piwik no script img

Minister Friedrich und die AnonymitätDas wird man doch mal sagen dürfen

Es ist Sommer und die Union schürt mal wieder die Angst vorm angeblich gefährlichen Internet. Irgendein politischer Profit wird sich daraus schon ziehen lassen.

Wer bloggt denn hier im Dunkeln? Bild: dapd

Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich hat mal wieder so richtig schön aufgedreht: In einem Spiegel-Interview schlägt er vor, wegen der Attentate von Norwegen die Anonymität im Netz einzuschränken. Im Dienste der "demokratischen Auseinandersetzung", fordert Friedrich darin, müssten Blogger "mit offenem Visier" argumentieren. Dafür hat Friedrich das kassiert, was er schon im Interview prognostizierte: "wüste Beschimpfungen" der "Netzgemeinde".

Die Bürger, die sich dort in Blogs und auf Twitter äußern, haben – wie so häufig, wenn die Union netzpolitische Vorschläge vorlegt – gute Gegenargumente. Erstens: Innenminister Friedrich ignoriere, dass es in Deutschland bereits eine Impressumspflicht gibt, der zufolge Blogger Namen und Anschrift preisgeben müssen.

Zweitens: Friedrich versucht den Eindruck zu erwecken, dass eine deutsche Anti-Anonymitätsregelung das World Wide Web von "radikalisierten, undifferenzierten Thesen" anonymer Blogger befreien könnte. Als würden deutsche Politiker die Regeln für das Internet diktieren.

Klarnamen gegen "Geistige Sauce"?

Ganz abgesehen davon, dass es, drittens, mehr als fraglich ist, ob Bloggen unter Klarnamen das verhindern kann, was Friedrich kritisiert – nämlich, dass sich "politisch motivierte Täter wie Breivik" im Netz "von Blog zu Blog hangeln" und "sich nur noch in dieser geistigen Sauce" bewegen. Schließlich zitierte – wie auch immer man das abschließend bewerten mag – Breivik zahlreiche Blogger, deren Klarname noch nie ein Geheimnis war.

Kein Problem für Friedrich: Es gebe keine Pläne, gegen Anonymität im Internet vorzugehen, stellen seine Sprecher gleich am Montag klar. Und, dass es ein Missverständnis sei, Friedrichs Äußerungen so zu interpretieren. Also alles nur ein rhetorischer Testballon. Wird man ja wohl noch mal vorschlagen dürfen!

2009 war's die Netzsperre

Überraschend ist weder Friedrichs kritische Haltung zu einem offenen freien Internet, noch der Zeitpunkt seines Vorstoßes: Schon das dritte Jahr in Folge versucht die Union ein großes netzpolitisches Thema ins Sommerloch zu platzieren. Zum ersten Mal 2009 – als Ursula von der Leyen vorschlug, "Kinderpornografie" mit Hilfe von "Netzsperren" aus dem Internet zu tilgen.

Netzaktivisten mobilisierten in den Sommermonaten, schnell wurde klar, dass die vorgeschlagene Maßnahme kaum ihrem angeblichen Zweck dienen würde. Pünktlich zum Herbst wurde der Streit leiser, eine entsprechende Gesetzesvorlage nur noch spärlich diskutiert – und irgendwann stillschweigend versenkt.

2010 war der Sommer mit Street view

Im Jahr 2010 war die überzogene Datenschutzdebatte über das Abbilden von Häuserfassaden bei Google Street view dran. Im Vergleich zum Vorjahr ein harmloser Streit. Aber hey, so demonstrierte die Union, dass sie sich sehr wohl mit Internetthemen beschäftigt, sogar Google mutig die Stirn bietet!

Positiver Nebeneffekt: Das Thema war im Herbst schon so totdiskutiert, dass man sich wieder Wichtigerem zuwenden konnte – aufgeschreckten Bürgern blieb ja noch die Möglichkeit, bei Google Widerspruch einzulegen.

2011 also Pseudonyme ...

Im Jahr 2011 ist nun also die Anonymität im Netz der netzpolitische Sommerlochdiskurs der Wahl. Gerade jetzt, wo selbst das neue Soziale Netzwerk Google+ reihenweise Nutzer rauswirft, die Pseudonyme nutzen. Warum das nicht einfach mit den Attentaten von Norwegen kombinieren und für einen Vorstoß instrumentalisieren, der beim wenig netzaffinen Wählerklientel bestimmt gut ankommt?

Wenn der Innenminister und seine Unionskollegen Glück haben, funktioniert ihr Sommerlochtrick auch dieses Jahr. Dann lassen sie die Netzbürger sich an diesen Anti-Anonymitäts-Ideen noch ein paar Wochen lang argumentativ abkämpfen. Und im Herbst wird sich zeigen, ob deren Aufmerksamkeitsspanne länger ist als die 140 Zeichen eines Tweets.

Wenn sich die aufgeheizte öffentliche Debatte abgekühlt, alle Argumente dreimal wiederholt sind, kann man entweder ein entsprechendes Gesetzesvorhaben backen. Oder man nutzt die Phase, in der die breite Öffentlichkeit bei Netzgedönsthemen übersättigt abwinkt, um das Internet gemäß der eigenen Vorstellungen zu regulieren. Ohne viel Reingequatsche. Perfekte Kandidaten dafür: sperrige, unsexy Themen wie Netzneutralität und digitale Urheberrechte.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

14 Kommentare

 / 
  • B
    Bitbändiger

    Nun ja, mein guter @Jappie,

     

    wenn *Sie* (soviel Höflichkeit muss noch sein, wir sind hier nicht bei BLÖD!) so kenntnisreich wären, wie Sie den Eindruck erwecken wollen, wüssten Sie, dass es (1.) jetzt einigen Aufwands bedarf, die Personalien eines Internet-Teilnehmers in Erfahrung zu bringen (auch wenn kriminelle Abzock-Anwälte das gern auf sich nehmen), dass es (2.) dem Kenntnisreichen keineswegs unmöglich ist, seine Identität zu verschleiern (abgesehen von dem geradezu primitiven Ausweg, sich an fremdem oder öffentlichen Gerät einzuloggen), und dass (3.) das Internet schon deshalb ein rechtsfreier Raum ist, weil Kriminelle problemlos von Ländern aus (gar nicht so weit von hier!) operieren können, deren Rechtsverständnis nicht unbedingt allen zivilisatorischen Ansprüchen genügt.

     

    Im übrigen sind wir uns bezüglich des Herrn Friedrich einig.

  • K
    Ökomarxist

    Solange man keine rassistischen,beleidigende oder diskriminierende Äußerungen im Netz verbreitet brauchen wir keine schärferen Gesetze.Im Internet herrscht nämlich Anarchie. Hier kann jeder wenn er die besagten Regeln einhält,seine Meinung frei äußern. Mit diesen neuen Gesetzen von Herrn Friedrich würden wir nämlich in einen Überwachungstaat leben.

     

    "Diejenigen, die bereit sind grundlegende Freiheiten aufzugeben, um ein wenig kurzfristige Sicherheit zu erlangen, verdienen weder Freiheit noch Sicherheit."

     

    Benjamin Franklin(1706-1790 )

    US-amerikanischer Staatsmann,Naturwissenschaftler und Schriftsteller (Wikipedia)

  • O
    ole

    Kontrolle und Überwachung.

    Darum geht es Friedrich und Konsorten. Nicht um die Kriminalitätsbekämpfung. Denn anonym und nicht identifizierbar sind Hinz und Kunz längst nicht mehr, wenn BKA und andere Organe es nur wollen.

     

    Das ist Panikmache und populistischer Unsinn, gerichtet an naive Wähler, dumme User und brave "Bürger" mit Untertanengeist.

  • R
    Robert

    Man vergleiche mal das anonyme Spaßnamenforum der SZ und das Klarnamen-Forum der FAZ miteinander. Also ich kann da sofort Differenzen sehen, die wohl kaum auf eine völlig anders oder nicht gebildete Leserschaft bei der SZ zurückzuführen sein dürften.

     

    Natürlich ist ein Klarnamen-Internet nicht (mehr) zu realisieren, aber eine EHRLICHE UND FAIRE Diskussion über diese angeblich so segensreiche und unvermeidbare Anonymität und ihre Folgen ist schon lange überfällig.

     

    Demokratie und Menschenrechte waren, sind und bleiben an Menschen gebunden. Und müssen von diesen auch geschaffen und verteidigt werden. Was sind anonym wabernde, sich jeder Verantwortlichkeit entziehende Wort- und Bilderketten, deren Erschaffer oder Plagiatoren nicht erkennbar sind, denn wert? Was ist mit einem Menschen los, der heute als Kawumpel diese Ansicht "vertritt" (besser:ins Internet kippt) und morgen als GottNr.24 die gegenteilige? Ich würde ja vermuten, daß er oder sie mehr als nur ein gewaltiges Problem hat.

     

    Dieses Internet ist vieles. Prof.Joseph Weizenbaum sprach u.a. vom größten Müllplatz der Erde.

     

    Nach Liebesmarsch oder auch Karneval der Kulturen(!) der Welt sehen die betroffenen Berliner Straßen jedesmal wie Müllhalden aus. Könnte man mal fragen, ob das nicht doch irgendwie auch mit der Anonymität zusammenhängt.

  • DF
    der finne sein kater

    ...mal ganz davon abgesehen, dass der Begriff "Rechtsfreier Raum" schon an sich völlig bekloppt ist. Es handelt sich eben NICHT um einen Raum, sondern um ein Netz. Ich sag ja auch nicht: "Schau mal die Spinne da in ihrem Spinnenraum" -- völlig hirnrissig.

     

    Ich verstehe schon, dass der Begriff vom "Cyberspace" abgeleitet wurde. Cyberspace ist aber GANZ was anderes. Einfach mal bissl William Gibson lesen.

  • DF
    der finne sein kater

    ja, die Netzneutralität ist bestimmt nächstes Jahr dran - in dem Zusammenhang wird dann bestimmt auch wieder der Internetführerschein hervorgekramt.

     

    Hat eigentlich ausser mir noch jemand gemerkt, dass die Killerspieldebatte diesmal im Sande verlaufen ist, obwohl der Breivik WoW etc. gespielt hat?

     

    Ich hoffe doch sehr, dass die anderen tollen Ideen der Damen und Herren Internetausdruck-Dinos allesamt ebenso in der Versenkung verschwinden werden.

  • J
    Jappie

    @Bitbändiger:

    *wenn das Internet kein rechtsfreier und Kriminalität aller Art begünstigender Raum bliebe, wenn Teilnehmer unter engen Voraussetzungen identifizierbar wären* - Falsch: (1) auch jetzt bist Du bereits sehr wohl identifizierbar - wirklich und nachhaltig anonym zu bleiben, ist sehr kompliziert! (2) die ewige Rede vom rechtsfreien Internet ist ein Hoax, genährt von Friedrich, VdL, Schäuble @ Co.; mit Realität hat diese Äußerung nichts zu tun.

    Und: Friedrich ist leider nicht naiv oder dumm - er nutzt die Unkenntnis von Menschen wie Dir, um schärfere Gesetze in Stellung und später in Wirkung zu bringen!

  • V
    vic

    wüste Beschimpfungen?

    Aber nein.

    Ein Volk, das überwiegend CDU wählt, muss mit so etwas rechnen.

    Nur ein billiger Trick davon abzulenken, was auch ohne derartige Sprüche längst praktiziert wird.

    Und ein weiterer Versuchsballon eines Hardliners,

    von dem ich glaube, dass auch dem schnell die Luft ausgeht.

     

    Das war v i c , Herr IM Friedrich

  • B
    Bitbändiger

    Friedrich hat recht mit seinem Anliegen.

     

    Auch wenn ich selbst hier unter Pseudonym auftrete, bin ich doch der Meinung, dass es aus vielen Gründen schön wäre, wenn das Internet kein rechtsfreier und Kriminalität aller Art begünstigender Raum bliebe, wenn Teilnehmer unter engen Voraussetzungen identifizierbar wären.

     

    Dass allerdings der Herr Bundesinnenminister dies ALLEN ERNSTES fordert, will heißen für realisierbar hält, zeugt von einer geradezu herzzerreißenden Naivität. Das Land hat kompetentere Regierungsmitglieder verdient.

  • J
    Jappie

    *Wenn sich die aufgeheizte öffentliche Debatte abgekühlt ..., kann man .. ein ... Gesetzesvorhaben backen. Oder man nutzt die Phase, ... um das Internet gemäß der eigenen Vorstellungen zu regulieren.*

    Genau deswegen hör ich bei dem - aktuellen - verbalen Dünnschiß (sorry, aber es gibt keinen anderen Ausdruck dafür) nicht hin und erhalte mir die Wachheit meiner grauen Zellen für den Moment, an welchem es wichtig wird.

    VdL mit dem KiPo-Gefasele hatte noch was - der Frau konnte man anhand Ihrer Äußerungen zweifelsfrei Betrug nachweisen. Friedrich dagegen ist nur erbärmlich - für jeden, der B**d nicht mit TAZ verwechselt, erkennbar, welchen Unfug er abläßt. Ich sehe darin nur die blanke Verzweiflung der CDU im Angsicht des Netz-Themas - das ist nicht mal mehr das übliche Sommertheater. Das ist die Kapitulation.

  • TR
    Theo Riemann

    Ich glaube nicht, dass sich das Thema für die Union rentiert. Darum hat sie nach der BTW 2009 ja auch ihre Kampagnen eingestellt, weil auf diesem Gebiet die "asymmetrische Mobilisierung" anders klappte als gedacht und den Piraten 2% bescherte.

    De Maiziere als nachfolgender Innnenminister hat keine steilen Thesen vertreten wie "Stasi 2.0"-Schäuble oder vdL.

    Warum Friedrich nun so loslegt, ist mir ein Rätsel. Verfangen können seine Vorschläge eigentlich nur bei denjenigen, die das Internet nicht aus persönlicher Anschauung kennen und nutzen - und für die dürften die Themen nicht wahlentscheidend sein, da sie sich nicht persönlich betroffen fühlen. Für die Piraten könnte es sich hingegen um das erhoffte Wiederbelebungsthema handeln, war es doch um sie recht still geworden. Nun haben sie endlich wieder ein Thema, das ihre potenziellen Anhänger mobilisiert.

  • MA
    Moritz Arndt

    Geradezu erbärmlich.

    Es hat sich mitlerweile wohl so eingeschlichen, dass das "böse" Internet, eigentlich fast immer als Schuldiger herhalten muss... wenn wir das "böse" Internet nicht hätten wäre alles besser, und die Welt wieder in Ordnung...

    Zum Kotzen, fällt denen echt nichts Anderes mehr ein als auf etwas zu schimpfen, dass sie selbst nicht verstehen?

    Ach nein, stimmt, freie Informationsbeschaffung, Meinungsfreiheit und viel mehr was das Internet ausmacht ist zu gefährlich für die paar Herrschenden...

  • ND
    Nur die Union?

    taz, linke zeitung und so. Schön und gut. Man muß aber doch so objektiv sein um zu sehen wie man gerade bei den Grünen und der SPD ebenso gerne im Internet zensieren würde. Freie Meinung außerhalb politisch korrekter Sprachregelungen und Denkschablonen gilt doch da ebenso als gefährlich und irgendwie Hitler. Gerade beim Thema Intergration, Multikulti oder Islam würde man da plötzlich gerne zensieren. Die Union eben wieder anderswo. Generell ist den Politikern von heute das Internet sowieso unheimlich weil sie keine Kontrolle darüber ausüben. Außerdem haben 99% von ihnen davon technisch keine Ahnung und gehören zur Generation für die eine SMS schon den Gipfel der überhaupt benötigten technischen Entwicklung darstellt. Nur im Wahlkampf wenn man 15% hinter der Konkurrenz liegt, dann wird auf ein Internetwunder gehofft. Dann hätten es alle Parteien am liebsten ganz für sich. Auch die linken.

  • S
    sagichnicht

    in den 70ern hätte so ein typ wie friedrich im kofferraum gelegen... DAS WIRD MAN JAWOHL NOCH SAGEN DÜRFEN