagt Elsner: "Da kann man schon die Lust verlieren."
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