Kommentar Europakrise: Deutschland spielt den Oberlehrer

Es ist fatal, dass Schwarz-Gelb mit seiner nationalistischen Rhetorik die Angst vor Europa schürt, statt den Wert der Staatengemeinschaft zu betonen.

Unbeirrt hält die deutsche Regierung in der Europakrise an ihrer platten Schuld-und-Sühne-Rhetorik fest. Fraktionschef Brüderle stellt das Ja seiner FDP zum Rettungsschirm infrage, und Finanzminister Schäuble betont, es gebe für Schuldenstaaten "keine Rettung um jeden Preis". Sie alle argumentieren: Nur wer mit einem brutalen Sparkurs für angebliche Maßlosigkeiten büßt, bekommt Hilfe. Wenn es in der Europapolitik von Schwarz-Gelb einen roten Faden gibt, dann diesen.

Der oft gehörte Vorwurf, die deutsche Regierung vermittle ihre Europapolitik zu wenig, stimmt daher nur bedingt. Die Botschaft, die schwarz-gelbe Spitzenpolitiker seit Beginn der Krise in immer neuen Varianten vortragen, richtet allerdings immense Schäden an. Nicht nur in den Nachbarstaaten, in denen Deutschland aufgrund seiner Wirtschaftsmacht und seiner Geschichte traditionell sehr genau beobacht wird, sorgt sie für Befremden: Wenn der Koloss in der Mitte wie ein Schulmeister auftritt, zerstört dies das aufgebaute Vertrauen.

Die schwarz-gelbe Strategie, die vor allem auf den Stammtisch zielt, richtet auch innenpolitischen Schaden an. Wie sollen die Wählerinnen und Wähler verstehen, warum die Regierung erst auf die Schuldnerstaaten eindrischt, ihnen dann letztlich aber doch immer wieder aushilft? Ein Oberlehrer, der sich ständig selbst korrigiert, wirkt unglaubwürdig.

Nicht besser wird die Lage durch den beeindruckenden Dilettantismus, den sich Schwarz-Gelb leistet. Wenn Koalitionspolitiker gegen Aufkäufe italienischer Anleihen durch die Europäische Zentralbank wettern, ist das billiger Populismus. Denn alle EU-Staatschefs - auch die Kanzlerin - setzen mit dem Rettungsschirm ja genau darauf.

Es ist fatal, dass Schwarz-Gelb mit seiner nationalistischen Rhetorik die Angst vor Europa schürt, statt den Wert der Staatengemeinschaft zu betonen. Dabei wäre es gerade jetzt dringend geboten, eine positive Erzählung von Europa zu entwickeln. Wie wäre es, wenn die Kabinettsmitglieder zur Abwechslung mal mit Interviews aufwarten würden, in denen sie dieses einzigartige Experiment loben: dafür, dass junge Deutsche heute in Barcelona oder Breslau studieren und der europäische Staatenbund ökonomisch mit China und den USA auf Augenhöhe steht? Und sie sollten auch mal daran erinnern, welches Land davon am stärksten profitiert hat: Deutschland.

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Ulrich Schulte, Jahrgang 1974, schrieb für die taz bis 2021 über Bundespolitik und Parteien. Er beschäftigte sich vor allem mit der SPD und den Grünen. Schulte arbeitete seit 2003 für die taz. Bevor er 2011 ins Parlamentsbüro wechselte, war er drei Jahre lang Chef des Inlands-Ressorts.

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